Typische Bissspuren: die toten Kamerunschafe. © privat
Ein Wolf trieb sich ganz in der Nähe eines Waldkindergartens herum. © IMAGO
Ziemetshausen – Silvia Huber und ihr Mann haben auf ihrem Hof in Ziemetshausen, Kreis Günzburg, 400 Mutterschafe und etwa 60 Schlachtlämmer. Das Paar hat viel Erfahrung, Erwin Huber ist Schafhalter, seit er 16 Jahre alt ist. Aber neuerdings gehen die Hubers morgens mit einem komischen Gefühl zu ihren Tieren. „Man weiß nie, was in der Nacht passiert ist“, sagt die Landwirtin.
Bei ihrer Nachbarin und Schwägerin, die hobbymäßig ein paar Schafe hält, ist Ende November nämlich etwas passiert. Zwei Kamerunschafe lagen tot im Gehege, genauer: gerissen. Ein drittes war verletzt. Die schockierten Besitzer rufen sofort die Polizei, die Gemeinde und eine Tierärztin an. Die Veterinärin hat schnell einen Verdacht: Das könnte ein Wolf gewesen sein. Das Landesamt für Umwelt, zuständig für große Beutegreifer wie den Wolf, wird informiert. Noch am Nachmittag, so erinnert sich Bürgermeister Ralf Wetzel, kommt eine ehrenamtliche Mitarbeiterin vom LfU. Sie entdeckt Pfotenabdrücke, die nicht nach Hund aussehen. Die Bissspuren an den getöteten Tieren und die Tatsache, dass diese an Hals und Kopf sind, spricht ebenfalls für einen Wolf. Die LfU-Mitarbeiterin sammelt Proben ein und informiert die Gemeinde.
Gerade, als die Nachricht im Rathaus aufschlägt, findet dort ein Treffen vom Kindergarten Märcheninsel statt. Erzieherinnen und Elternbeiräte sitzen bei Bürgermeister Wetzel. Ein Wolf in der Gegend? Der Stall, in dem die toten Schafe gefunden wurden, liegt am Ortsrand, unweit des Friedhofs. Und noch einmal ein paar hundert Meter weiter befindet sich der Waldkindergarten des KJF (Katholische Jugendfürsorge der Diözese Augsburg). Die Eltern sind alarmiert, und sofort ergreift der Träger erste Maßnahmen.
Man habe die Kinder „ruhig und geordnet zunächst in den örtlichen Schutzraum begleitet“, teilt die KJF auf Anfrage mit. Den nutzen die Waldkinder etwa bei extremem Wetter. In einem zweiten Schritt wurde beschlossen: Die Gruppe zieht jetzt erst mal in das Kinderhaus mitten im Ort. „Die Eltern“, heißt es, „haben die Information ruhig aufgenommen.“ Den Kindern sei das Thema nach der Evakuierung in Ruhe erklärt worden, etwa, dass der Wolf ein scheues Tier ist und meist in der Nacht wach ist.
Jetzt steht fest: Es war tatsächlich ein Wolf, der die Schafe getötet hat. „Tierart Wolf nachgewiesen (HW22 – Alpenpopulation, Geschlecht und Individuum vorerst nicht ermittelbar)“, heißt es in der Information des LfU. Für Menschen bestehe derzeit keine Gefahr sowie kein Handlungsbedarf. Da seit dem Vorfall keine weiteren mehr gemeldet wurden, geht man in Ziemetshausen davon aus, dass das wanderfreudige Tier längst über alle Berge ist. Ein Wolf legt ohne Probleme bis zu 100 Kilometer am Tag zurück.
Es ist der erste nachgewiesene Wolf in der Gemeinde, aber Bürgermeister Wetzel wundert das nicht: „Wir haben den größten Waldanteil im Landkreis.“ Im Süden grenze man an das Unterallgäu an, von dort ist es nicht mehr weit in die Alpen, wo immer mal wieder Wölfe auftauchen. Wetzel behält die Nerven: „Die Gefahr, dass man in Bayern Beute eines großen Beutegreifers wird, ist statistisch gesehen extrem gering.“
Schafhalterin Silvia Huber ist trotzdem mulmig zumute. Als Landwirtin erlebe man viele Höhen und Tiefen mit Tieren, aber der Anblick der zwei vom Wolf gerissenen Schafe sei „schon eine andere Hausnummer gewesen“. Sie weiß, dass ihre Herde knapp einer Katastrophe entgangen ist. Vor ihrem Stall fanden sie Wolfsspuren und einen Kot-Haufen. „Zum Glück war die Tür fest verschlossen.“
Immerhin: Weil der Wolfsnachweis offiziell erfolgt ist, bekommen die Tierbesitzer innerhalb eines Zehn-Kilometer-Radius Zuschüsse für Schutzmaßnahmen. Die Kinder aus dem Waldkindergarten bleiben bis einschließlich Weihnachten im Ausweichquartier. CARINA ZIMNIOK