Ost-Ghuta

Assads mörderischer Siegeszug

von Redaktion

von Marcus Mäckler

München – Der Ärger des Baschar al-Assad muss gewaltig sein. Seit gut zwei Jahren bringen seine Truppen mithilfe der Russen und Iraner Syrien wieder unter ihre Kontrolle – Stück für Stück, Bombe für Bombe, und nach allem, was man weiß, völlig rücksichtslos. Ende 2016 erobern sie die umkämpfte Stadt Aleppo zurück, ein Jahr später erklären sie die IS-Miliz für besiegt. Aber ausgerechnet vor der eigenen Tür, in der Region um die Hauptstadt Damaskus bekommen sie lange keinen Fuß auf den Boden. Ost-Ghuta ist Rebellenland – und Assads größte Schmach.

Bisher. Denn seit fast drei Wochen bombardieren das Regime und seine Verbündeten die Region mit allem, was sie haben. Internationale Appelle prallen an ihnen ab, die Forderung des Weltsicherheitsrats nach einer 30-tägigen Waffenruhe auch. Die Zahl der zivilen Opfer steigt täglich, inzwischen sollen es über 900 sein, darunter 200 Kinder. Die Vereinten Nationen sprechen von einer „Hölle“ – eine, die Assad nutzt. Glaubt man der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, haben seine Truppen die Hälfte Ost-Ghutas zurückerobert.

Es könnte also alles ganz schnell gehen. Dann stellt sich für die 400 000 Menschen, die derzeit in der Region eingeschlossen sind und täglich um ihr Leben fürchten, eine einfache Frage: Wird es besser als vorher – oder schlechter?

Diejenigen, die bisher über Ost-Ghuta herrschen, sind tatsächlich keine hoffnungsvolle Alternative. Zwei islamistische Gruppen haben sich das 100 Quadratkilometer große Gebiet aufgeteilt. Die größere nennt sich Dschaisch al-Islam (Armee des Islam) und ist ein Zusammenschluss von gut 40 militanten Gruppen. Sie beherrscht die wichtige Stadt Duma und will das Assad-Regime durch einen islamischen Staat mit Scharia-Recht ersetzen. Von Saudi-Arabien finanziert, konnte sich die Gruppe militärisch gut ausrüsten. Schätzungen zufolge gehören ihr bis zu 15 000 Kämpfer an.

Mit ihr verfeindet ist die zweite große Rebellengruppe, die Faylaq al-Rahman. Sie tritt zwar gemäßigter auf, hat aber ein Bündnis mit einer offen radikalen dritten Gruppe geschlossen, der Hay’at Tahrir al-Sham. Sie gilt als Nachfolger der Al Nusra-Front – und den Vereinten Nationen daher als Terrororganisation.

„Wenn man so will, sind diese drei die bösen Jungs“, sagt André Bank vom Hamburger GIGA Institut für Nahost-Studien. „Auch sie herrschen repressiv und unterdrücken die Menschen auf andere Weise als Assad.“

Einschüchterungen, Inhaftierungen, Folter – die Liste der Vergehen ist lang. Im April 2017 griffen Kämpfer der Hay’at Tahrir al-Sham sogar ein Krankenhaus von „Ärzte ohne Grenzen“ an und zwangen die Mediziner, ihre Arbeit zu beenden. Die Dschaisch al-Islam wurde anderthalb Jahre vorher durch eine besonders niederträchtige Episode bekannt: Damals pferchten die Extremisten gefangene syrische Soldaten und ihre Familien in Käfige, rund 100 sollen es gewesen sein. Diese Käfige setzten sie dann als menschliche Schutzschilde gegen Assads Truppen ein.

Wer von den Rebellen in Ost-Ghuta spricht, meint diese Gruppen. Aber er vergisst, dass es neben den „bösen Jungs“ auch die guten gibt.

Als die Proteste in Syrien 2011 in einen Bürgerkrieg umschlugen, wurde Ost-Ghuta zum Sammelbecken der zivilen Opposition; diejenigen, die sich hier trafen, wollten die Vorboten eines neuen, demokratischen Syriens sein. Sie gründeten Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser. Sie organisierten sich in lokalen Komitees und bauten freie Radiostationen auf. Es entstand eine Zivilgesellschaft, wie es sie zuvor in Syrien nicht gab. 2013 begannen Assads Truppen dann, die Region zu belagern, und langsam gewannen islamistische Gruppen die Oberhand. „Die zivile Opposition ist seither schwächer geworden“, sagt André Bank. „Aber es gibt sie noch.“

Es ist kein Geheimnis, dass Assad zwischen ihnen und den offen extremistischen Gruppen keinen Unterschied macht. Bank sieht sogar „klare Anzeichen dafür, dass Assad zivile Einrichtungen gezielt bombardieren lässt, um das Leben der Menschen zur Hölle zu machen“. Er steht mit gemäßigten Oppositionellen in Kontakt, aber die meisten von ihnen scheuen inzwischen die Öffentlichkeit. Ohnehin ist es im Moment kaum möglich, mit Menschen in Kontakt zu kommen, die sich noch in Ost-Ghuta aufhalten.

Denn wer nicht von einer der unzähligen Bomben verletzt wurde, leidet mit großer Wahrscheinlichkeit unter Hunger oder Krankheit. Die humanitäre Lage in dem Gebiet ist nach wie vor katastrophal. Erst gestern mussten Organisationen wieder einen geplanten Konvoi mit Hilfsgütern verschieben. Die militärische Lage habe das einfach nicht zugelassen, erklärte die Sprecherin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in Syrien, Ingy Sedki. Zuletzt war am Montag eine Hilfslieferung nach Ost-Ghuta gelangt.

Die Organisation „Adopt a Revolution“ ist noch immer in Ost-Ghuta tätig und liefert Berichte aus der Kampfzone. Im jüngsten – er ist gerade wenige Tage alt – berichtet der Lehrer Nadar von pausenlosen Bombardements: „Die Zivilisten hier haben riesige Angst, ich habe riesige Angst um meine kleine Tochter“, heißt es dort. „Wir sind 24 Stunden am Tag im Keller, wir können den Tag nicht mehr von der Nacht unterscheiden.“

Die Zivilgesellschaft, die sich unter der Herrschaft der Rebellen kleine Freiräume erhalten konnte, ist im Bombenhagel verstummt. Nun zählt nur eine Frage: Was passiert, wenn Assad zurück ist? Der Zeitpunkt naht. Gestern wurde gemeldet, Regierungstruppen hätten einen Keil durch Ost-Ghuta getrieben. Außerdem geht das Gerücht, die radikalen Rebellen verhandelten mit dem Assad-Regime über einen Abzug aus dem Gebiet. Übrig wären Zivilisten und all jene, die auf ein demokratisches, pluralistisches Syrien gehofft haben.

„Die zivilen Rebellen sind eine Minderheit“, sagt Syrien-Experte Bank. „Aber wenn wir langfristig in Syrien andere Strukturen haben wollen, müssen wir dieses Pflänzchen gießen.“ Wenn das dann noch möglich ist.

Artikel 2 von 3