Zorneding – Er hatte Angst, während des Gottesdienstes zu sterben. Dass einer auf ihn schießt, dass ihn jemand umbringt. Wenn Olivier Ndjimbi-Tshiende (68) von dem, was er in Zorneding (Landkreis Ebersberg) erlebt hat, erzählt, ist er aufgeregt. Redet schnell, sagt, dass er bei jeder Messe geschaut habe, wer in der Kirche sitzt. „Ich habe damit gerechnet, dass jemand eine Waffe aus seiner Jacke zieht“, sagt er. Er schnauft durch, macht eine lange Pause.
Knapp zwei Jahre ist es her, dass der aus dem Kongo stammende katholische Pfarrer in Zorneding Angst um sein Leben haben musste. In einer beschaulichen Gemeinde, knapp 10 000 Einwohner groß. Sein Fall sorgte für Schlagzeilen. Im Frühjahr 2016 verließ er die Pfarrgemeinde, er floh, wie er sagt.
Gottesdienste hält der Priester mit deutschem Pass heute nicht mehr. Er lebt in Eichstätt, fand dort eine sichere Heimat. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Katholischen Universität. Und er hat ein Buch geschrieben. „Und wenn Gott schwarz wäre…“ heißt es. Darin verarbeitet er das, was er in Zorneding erlebt hat. Den Hass. Den Rassismus, den ihm einige – nur wenige, wie er betont – entgegengebracht haben. Eine schockierende Zeit sei es gewesen, zwischen Herbst 2015 und Frühjahr 2016. Freunde des Priesters setzten sich während der Messen in die erste Bankreihe der Kirche St. Martin und hielten die Augen offen. Polizisten waren in der Sakristei, um den Priester zu schützen und mögliche Täter festzunehmen. Weil ein Mann vor der Kirche mehreren Einheimischen sagte, nach der Messe werde der Pfarrer nicht mehr existieren.
Im September 2012 kommt Olivier Ndjimbi-Tshiende nach Zorneding, er fühlt sich wohl und sei mit fröhlichem Respekt empfangen worden, schreibt er im Buch. Im Gespräch sagt er: „Die Zeit dort war größtenteils okay.“ Bis zum Herbst 2015. Die ehemalige CSU-Vorsitzende Zornedings, Sylvia Boher, hetzt öffentlich gegen Flüchtlinge, Ndjimbi-Tshiende hält dagegen, es kommt zum Eklat. Ein Parteikollege Bohers bezeichnet den Priester als „Neger“. Ndjimbi-Tshiende gerät in die Schlagzeilen, einigen passt es nicht, dass er als Christ Flüchtlingen helfen will. Er bekommt Morddrohungen, Hassbriefe: „Wir schicken Dich Du Arschloch nach Auschwitz!“, steht in einem. Ndjimbi-Tshiende soll Zorneding verlassen, verlangen sie. Einer der Briefeschreiber, ein 74 Jahre alter Rentner aus München, wird zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Die anderen Schreiber kann die Polizei nicht ermitteln.
Olivier Ndjimbi-Tshiende erinnert sich an eine Geste, die er gut fand, die ihn versöhnlich stimmte. Als er das Gerichtsgebäude in Ebersberg nach der Verhandlung gegen den Münchner Rentner verlässt, kommt eine Anwältin auf ihn zu. Sie gibt ihm die Hand und sagt: „Ich würde Ihnen gerne als bayerische Bürgerin sagen, dass es mir sehr leidtut.“ Viele halten zu Ndjimbi-Tshiende – bis heute. Der Priester erzählt von einer Familie aus München. Als der Hass gegen ihn immer mehr wird, habe diese ihm die Wohnungsschlüssel gegeben, „einfach so“, und gesagt, sobald er aus Zorneding weg müsse, könne er zu ihnen kommen, Tag und Nacht. „Stellen Sie sich das vor, das ist die höchste Nächstenliebe“, sagt er am Telefon. Es habe viele Solidaritätsbekundungen aus der Pfarrgemeinde gegeben, doch die reichen nicht. Er flieht. Im März 2016, nachts, erst zu der Familie, dann in ein Kloster.
Heute geht es Olivier Ndjimbi-Tshiende gut, er kann und will über seine Zeit in Zorneding reden. Er hat ein Anliegen: „Der Rassismus hat keine Zukunft.“ Mit seinem Buch will Ndjimbi-Tshiende erreichen, dass die Menschen nachdenken, dass sie einander ohne Vorbehalte akzeptieren, ohne Blick auf Hautfarbe oder Geschlecht. Menschen, die Hass schüren, seien auch gläubige Christen – zumindest behaupteten sie das. In Zorneding hätten sich sogar Kirchenmitglieder gegen ihren Pfarrer gewandt. „Wie kann das sein?“, fragt der 68-Jährige. Die katholische Kirche habe doch als erstes Gebot die Liebe.
Der Priester wagt in seinem Buch ein Gedankenspiel: Wenn Gott schwarz wäre, beleidigen diejenigen, die Menschen mit schwarzer Hautfarbe beleidigen, Gott? Ndjimbi-Tshiende sagt: „Gott ist Liebe. Und die wollen wir bekämpfen?“ Die Kirche selbst müsse mehr dafür tun, dass Gläubige nicht rassistisch werden. Der Priester kritisiert: Die Kirche sei zum Teil selbst zu unbarmherzig. Die Obrigkeiten vor allem. Und die Kirche müsse praktischer werden, der priesterliche Zölibat müsse abgeschafft werden. Würde Jesus heute leben, sagt Ndjimbi-Tshiende, er würde alle akzeptieren, die Regel, dass Priester nicht heiraten dürfen, abschaffen.
Ndjimbi-Tshiende provoziert bewusst im Buch über sein Erlebtes in Zorneding hinaus. Es ist zugleich ein scharfer Angriff auf die katholische Kirche. Zum Beispiel, wenn er sagt: Dass die Kirche sich über Jesus stellt, ist überheblich. Er fordert: Die Kirche muss demütiger werden. Zorneding hat Ndjimbi-Tshiende schockiert, aber nicht überrascht. Dass er manchmal abgelehnt werde, weil er aus Afrika kommt, hat er bereits in einer Gemeinde in Buch am Erlbach im Landkreis Landshut erlebt. Eine Familie wollte ihr Kind nicht bei ihm taufen lassen. Weil er „schwarz“ ist.
Olivier Ndjimbi-Tshiende hat nach dem, was passiert ist, keine Wut, weder gegen Bayern noch gegen Zorneding. Er sagt: „Es sind nur einzelne Rassisten, aber doch nicht alle Bayern und Deutschen.“ Strömungen wie die AfD haben nicht den Hass gegen ihn möglich gemacht, sagt er. Dass die Rechtspopulisten mit knapp 13 Prozent als drittstärkste Partei in den Bundestag einziehen, sei aber ein Zeichen, „dass der Hass nicht weniger wird“. Für den Erfolg der Rechtspopulisten hat Ndjimbi-Tshiende eine Erklärung: Die, die Partei gewählt haben, seien zornig. Enttäuscht von der Politik. Angst mache ihm das nicht.
Dass Olivier Ndjimbi-Tshiende wieder nach Afrika geht, darüber habe er nachgedacht, als ihn Rassisten bedrohten. Tatsächlich möchte er, wenn er in ein paar Jahren in Rente geht, zurück in den Kongo, zu seinen Verwandten. Aber nur zeitweise. Von Bayern will er sich nicht für immer verabschieden. Er will pendeln. Zwischen Westafrika und dem Freistaat. Wo ihm Schlechtes, aber auch viel Gutes widerfahren ist.