Ein Polizist am Tatort: Die Ingolstädterin wurde auf offener Straße umgebracht. © vifogra
Ingolstadt – Ein 49-Jähriger hat in Ingolstadt am Freitag auf offener Straße mit einem Küchenmesser auf seine Ex-Partnerin eingestochen. Die 45-Jährige starb (wir berichteten). Das Entstetzen über die Tat ist groß in Ingolstadt. Doch seit einigen Tagen hat die Debatte eine neue Wendung genommen.
Auslöser war eine Mitteilung des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord, in dem der Angreifer als 49-jähriger Türke beschrieben war. Diskutiert wurde danach auf vielen Internetplattformen weniger über die Tat als über die Frage, ob die Nationalität des Täters genannt werden dürfe. Eine Gruppe von rund 20 Ingolstädterinnen mit türkischen Wurzeln ärgert sich darüber, dass der Femizid nun in den Hintergrund rückt. Die Frauen haben einen offenen Brief verfasst. Sie fordern, das Opfer und die Versäumnisse im Schutzsystem wieder ins Zentrum der Debatte zu rücken.
„Anstatt die Tat klar zu benennen und das Opfer in den Mittelpunkt zu stellen, verschiebt sich die Debatte auf Nebenschauplätze – ausgelöst durch Personen, deren erste Sorge offenbar nicht dem Schutz von Frauen gilt, sondern der Empfindlichkeit einzelner Gruppierungen“, schreiben sie. Eine Gesellschaft, die reif genug ist, zwischen Individuum und Gruppe zu unterscheiden, brauche keinen Schutz vor Fakten, heißt es im Brief. „Nicht Fakten schüren Vorurteile – sondern das Verschweigen derselben.“ Die Debatte über die Nationalitäten-Nennung sei ein Versuch, einen Femizid rhetorisch zu entschärfen, indem der Fokus vom Täterverhalten auf Befindlichkeiten verschoben wird. „Das empfinden wir als respektlos gegenüber dem Opfer – und als gefährliche Verharmlosung.“
Die getötete Frau hatte vor dem Angriff Hilfe gesucht. Es gab Anzeigen, Verurteilungen, Kontaktverbote, schildern die Frauen in ihrem Brief. Nun müsse darüber gesprochen werden, dass all das sie nicht geschützt hat. Das Schreiben endet mit einem Appell: „Wir rufen türkische Männer ausdrücklich auf, sich klar zu distanzieren und offen anzuerkennen, dass Gewalt gegen Frauen ein Problem ist, das in der türkischen Gesellschaft, wie in vielen anderen, existiert. Schweigen ist keine Solidarität – sondern Teil des Problems.“
Der offene Brief ging auch an den Ingolstädter OB Michael Kern. Die Stadt äußert sich nun mit einer schriftlichen Stellungnahme. Die Debatte habe sich nach einer Äußerung der beiden Integrations- und Gleichstellungsbeauftragten entwickelt. Dabei sei es nicht darum gegangen, die Informationspraxis der Polizei oder die Arbeit der Medien zu kritisieren, betont die Stadt. Dass daraus bei einigen der Eindruck entstanden sein mag, es solle die Tat relativiert oder der Täterschutz über den Opferschutz gestellt werden, würden die beiden Beauftragten bedauern. „Die Tat und das Leid der Angehörigen stehen im Mittelpunkt.“
In Bayern gab es vergangenes Jahr 40 Femizide. So werden Tötungen von Mädchen und Frauen bezeichnet, die aufgrund ihres Geschlechts umgebracht werden. Nur zwei Tage vor der Tat in Ingolstadt war in Burgkirchen an der Alz ein 47-jähriger mit einem Messer auf seine Ex-Freundin losgegangen. Die Frau starb. Die meisten Femizid-Fälle sind Beziehungstaten, wie eine Studie der Uni Tübungen ergeben hat, die 133 Femizide aus dem Jahr 2017 untersucht hat. Anlass für die Tat ist in den allermeisten Fällen eine tatsächliche oder befürchtete Trennung oder Untreue der Frau. Die Taten fanden in allen Gesellschaftsschichten statt. 40 Prozent der Täter standen unter Einfluss von Alkohol oder Drogen. Bei Partnerinnen-Femiziden hatten 51 Prozent der Täter einen deutschen Pass. 67 Prozent der Täter hatten Migrationshintergrund.K. WOITSCH
Hilfe bei Gewalt
Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist unter 116 016 rund um die Uhr erreichbar. Die Beratung ist kostenfrei und anonym. Der Weiße Ring unterstützt Opfer von Gewalt unter 116 006.