München – Georg Eisath (60) und Walter Rieder (65) stammen aus dem Eggental. Das liegt oberhalb Bozens, bei freien Autobahnen und Einhaltung aller Tempolimits etwa dreieinhalb Fahrstunden von München entfernt. Die beiden Männer sind Freunde von Kindesbeinen an. Sie wuchsen in den Bergen auf, sie hatten kein Schwimmbad und keine Leichtathletik-Halle. Damals führte eine wildromantische Straße mit überhängenden Felsen ins Eggental. Ortsfremden Fahrern verlangte sie alles ab. Im Winter schleppten die Burschen stundenlang ihre Ski nach oben, um einige hundert Meter abfahren zu können. Ein Skikarussell, wie es heute existiert, gab es noch nicht. Manchmal fuhren sie dem Schnee verzweifelt nach, weil es schon damals nicht genug von der weißen Pracht gab. Das schürte den Wunsch nach dauerhaftem Schnee.
Nach ihrer Ausbildung zum Maschinenbauer und Elektrotechniker gingen die beiden Männer zum Liftbetrieb nach Obereggen. Mittlerweile hatte der Skitourismus die Berge erreicht. Unterhalb des Latemar-Massivs entstand in den 80er-Jahren ein neues großes Skigebiet. Es wurde viel investiert und viel geplant, doch es gab nicht so viel natürlichen Schnee, wie er für die wachsende Brettl-Schar gebraucht wurde. „Die Situation war nun eine andere“, erinnert sich Eisath: „Die Auffahrten wurden immer mehr, die Skifahrer und deren Ansprüche wuchsen ebenfalls. Die Pistenpräparierung wurde zwingend notwendig, jetzt musste man alles plattwalzen und jeden Tag fräsen.“ Dass es früher mehr Schnee gegeben hätte, hält er für ein Märchen, „sonst hätten wir ja gar nicht angefangen zu tüfteln“, sagt Eisath.
Wenn er spricht, dann ungewöhnlich schnell und in gleichbleibender Tonlage. Als müsse er Druck aufbauen, jenen Druck, mit dem seine Schneekanonen arbeiten. In seiner Heimat kennt ihn jeder. Er ist ein Schrank von einem Mann, der sich dennoch leichtfüßig bewegt. Die Einheimischen nennen ihn liebevoll Bär. Er ist dauerhaft präsent, ohne aufdringlich zu wirken. Ein hellwacher Zeitgenosse, der sich gedanklich stets in der Zukunft bewegte.
Als die USA und Österreich die ersten Schneekanonen auf den Markt brachten, ließ sein Chef eine Schneemaschine aus Amerika importieren. Diese kostete ein Vermögen, funktionierte allerdings schlecht, da sie nicht für die Temperaturen der Alpen-Südseite ausgelegt war.
Rieder und Eisath begannen zu konstruieren. Vom Prinzip her diente ihnen das amerikanische Modell als Grundlage. Für den Propeller musste anfangs ein Ventilator zum Heutrocknen herhalten. Die notwendigen Sprühdosen kamen aus der Landwirtschaft, den so immens wichtigen Wasserdruck entwickelten die Männer dank eigenem Fachwissen. Im Skigebiet Obereggen werkelten sie oft Nacht für Nacht, wenn die Temperaturen das Schneemachen zuließen. Als der Prototyp einigermaßen funktionierte, kaufte ihn der Liftbetreiber und bot den beiden die Möglichkeit, weiter zu tüfteln.
Besessen von der Idee, den perfekten, homogenen Schnee zu schaffen, der mit den Außentemperaturen harmoniert, schufteten sie weiter. Stets war Eile geboten, nur die Wintermonate kamen infrage. In den Bergen boomte der Tourismus. Und die neuen Carver-Ski, die Snowboard- und Trick-Ski-Fahrer mit ihren Kickern und Funparks brauchten generell viel und immer mehr kompakteren Schnee, als er in natürlicher Konsistenz vom Himmel fällt.
1986 gründeten die Männer ihre erste eigene Firma. Es war ein kleiner Betrieb, der 1990 in die „TechnoAlpin“ umgewandelt und nach Bozen verlagert wurde. Heute stehen die sonnengelben Schneemaschinen fast überall in den Alpen. Der Betrieb boomte, das Unternehmen wurde riesengroß, in Vierkirchen (Kreis Dachau) entstand die Deutschland-Zentrale. Von hier aus beschneien sie ganz Oberbayern.
Auch bei den Olympischen Winterspielen in Südkorea sind die Schneemacher am Start. In den vergangenen Wochen haben sie im eisig kalten Pyeongchang (minus 20 Grad) jede Flocke produziert. Naturschnee ist keiner gefallen. Sie haben das gesamte Beschneiungssystem konzipiert. Das ist die große Stärke der Firma.
Doch so einfach, wie sich die Erfolgsgeschichte liest, war sie nicht. Vor allem die Finanzierung bereitete anfangs erhebliche Probleme. Die Erfinder hatten kein Geld in der Hinterhand, mussten bei der Bank um jeden Cent betteln. „Wir haben gesagt, wir bauen Schneekanonen“, erinnert sich Eisath. „Da war der Bankdirektor natürlich hellauf begeistert und hat gemeint, wir sollen einfach sagen, wie viel wir brauchen“, berichtet Eisath ironisch und lacht. Die Produktion sei in ganz kleinen Schritten vorangeschritten. Anfangs waren es drei Schneekanonen jährlich, dann zehn, dann 20, heute sind es 2000 plus 4000 Schneelanzen. Denn nicht überall kann man mit jeder Maschine den passenden Schnee produzieren.
Generell braucht es Platz, damit sich die Gischttropfen während der Flugphase auskristallisieren können. Wo der Platz fehlt, beispielsweise auf schmalen Waldabfahrten, simulieren langstielige Schneelanzen die Flugbahn. Am Ende trudeln die fertigen Flocken zu Boden. Damit sie sich mit dem vorhandenen Kunst- und Naturschnee zu einer homogenen Auflage verbinden, muss die Mischung von Wasserdruck und Tropfengröße stimmen. Das ist der Geheimcode der Schneemacher. Die Hardware beziehen sie aus aller Herren Länder. Die Rohre kommen aus Schweden, die Pumpen und Kabel aus Tschechien, die Hydranten aus Amerika.
Bei aller Technik liebt Eisath die Konsistenz des natürlichen Schnees über alles. Frau Holles Flocken gehören für ihn einfach zur Winterstimmung dazu. „Grundsätzlich schmerzt es mich, wenn nur die Pisten weiß sind und mehr nicht“, sagt er. Doch der Schnee, den er bei kalten Temperaturen herzaubern kann, ist der Schnee, den die modernen Skifahrer verlangen. Mit gefühlvollem Winterfeeling hat das nichts zu tun.
Für die Stimmung allein wird er sicher niemals Schnee produzieren. Dafür ist die Herstellung viel zu teuer. Grundsätzlich lasse sich überall Schnee machen, behauptet der Schneemacher – vorausgesetzt, die klimatischen Bedingungen stimmen. Deshalb seien auch die tiefer liegenden Skigebiete nicht unbedingt im Nachteil, solange es Frost gebe. Die optimale Beschneiungs-Temperatur liegt bei minus sieben Grad. Für Stadt-Spektakel auf Schnee wie City-Sprints oder Biathlonwettbewerbe in Fußballstadien rücken die Schneemacher mit sogenannten Eis-Factorys an. „Das sind überdimensionale Kühlschränke“, erklärt Eisath. In diesen Riesenkisten wird eine Art Schnee auf Eisbasis produziert. Anschließend wird mit der äußerst kompakten Masse die künstliche Langlauf-Spur wettkampftauglich präpariert. Für Skipisten taugt dieses Crashed-Ice-Material wenig.
Mittlerweile ist die Kunstschnee-Herstellung zur Routine geworden. In Eisaths Heimat gönnt sich bereits ein gehobenes Hotel einen Snowroom. Dort schneit es immer, auch im Sommer. Aus einem stilisierten Baum mit Stahlästen fliegen die Flocken in den Raum. Saunagäste können sich hier abkühlen.
Georg Eisath ist mittlerweile aus der Schneemacher-Branche ausgestiegen. In der Nachbargemeinde Welschnofen suchte er sich ein neues Zukunftsprojekt. In wenigen Monaten schuf er eine Gondelbahn, die die Komfort verwöhnte Skigemeinde in Windeseile in ein großes Skigebiet befördert. Noch wirft seine Bahn keinen Profit ab. Doch die Zeit arbeitet für ihn, wie damals, als er auszog, um den Schnee neu zu erfinden.