München – 7367 Insektenarten stehen auf der bundesweiten Roten Liste – ein Drittel davon ist gefährdet oder bereits ausgestorben. Das geht aus einer gestern vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) veröffentlichten Auswertung hervor. Im Interview spricht Nabu-Experte Till-David Schade über die Folgen für Natur und Mensch – und mögliche Auswege.
-Herr Schade, warum ist das Insektensterben eine schlechte Nachricht?
Insekten erfüllen in unserem Ökosystem extrem wichtige Funktionen. Rund 80 Prozent aller Wildpflanzen – Kräuter, Sträucher, Bäume – werden von Insekten bestäubt. Wenn das ausbleibt, ist die biologische Vielfalt gefährdet. Zudem sind Insekten Nahrung für viele Tierarten, also Teil des Nährstoff-Kreislaufs.
-Was sind die Folgen für die Menschen?
Auch die meisten Kulturpflanzen sind auf Bestäubung durch Insekten angewiesen. Wenn deren Zahl deutlich zurückgeht, kann das letztlich dazu führen, dass die Ernährung der Menschen gefährdet ist.
-Sinkt die Zahl der Insekten insgesamt? Oder nur die Zahl der verschiedenen Insektenarten?
Im vergangenen Jahr gab es die „Krefelder Studie“, in der die Biomasse an Insekten ausgewertet wurde. Also das reine Gewicht. Daraus lässt sich folgern, dass in den untersuchten Regionen die Biomasse an Fluginsekten um über 75 Prozent zurückgegangen ist – bezogen auf die vergangenen 30 Jahre. Auch die Vielfalt der Arten sinkt.
-Das geht etwa aus der Roten Liste hervor…
…korrekt. Allerdings ist der Name irreführend. Nicht alle dort aufgelisteten Arten sind potenziell gefährdet. Sondern auf dieser Liste sind alle Arten festgehalten, über die ausreichend Informationen vorliegen. Zwei Drittel der Arten sind als ungefährdet kategorisiert. Ein Drittel dagegen ist gefährdet oder ausgestorben.
-Wissen wir genug über die Insektenwelt?
80 Prozent der Insektenarten in Deutschland sind nicht durch die Rote Liste ausgewertet. Das sind 33 000 Arten. Deshalb fordern wir als Naturschutzbund auch seit langem großflächige Erhebungen. Stand heute gilt: Was wir wissen, ist besorgniserregend. Und was wir nicht wissen, muss uns höchstwahrscheinlich noch mehr beunruhigen.
-Kommen wir zu den Ursachen des Insektensterbens. Welche Rolle spielt die Landwirtschaft?
Die größte Rolle, zusammen mit der Flächenversiegelung. 50 Prozent der Landflächen in Deutschland werden überwiegend intensiv landwirtschaftlich genutzt. Monokulturen, enge Fruchtfolgen, massiver Einsatz von Pestiziden – das alles schadet den Insekten natürlich.
-Die bösen Landwirte?
Nein. Als Bauer ist man in der Regel auch nur Teil eines globalisierten, auf Gewinn angelegten Marktes. Man muss eine Ebene höher ansetzen, in der Politik.
-Okay. Sie sind für einen Tag Julia Klöckner von der CDU – nach ihrer Vereidigung als Landwirtschaftsministerin. Was machen Sie?
Auf EU-Ebene würde ich anregen, dass die Agrarpolitik grundlegend neu gedacht wird. Ich würde ein Programm auflegen, das Landwirte für Naturschutzmaßnahmen und Öko-Landbau finanziell ausreichend unterstützt. Im Gegenzug sollten Landwirte, die keine Naturschutzleistungen erbringen, auch keine Subventionen mehr erhalten. Auch den Einsatz von Pestiziden und Dünger würde ich deutlich beschränken.
-Wie sehr haben Sie sich über das Scheitern einer Jamaika-Regierung mit grüner Beteiligung geärgert?
Wir hätten uns natürlich gefreut, wenn die Themen Umwelt und Naturschutz prominent auf der Agenda gelandet wären. Aber einzelne Beschlüsse im Koalitionsvertrag von Union und SPD stimmen uns auch optimistisch.
-Die Ankündigung einer Strategie zum Insektenschutz bis 2020 reicht Ihnen?
Immerhin steht das Thema im Koalitionsvertrag. Aber klar: Wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass es nicht bei einer leeren Worthülse bleibt – und dass unsere Ideen gehört und umgesetzt werden.
-Das ist die große Politik. Was kann denn jeder Einzelne tun?
Kleingartenbesitzer brauchen keine Pestizide. Wenn der Rosenbusch mal einen Blattlausbefall hat, lässt sich das auch durch andere Mittel in den Griff kriegen – oder man wartet eben ein Jahr.
-Dieser Vorschlag wird Rosen-Fans begeistern.
Es geht um einen Bewusstseinswandel. Auch ein wilder Garten kann schön sein. Wir müssen weg vom Ideal des englischen Rasens. Und auch Nahrung, Kleidung und sonstiger Konsum haben mit der Natur zu tun.
-Dieses korrekte, naturfreundliche Leben können sich viele Menschen aber schlichtweg nicht leisten.
Das stimmt. Aber auch für Menschen mit weniger Geld im Portemonnaie gibt es Möglichkeiten, einen nachhaltigen Lebensstil zu pflegen.
Interview: Maximilian Heim