München – Die Aufregung kommt von fast allen Seiten. Sie kommt daher in Gestalt des FDP-Politikers Wolfgang Kubicki, der sagt: Justizminister Heiko Maas habe den Rechtsstaat aufgegeben. Die Aufregung kommt auch von Grünen und Linken – und von der AfD. Stellvertretend warnt die umstrittene Abgeordnete Beatrix von Storch vor Zensur und beklagt, ihre Arbeit sei massiv eingeschränkt.
Klingt alles reichlich dramatisch. Worum es geht? Seit Anfang des Jahres müssen Netzwerke wie Facebook oder Twitter Gewaltaufrufe und Hassreden löschen. Es geht dabei um offensichtlich strafbare Inhalte.
Und spätestens hier beginnen die Probleme. Denn: Wann genau ist ein Inhalt offensichtlich strafbar? Wo endet die Meinungsfreiheit? Und was bedeutet die Löschpraxis für die Justiz, die doch eigentlich zu entscheiden hat, was zulässig ist?
Um diese Fragen hat sich in den vergangenen Tagen eine gepfefferte Debatte entwickelt. Alles beginnt, wohl eher kein Zufall, mit einem Twitter-Beitrag aus den Reihen der AfD. Von Storch wettert in der Silvesternacht gegen „gruppenvergewaltigende Männerhorden“ und „Migrantenmobs“. Zunächst bei Twitter, später auch bei Facebook. Twitter sperrt kurz darauf von Storchs Konto, Facebook löscht ihren Beitrag.
Am 2. Januar sorgt dann ein Twitter-Beitrag von AfD-Parlamentarier Jens Maier für Empörung. Der frühere Richter, Intimus von Partei-Rechtsaußen Björn Höcke, nennt Boris Beckers Sohn Noah einen „Halbneger“. Später rudert Maier zurück, ein Mitarbeiter habe den Tweet verfasst, inzwischen will der AfD-Mann ihn entlassen haben. Von seiner Fraktion gibt es für die offenkundig rassistisch motivierte Beleidigung eine Art Rüffel.
Unklar bleibt allerdings in beiden Fällen, wie die Beiträge letztlich verschwunden sind. Maier gibt an, seinen Tweet selbst gelöscht zu haben; streng genommen fiele er dann nicht unter das neue Gesetz. Twitter behauptet unterdessen, selbst keine Beiträge zu löschen – das könnten nur die jeweiligen Verfasser selbst.
Facebook dagegen löscht schon lange Beiträge, die gegen die internen Richtlinien verstoßen. Allerdings ist das Meldeformular für Verstöße gegen das neue NetzDG beim noch immer weltgrößten sozialen Netzwerk ziemlich versteckt. Bei Twitter, das vor allem von Journalisten und Politikern genutzt wird, findet sich neben jedem Beitrag eine recht einfach zu bedienende Schaltfläche.
Logisch: Das Durcheinander rund um das neue Gesetz ruft auch Satiriker und (selbst ernannte) Spaßvögel auf den Plan. Zwischenzeitlich wird in der ersten Januarwoche das Twitter-Konto der Zeitschrift „Titanic“ gesperrt – nachdem dort von Storchs Tweet parodistisch übertrieben aufgegriffen wurde. Inzwischen können die Satiriker wieder twittern, allerdings dürfte die nächste Sperrung nur eine Frage der Zeit sein.
Nun hat sich also ein breites wie ungewöhnliches Bündnis gegen das von Justizminister Heiko Maas (SPD) gegen viele Widerstände durchgesetzte Gesetz zusammengefunden. Grüne, Linke, AfD, FDP. Eine Art Große Opposition gegen die weiterhin geschäftsführend regierende Große Koalition? Wohl kaum. Beispielhaft dafür sagt der Grünen-Netzpolitiker Konstantin von Notz, die AfD missbrauche die „berechtigte Diskussion“ für Hetze und Rassismus. Das sei schlicht infam.
Doch trotz solcher gewaltiger Differenzen zwischen den NetzDG-Kritikern: Der Widerstand gegen das Gesetz wächst. Auch jenseits der Berliner Politik. Der Deutsche Journalistenverband spricht von einer „Gaga-Vorschrift“. Die „Bild“ fährt eine beachtliche Kampagne. Die „Süddeutsche“ befindet: „Es geht um nichts Geringeres als die Meinungsfreiheit“. Und so weiter.
Kurzfristig dürfte sich freilich nichts ändern. Beobachter bezweifeln auch, ob die SPD das Thema in einer möglichen neuen Koalition mit der Union kritisch anfasst. Immerhin handelt es sich um das Herzensprojekt von SPD-Mann Maas. Unklar bleibt derweil, warum ein gut sieben Jahre alter Tweet des Ministers selbst verschwunden ist. Darin hatte er den Ex-Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin als „Idiot“ bezeichnet. Offenbar hat weder Maas noch einer seiner Mitarbeiter den Tweet gelöscht. Twitter selbst kann es aber nach eigenen Angaben auch nicht gewesen sein.