Auf seinen Spaziergängen ist Sonja Fick immer an Manfred Baumgartners Seite. © Schmidhuber
München – Manfred Baumgartner hakt sich bei Sonja Fick ein, nimmt einen tiefen Atemzug von der kalten Dezember-Luft, lächelt und schon geht‘s los. Seit Tagen freut er sich auf diesen Spaziergang. Heute möchte er die große Runde laufen, bis zum MAN-Parkhaus in Karlsfeld. Soweit würde er allein nie kommen. Denn der 73-Jährige sieht kaum noch etwas, die Welt besteht für ihn aus hellen und dunklen Schatten. Und gäbe es Sonja Fick nicht, würde er kaum noch aus dem Haus kommen. Bei ihren gemeinsamen Ausflügen sieht er die Welt durch ihre Augen. „Das Baugerüst ist jetzt komplett aufgebaut“, sagt sie, als sie an einem Haus vorbeispazieren, an dem die Fassade erneuert wird. Manfred Baumgartner kennt hier in der Gegend alle Schleichwege, er braucht nur jemanden, der ihm sagt, wo er sich befindet. Allein könnte er sich nicht lange genug konzentrieren, er würde wohl nicht mehr nach Hause finden. Kleine Runden kann ihn seine Hündin Flori lotsen. Aber die wollte bei der Kälte an diesem Tag lieber in ihrem Körbchen bleiben. Durfte sie. Schließlich ist ja ein Sonja-Tag.
Sonja Fick ist Seniorenassistentin. Sie und Manfred Baumgartner kennen sich seit sechs Jahren. Damals hatte er eine schwere Depression hinter sich und seine Frau suchte nach jemandem, der ihn im Alltag etwas unterstützt und ihm hilft, die Lebensfreude zurückzugewinnen. „Sonja hat uns der Himmel geschickt“, sagt Baumgartner und lächelt in ihre Richtung. Schon als sie sich das erste Mal zu dritt in einem Café trafen, merkten sie, dass das mit ihnen funktionieren würde. Seitdem kommt Sonja Fick regelmäßig zu den Baumgartners. Annerose Baumgartner ist noch berufstätig. Außerdem hat sie Probleme mit dem Knie und kann ihren Mann nicht begleiten. Das übernimmt Sonja Fick. Die beiden gehen nicht nur spazieren. Regelmäßig fahren sie nach Garmisch-Partenkirchen, wo Manfred Baumgartner früher so gerne wandern war. Wenn sie den Kramerplateauweg laufen, beschreibt Sonja Fick ihm die Umgebung ganz genau – und er sieht alles wieder vor sich. Danach gehen sie meistens in die Chocolaterie, Pralinen kaufen. Hier muss der 73-Jährige nichts sehen, schon die Gerüche machen ihn glücklich. Sonja Fick sagt ihm, was im Angebot ist.
Ohne sie, da ist er sicher, wäre er nicht so fit. Oft laufen die beiden zusammen den Trimm-Dich-Pfad am Karlsfelder See. Sogar Turbo-Trampolin-Springen hat er dank ihrer Unterstützung schon ausprobiert. Sonja Fick hat ihm die Lebensfreude zurückgebracht. „Der Sonja-Effekt hält immer tagelang an“, sagt seine Frau. Sie ist dankbar, dass ihr Manfred wieder so viel unterwegs sein kann. Dass sie ihn wieder lachen sieht.
Vor ein paar Jahren hat Sonja Fick noch in der IT-Abteilung eines Unternehmens gearbeitet. Dann machte sie sich selbstständig. „Ich wollte etwas Erfüllendes, Sinnvolles machen“, sagt sie. Also begann sie eine Ausbildung zur Seniorenassistentin. Seitdem arbeitet sie selbstständig, betreut rund 15 Klienten. Die bezahlen sie für ihre Zeit. Wenn die Senioren wie Manfred Baumgartner einen Pflegegrad haben, können sie die Hilfe über die Verhinderungs- oder die Entlastungspflege abrechnen. Menschen ohne Pflegegrad bezahlen die Assistenz (etwa 50 Euro pro Stunde) aus eigener Tasche.
Vielen falle es leichter, Hilfe anzunehmen, wenn sie nicht darum bitten müssen, sondern dafür zahlen, sagt Ursula Mayr, Geschäftsführerin der Help Akademie, die in München Seniorenassistenten ausbildet. Sie lernen dabei alles, was sie für ihre Arbeit brauchen. Von dem Umgang mit verschiedenen Krankheiten, über Konfliktlösungen bis hin zum Erstellen eines Businessplans. Auf Portalen wie dem der Help Akademie (www.help-akademie. de) können sich die Seniorenassistenten vorstellen und werden direkt von ihren Klienten gebucht – wenn es zwischen ihnen so gut passt wie bei Sonja Fick und den Baumgartners. Die Nachfrage ist jetzt schon groß, Ursula Mayr geht davon aus, dass sie mit dem demografischen Wandel immer weiter steigen wird.
Sonja Fick hat es nie bereut, ihren Beruf aufgegeben zu haben. „Ich bin selbst in einem Mehrgenerationenhaus aufgewachsen.“ Das Leben mit ihren Großeltern hat sie geprägt. Mit ihrem Terminkalender sitzt sie neben Manfred Baumgartner. Die beiden planen ihren Ausflug auf den Weihnachtsmarkt in Garmisch-Partenkirchen. Natürlich werden sie auch in die Chocolaterie gehen. Und ein Weihnachtsgeschenk für Annerose Baumgartner kaufen. „Wann soll ich dich abholen, Manfred?“, fragt sie. „Am liebsten schon um 6 Uhr morgens“, sagt er und lacht.