Nürnberg – Sogar um die Sitzordnung kümmern sich Markus Söder und Horst Seehofer jetzt schon gemeinsam. In Tischreihe eins sind ihre blauen Namensschilder hergerichtet, nur Generalsekretär Andreas Scheuer soll zwischen den beiden Rivalen sitzen. Vielleicht als Sicherheitspuffer, falls das mit der Harmonie zwischen den beiden doch nicht so hinhaut. Doch Seehofer und Söder bugsieren das Scheuer-Schild schnell zur Seite, nehmen nebeneinander Platz, unterhalten sich, lachen gemeinsam. Beinahe wirkt es, als wären sie gute Freunde.
Es sind Szenen wie diese, die den CSU-Parteitag in Nürnberg ausmachen. Früher waren Mitarbeiter noch damit beauftragt, die beiden Herren möglichst weit auseinander und ohne Sichtkontakt zu platzieren. Jetzt das Gegenteil: Seht her, so geschlossen sind wir, so maximal harmonisch! Selbst einige Delegierte reiben sich da verwundert die Augen. Die Inszenierung wirkt perfekt, festgehalten von zig Kameras und Fotoapparaten. Gestandene Abgeordnete zücken ihre Handys und knipsen. Da ist es eine Herausforderung, Schein und Wirklichkeit auseinanderzuhalten.
Von einem „Parteitag des Durchstartens und des Aufbruchs“ schwärmt Scheuer. Will heißen: Es geht weniger um Inhalte, mehr um die Symbolik. Da passt es, dass Seehofer und Söder, die sich nicht ausstehen können und sich so lange bei jeder Gelegenheit drangsaliert haben, heute sogar fast die gleiche Krawatte tragen, rot-weiß-kariert. „Zufall“, sagt Söder und grinst, das kann man ihm glauben. Aber sonst haben die Politprofis nichts dem Zufall überlassen.
Das Wort des Tages heißt – wieder mal – „Geschlossenheit“. Seehofer sagt es auf der Bühne in einem Satz gleich dreimal, auch Söder nutzt den Begriff immer wieder. Die Herausforderungen seien „so groß wie noch nie“, sagt der fränkische Finanzminister. „In so einer Situation ist es wichtig, klarzumachen, dass die Stärksten zusammenhalten und das Beste für die Partei wollen und fürs Land.“
Seehofer und Söder sind Profis genug, um die Harmonie zu zelebrieren, zu der beide mangels Alternativen gezwungen sind. Bei den Delegierten ist es anders, viele kommen aus der Kommunalpolitik, sie sind keine glattgebügelten Berufspolitiker. Wer wissen will, wie es wirklich steht um die Stimmung in der CSU, muss auf sie und die vielen Zwischentöne achten. Muss sich zu ihnen setzen an die Bierbänke draußen im Ausstellungsbereich, wo es Wiener und Weißwürste gibt und ehrlichere Worte.
Viele sind hin- und hergerissen: Sie sehen, dass da eine Inszenierung läuft, wollen aber nicht zu sehr stören. Von „Grummeln“ berichtet der oberbayerische Abgeordnete Klaus Steiner. Über Wochen habe sich die CSU einen „lächerlichen Streit“ geliefert. Gut, dass der nun zu Ende sei, sagt er: „Gott sei Dank haben sie’s beide kapiert. Ich hoffe, dass es nicht nur eine taktische Einsicht war.“ Es müsse sich ja auch nicht jeder lieb haben, sagt ein Vorstandsmitglied, aber ein anständiger Umgang müsse jetzt sein.
Ein anderer, 30 Parteitage auf dem Buckel, beschreibt das Verhältnis der Führungsleute als fragil. „Das ist die Partnerschaft zwischen zwei Raubtieren. Jeden Moment können sie sich wieder beißen.“ Auch die Abläufe passen vielen nicht. „Das Ergebnis hätten wir früher haben können“, heißt es aus Schwaben. Oder, ein Oberfranke: „Es ist eine Gratwanderung, dass wir diese Geschlossenheit auch beim Wähler verkauft bekommen. Wir dürfen nicht übertreiben.“
Das ist eine kluge Mahnung, denn die CSU war in der jüngeren Vergangenheit nicht gut darin, ihre politischen Wenden so auszutarieren, dass es nicht nach Übertreibung aussieht. Auch die neue Doppelspitze der Raubtierfreunde muss mühsam austariert werden. Der Samstag wird zeigen, ob das klappt. Da nämlich enden die schöne Gesten, das Schildchenversetzen, stattdessen geht es um nüchterne Zahlen: Bei den Vorstandswahlen stehen Seehofer und Söder im Mittelpunkt.
Der eine will Parteichef bleiben. Seehofer ist klar, dass ein Ergebnis weit unter 80 Prozent (vor zwei Jahren galten seine 87 Prozent noch als schlecht) die Personaldiskussionen um ihn neu anheizen würden. Er habe das Gefühl, „dass unsere Leute in Ruhe in die Weihnachtsfeiertage gehen wollen“, orakelt er. Ein sehr stabiles Gefühl scheint das aber nicht zu sein, denn im kleinen Kreis schiebt er achselzuckend hinterher: „Garantieren kann man nichts.“
Söder wird sich einfacher tun, vermutlich läuft die Abstimmung über ihn als Spitzenkandidaten per Akklamation, also durch Handzeichen, wo sich Delegierte seltener eine Nein-Stimme trauen als auf dem Wahlzettel. Noch dazu verwendet Söder den halben Parteitag zum Netzwerken, schiebt sich durch die engen Reihen der Messehalle, grüßt, winkt, lächelt in endlos viele Handy-Selfies. Bis tief in den späten Abend läuft er strategisch über den Delegiertenabend, durch Bierdunst und den Kunstnebel der Liveband. Seehofer, dem solches Gekungel suspekt ist und auch zu anstrengend, ist zu diesem Zeitpunkt schon gegangen, will noch im Hotelzimmer an seiner Rede schreiben.
Der Rest der Wahlen dürfte friedlich laufen, wohl auch abseits des Rampenlichts. Selbst die fünf CSU-Vizeposten, vorsichtig ausgedrückt nachrangig, werden ohne Kampfkandidatur vergeben. Der zuletzt glücklose Bundesminister Christian Schmidt zieht seine Kandidatur zurück, weil ihm klar ist, dass er verloren hätte.
Sich ins Schicksal fügen – also eher Einsicht als Harmonie? Gilt das auch für Söder/Seehofer? Vor der Halle steht Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, er schiebt sich ein Hustenbonbon in den Mund. „A-o“, sagt er, was „also“ heißen soll: „Vertrauen wächst mit den Aufgaben. Die sind groß.“
Wer sich Seehofer und Söder genau anschaut, sieht, dass da noch was wachsen muss. Als nach der Begrüßung die Kameraleute und Fotografen auseinanderschwirren, verschwindet ihr Lachen, die Wortwechsel werden kürzer, die Stimmung kühlt ab. Beide zücken ihr Handy, Seehofer telefoniert, Söder tippt SMS. Ein kurzer Moment der Ruhe an diesem Wochenende, an dem sie nicht durchhalten, ihre Harmonie zu spielen.