Als Fachanwältin für Migrationsrecht ist Gisela Seidler, Partnerin in einer Münchner Kanzlei, nicht erst seit der Flüchtlingskrise mit vielen komplizierten Fällen in Berührung gekommen.
Frau Seidler, muss man als Anwalt die Geschichte eines Mandanten vorbehaltlos glauben?
Nein, das muss und sollte man nicht. Oft stellt sich ein vermeintlich unglaubwürdiger Vortrag aber in anderem Licht dar, wenn ich versuche, die „deutsche“ Sicht zu vermeiden. In vielen Ländern der Welt ist die Polizei schlecht ausgebildet und völlig korrupt. Menschen aus manchen Ländern haben ein anderes Zeitverständnis als wir, sie erzählen ihre Geschichte nicht chronologisch. Ich muss aufpassen, den Mandanten nicht Unrecht zu tun. Wenn ich aber überzeugt bin, dass eine Geschichte nicht stimmt, stütze ich das Rechtsmittel auch nicht darauf, sondern prüfe, ob es andere Gründe für ein Abschiebungsverbot oder für eine Aufenthaltserlaubnis gibt.
Und wie erbringt man den Beweis, dass eine Geschichte wahr ist?
Einen richtigen „Beweis“ gibt es oft nicht. Es ist entscheidend, das Gericht zu überzeugen. Ich erinnere mich an den Fall eines kongolesischen Mandanten, dessen Vortrag sowohl zu seiner Verfolgung als auch zu seiner Flucht aus der Haft völlig abenteuerlich und unglaubhaft schien. Dann habe ich bei meiner Recherche sein Foto und einen Bericht über die Verhaftung auf der Internetseite eines seriösen Nachrichtenportals gefunden. Das Verwaltungsgericht hat ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
Wie funktioniert die Kommunikation mit Ihren Mandanten?
Ich kann mit ihnen Englisch oder Französisch sprechen. Für andere Sprachen bringen die Mandanten Sprachmittler mit. Ich muss mich letztlich darauf verlassen, dass die richtig übersetzen. Die meisten Mandanten sprechen aber nach einiger Zeit selbst ausreichend Deutsch.
Inwieweit berühren Sie die Schicksale?
Mich berührt vor allem, wenn jemandem Unrecht widerfährt. Wenn ein Antrag abgelehnt wird, weil beim Bundesamt ein unfähiger Dolmetscher übersetzt hat und dadurch Widersprüche aufgetreten sind. Und es gibt Richter, die man nie überzeugen kann. Es gibt kaum Rechtsmittel im Asylverfahren, und ein Urteil kann noch so falsch sein, aber es gibt keine Überprüfungsmöglichkeit. Das kann mich richtig wütend machen.
Interview: Kathrin Brack