Diplom-Psychologin Birgit Scheucher (57) ist als verkehrspsychologische Beraterin in München tätig und erklärt, wie Autofahrer mit ihrem Verhalten Stau verursachen können.
Wie oft ärgern Sie sich selbst über Stau?
Das kommt nicht so oft vor. Ich fahre ganz bewusst meistens Bahn. Ich stehe nicht gerne im Stau – und wenn, dann spüre ich Unruhe oder Langeweile. Ich kann nachvollziehen, dass Autofahrer da frustriert oder genervt sind.
Wie viel Anteil hat das eigene Fahrverhalten am Entstehen von Stau?
Den Hauptanteil hat das Verkehrsaufkommen. Im Stau ist dann kluges Verhalten wichtig. Eine gleichmäßige Geschwindigkeit ist gut, als Fahrer sollte ich Lücken nicht gleich auffüllen, Abstände einhalten. Sonst bin ich mit schuld an Stauverschärfung.
Warum drängeln wir trotzdem?
Wir setzen uns alle mit einem egoistischen Motiv ans Steuer. Es wäre gut, wenn sich jeder bewusst macht: Wir alle müssen von A nach B. Fahrer haben ja die Vorstellung, mit dem Auto frei und flexibel fahren zu können, die Kontrolle über die Zeit zu haben. Das klappt im Stau nicht mehr. Also versuchen manche zu drängeln und Zeit zu gewinnen. Objektiv kommt man nicht schneller an – aber man hat das Gefühl der Kontrolle.
Wie sehr steigt dadurch die Gefahr für Unfälle?
Durch stärkere Emotionen geht die Vernunft zurück, die Fahrer sind impulsiver. Dann steigt die Gefahr, zu stark aufs Gas zu drücken, zu spät zu bremsen oder ganz knapp die Spur zu wechseln. Vieles im Verkehr ist unbewusst. Diese riskanten Fahrweisen sind aber bewusst.
Sind wir im Auto leichter reizbar als im Alltag?
Der Mensch wechselt im Auto nicht komplett seine Persönlichkeit, da wird aus Doktor Jekyll nicht plötzlich Mr. Hyde. Bin ich im Auto ungeduldig, bin ich das im Alltag auch. Nur verstärkt sich das Gefühl im Auto, da kann ich nicht entfliehen.
Wie kann man sich im Stau selbst beruhigen?
Oft ist Termindruck ein Thema. Es hilft, sich bewusst zu machen: Ich stehe im Stau. Man muss das als Realität anerkennen und Druck rausnehmen. Man atmet durch, gibt Bescheid, dass man später kommt, macht einen netten Radiosender rein. Es ist auch entlastend, Abstand zum Vordermann zu halten.
Interview: Sebastian Raviol