Strategien für Mentale Stärke

Stress im Job: Von Spitzensportlern lernen

von Redaktion

Von Andreas Beez

München – Münchens Torwart-Titan Olli Kahn hat es schon immer gewusst: Dauerhafter Erfolg beginnt im Kopf. Unzählige Male hat er „diesen immensen Druck“ beschrieben, dem es Woche für Woche standzuhalten gilt. Wie schafft man das bloß? Eine permanente Herausforderung, vor der nicht nur Fußball-Millionäre stehen, sondern auch ganz normale Arbeitnehmer. „Dazu gibt es Techniken, die jeder erlernen kann“, sagt der renommierte Sportpsychologe Professor Dr. Jan Mayer (45).

In Münchner Kolpinghaus hat Mayer, der unter anderem die Profi-Fußballer der TSG 1899 Hoffenheim betreut, kürzlich einen viel beachteten Vortrag gehalten. „Stress managen – was wir von Spitzensportlern lernen können“ lautete der Titel. Er lockte beinahe 500 Zuhörer an, wie die Krankenkasse DAK als Gastgeberin berichtete. Sie hatte den Psychologen vor dem Hintergrund einer alarmierenden Entwicklung eingeladen: Der Job wird für immer mehr Menschen zur Psychofalle. Aber was kann jeder Beschäftigte selbst aktiv tun, um solche Probleme zu vermeiden oder zumindest zu verringern? Wir haben sechs Strategien für den Alltag zusammengefasst, von denen sogar Sofasportler profitieren können.

1. Beginnen Sie mit mentalem Training

Man kennt die Rituale aus Sportübertragungen im TV, beispielsweise von Skirennen. Der Athlet kauert etwas abseits des Starthäusls im Schnee, zuckt und fuchtelt mit geschlossenen Augen vor sich hin. In Gedanken geht er noch mal den bevorstehenden Lauf durch, Schwung für Schwung. Er kurvt um jedes einzelne Tor herum, meistert jede tückische Bodenwelle. Dieses Prinzip lässt sich von der Piste auch auf einen ganz normalen Bürojob übertragen – beispielsweise zur Vorbereitung auf ein wichtiges Gespräch mit dem Chef, mit einem Kunden oder Verhandlungspartner. „Beim Vorstellungstraining schaltet man praktisch das Kopfkino ein“, erläutert Mayer, „das bedeutet: Ich frage mich, was bei dem Gespräch alles passieren kann. Was könnte der Chef sagen, welche Forderungen wird der Verhandlungspartner stellen, welche Kritik hat der Kunde möglicherweise? Dann überlege ich mir in Ruhe, wie ich am besten darauf reagieren würde, und spiele diese Situation in Gedanken immer wieder durch. Je öfter, desto besser. So lange, bis ich meinen Handlungsplan wie im Schlaf abrufen kann.“

Mentales Training kann man übrigens auch zur Nachbereitung von Stresssituationen nutzen. „Gehen Sie den Verlauf des Gesprächs in Gedanken noch mal durch, analysieren Sie, wo es vielleicht gehakt hat und wie Sie dieses Problem besser hätten lösen können. Die bessere Verhaltensoption dann erneut vielfach im Kopf durchspielen. Dadurch lernen Sie, Wiederholungsfehler zu vermeiden“, rät Mayer.

2. Bewahren Sie einen kühlen Kopf

Es geht im Wesentlichen darum, sich ausschließlich auf die bestehende Aufgabe zu konzentrieren, auf die eigenen Fähigkeiten zu vertrauen und sich durch nichts ablenken zu lassen. „Wenn es wirklich wichtig wird, sollten Sie Multitasking vergessen. Es geht nur eine Sache, die Konzentration auf mehrere Dinge gleichzeitig funktioniert nicht“, betont Mayer. „Man darf sich nicht aus der Konzentration bringen lassen, muss immer wieder die eigentliche Aufgabe in den Fokus nehmen.“

Dazu sollte man störende Gedanken erkennen, sofort beenden – oder am besten gar nicht erst aufkommen lassen. Das kann man unter anderem mit Selbstgesprächen erreichen – zum Beispiel, indem man sich selbst starkredet („Ich kann das!“, „Ich bin von mir überzeugt!“). Oder indem man sich selbst vorbetet, was man gleich alles tun wird, um die Stresssituation zu meistern. Das Ziel: keinen Platz für negative Gedanken zu lassen. „Das Problem ist: In Drucksituationen will der Kopf immer eingreifen“, weiß Mayer. „Die große Kunst ist es, ihn abzustellen und sich nur auf den nächsten Handlungsschritt zu konzentrieren.“ Als Beispiel führt der Sportpsychologe Extremkletterer wie die Huber-Buam Alexander und Thomas ins Feld. „Wenn sie ungesichert in einer senkrechten Wand hängen, reduziert sich ihre Gedankenwelt auf wenige Quadratmeter. Es geht nur um den nächsten Tritt oder Griff.“

3. Stress kann stärker machen

„Stress ist leistungsfördernd, man darf sich also ruhig stressen lassen – aber nur dann, wenn es wichtig ist“, erklärt Mayer. Mindestens genauso wichtig ist es nämlich, sich Erholungsphasen zu gönnen. Das Prinzip ist ähnlich wie bei einem Muskel: Nach dem Training braucht er unbedingt eine gewisse Zeit zum Regenerieren, um anschließend wieder oder sogar noch mehr Leistung bringen zu können.

So ist das auch mit der Psyche. „Jeder Mensch hat eine Art eingebauten Stress-Akku, und der muss immer mal wieder aufgeladen werden, damit er Energie liefert, wenn es drauf ankommt.“ Übertragen aufs Berufsleben erfordert dieses Energie-Management clevere Planung. Man sollte sich überlegen, welche Termine und Aufgaben wirklich wichtig sind, und seine Leistungsbereitschaft danach ausrichten. „Man sollte sich zwischendrin immer wieder mal Pausen gönnen und diese effektiv nutzen“, rät Mayer.

Ein Trick dabei: bewusst in eine Gegenwelt einzutauchen. „Als Gegenwelt bezeichnen wir heute das, was früher Hobby genannt wurde“, erklärt Mayer schmunzelnd. „Also: Bewusst etwas tun, was einem Spaß macht, sich mit völlig anderen Dingen beschäftigen als im Job.“ Das kann durchaus auch mal ein Spaziergang um den Block sein. Oder ein Zehn-Minuten-Nickerchen in einer ruhigen Ecke.

4. Sorgen Sie für positive Gedanken

„Die eigene Befindlichkeit spielt eine ganz große Rolle, wenn man in schwierigen Situationen Erfolg haben will“, sagt Mayer. Oder anders ausgedrückt: die Bewertung, ob das Glas halb leer oder halb voll ist. Der Sportpsychologe erzählt ein Beispiel von einem Rennradfahrer. Als seine Kollegen bei fieser Kälte und Schnee nicht so recht Lust zum Trainieren hatten, sagte er: „Ich habe mein Leben lang davon geträumt, auf solchen Straßenmaschinen zu sitzen, solche Trikots zu tragen und Rennen zu fahren. Jetzt habe ich das alles – und ein bischen Schnee soll mich davon abhalten, diesen Traum zu leben? Sicher nicht – im Gegenteil: Ich sage Danke für jeden einzelnen Kilometer!“ Die Botschaft ist auch auf den Job übertragbar. „Man sollte sich ab und zu daran erinnern, was man alles hat, statt sich nur mit den Defiziten zu befassen“, sagt Mayer.

5. Nutzen Sie die Kraft des Teams

„Es ist gigantisch, was Teams zu leisten imstande sind“, weiß Mayer. Er führt unter anderem die deutschen Skispringer ins Feld. Genauer gesagt ihre Auftritte bei den Olympischen Spielen 2010 in Vancouver. Damals hatten die Bundesadler im Einzelspringen fast ausnahmslos enttäuscht, dann aber nur zwei Tage später im Teamwettbewerb die Silbermedaille geholt. „Jeder Einzelne hat seine Leistung enorm gesteigert, sich am Erfolg der Mannschaftskameraden hochgezogen“, berichtet Mayer.

Voraussetzung für den gemeinsamen Erfolg sei allerdings, dass alle bereit sind, etwas ins Team zu investieren. „Wenn’s für alle schwierig wird, sollte man handeln und keine Fragezeichen im Kopf haben nach dem Motto: Ist das wirklich meine Aufgabe? Das wäre falsch. Der bessere Gedanke ist: Ich kann helfen, also tue ich es“, erklärt Mayer. „Dafür bekommt man oft auch etwas zurück.“

6. Aufgeben ist keine Option

Der klassische Fehler besteht darin, sich im Kopf Ausreden oder Rechtfertigungen dafür zurechtzulegen, dass man gleich aufgeben und das zuvor gesteckte Ziel nicht erreichen wird. Der Klassiker beim Joggen: „Heute höre ich mal ein bisserl früher auf, schließlich bin ich ja beim letzten Mal so weit gelaufen.“ Oder beim Radeln: „Heute ist es einfach zu kalt, um die volle Trainingsrunde herunterzukurbeln, das Risiko für eine Erkältung ist einfach zu hoch.“ Solche Gedankenfallen nennen Psychologen „moralische Lizenzierungen“.

Ein Verhaltensmuster, dass sich übrigens sogar Supermärkte zunutze machen, wie Mayer erläutert: „Warum stehen in den meisten Märkten Obst und Gemüse im Eingangsbereich? Das macht ja eigentlich wenig Sinn, wenn man anschließend im Einkaufswagen schwere Sachen wie Gläser, Konserven oder Packungen draufpackt. Der Trick ist: Man lädt nicht nur Obst und Gemüse in den Wagen, sondern auch eine moralische Lizenz, um gleich andere Produkte einpacken zu dürfen. Motto: Wahnsinn, ich ernähre mich gesund, also kann ich ein paar Kekse, Schokolade und Bier kaufen.“

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