Arlett Drexler bei der Arbeit vor dem Mikrofon.
Aus dem Off gleitet ein verführerisches Flüstern, dunkel und schmeichelnd. Dann schwätzt eine badische Hausfrau drauflos. Und schon redet eine Sitzkreis-Moderatorin, gequetscht, affektiert. All diese Gestalten wohnen in derselben Stimme. „Das sind meine verschiedenen Ichs“, sagt Arlett Drexler, Profi-Sprecherin aus dem Landkreis Ebersberg. Wer ihr gegenübersitzt, erlebt im Minutentakt eine ganze Parade von Figuren.
25 Jahre lang verdient die 45-Jährige mit ihrer Stimme schon ihren Lebensunterhalt. Nach dem Abitur war sie mit ein wenig Zufall beim Lokalradio gelandet. Jemand erkannte das Talent. Drexler arbeitete mit Trainern an ihrem Ausdruck, der korrekten Atemtechnik und Aussprache. Mit großem Erfolg: Es folgten unter anderem Werbespots, Hörspiele und Synchron-Aufträge. Viele Jahre war sie eine der begehrtesten Sprecherinnen Deutschlands, war Hauptverdienerin, in der Corona-Zeit sogar Alleinverdienerin für ihre fünfköpfige Familie. „Wir konnten sehr gut davon leben“, sagt sie.
Heute nicht mehr. Ihr Mann, ein Profi-Musiker, hat sich eine Festanstellung gesucht, um das Familieneinkommen zu sichern. Innerhalb von zwei Jahren hatten sich Drexlers Einnahmen halbiert, Tendenz fallend. Damit stehe sie nicht alleine da, sagt die Sprecherin und erzählt von einer Kollegin, die jahrelang eine Hörbuchreihe gelesen hatte und sich wunderte, dass sie für den neuesten Band nicht mehr gebucht wurde. „Das machen wir jetzt mit KI“, habe der Verlag mitgeteilt.
Der Berufsverband für professionelle Sprecher kämpft mit Kampagnen und rechtlichen Schritten gegen die Entmenschlichung der Stimme an – allerdings ist das eine Schlacht zwischen David und Goliath. „Dieser Beruf wird sterben, da sind wir uns alle einig“, sagt Drexler. Sie werde sich beruflich umorientieren. Klar biete das auch eine Chance auf einen Neuanfang. „Aber ich hab mir das nicht so vorgestellt“, sagt sie, „ehrlich gesagt war ich angekommen.“UTA KÜNKLER