Biertrend

Die neue Lust am Alkoholfreien

von Redaktion

Von Thomas Radlmaier

München – Alkoholfreies Bier, kein Scherz, soll Deutschlands Spitzensportlern in Südkorea massenhaft Goldmedaillen beschert haben. Das glauben zumindest amerikanische Medien. Die „New York Times“ veröffentlichte während der Olympischen Winterspiele in Pyeongchang einen Artikel mit der Überschrift: „Deutsche Olympioniken trinken viel (alkoholfreies) Bier und gewinnen viele Goldmedaillen.“ 3500 Liter sollen in Südkorea deutsche Sportlerkehlen hinuntergeflossen sein. Und – so die These der Autoren – 31 Mal zu Edelmetall verholfen haben.

Das ist natürlich einerseits ein Schmarrn. Andererseits ist schon was dran an diesem Bild von Deutschland als Nation des alkoholfreien Biers. Es ist gerade auf einem Siegeszug durch die ganze Republik.

Im Land gibt es 1500 Brauereien. Beim Deutschen Brauerbund (DBB) schätzt man, dass davon 400 alkoholfreies Bier brauen. Der Absatz alkoholfreier Biere hat sich seit 2008 verdoppelt – obwohl die Deutschen pro Kopf immer weniger Bier trinken (siehe Grafik).

Nachdem die Brauereien 2014 erstmals die Fünf-Millionen-Hektoliter geknackt hatten, waren es 2017 bereits rund 6,2 Millionen Hektoliter Alkoholfreies. Zwar liegt der Marktanteil alkoholfreier Biere nur bei sechs Prozent. Aber langfristig zeigt die Kurve steil nach oben. „Wir gehen davon aus, dass sich dieser Trend über 2020 hinaus fortsetzen wird“, heißt es beim DBB.

Bier-Traditionalisten fragen sich vielleicht, wie es so weit kommen konnte, dass das Alkoholfreie das ganze Land erobert. Den bayerischen Bierpatrioten sei gesagt: Jetzt nicht aufregen! Ein Preiß hat’s erfunden. Der Berliner Ullrich Wappler brach Anfang der 1970er-Jahre mit der jahrhundertelangen Braukunst der Mönche. Er braute in der DDR weltweit das erste Bier ohne Alkohol. Der Braumeister der VEB Engelhardt-Brauerei aus Berlin-Stralau präsentierte seine Schöpfung 1972 auf einer Leipziger Messe – unter dem Namen AUBI. Die Abkürzung steht für Autofahrerbier. Ende der 70er-Jahre kamen in Westdeutschland erste alkoholfreie Biere auf den Markt.

Dass alkoholfreies Bier heutzutage nur derjenige trinkt, der auf einer Party nüchtern bleiben muss, ist längst überholt. Das Alkoholfreie wird gern getrunken. Es trifft den Zeitgeist. DBB-Geschäftsführer Holger Eichele spricht von einem „Lifestyle-Getränk“. Es sei für diejenigen, die Bier lieben, aber auf Alkohol verzichten wollen. Eichele glaubt, dass die Menschen gesünder und bewusster leben als noch vor 20 Jahren. „Biere, die keinen Alkohol enthalten und deutlich weniger Kalorien, stehen deshalb hoch im Kurs.“

Eine weitere Beobachtung: Besonders Sportler schätzen alkoholfreies Bier, weil es oftmals mineralisch und isotonisch sei, sagt Eichele.

Der Mann, der bewiesen hat, dass Bier gesund ist – vorausgesetzt der Alkohol fehlt –, heißt Johannes Scherr. Er ist Oberarzt am Zentrum für Prävention und Sportmedizin der Technischen Universität München. Außerdem betreut er die Fußballer des FC Ingolstadt und die Alpinen des Deutschen Skiverbands als Mannschaftsarzt.

Vor einigen Jahren untersuchte er, wie sich der Konsum alkoholfreien Bieres auf den Körper auswirkt. Dafür gaben er und sein Team Startern des München Marathons alkoholfreies Bier. Von 277 Probanden trank die Hälfte jeden Tag und fünf Wochen lang eineinhalb Liter. Die andere Hälfte bekam ein Placebo-Getränk. Das Ergebnis war bemerkenswert: Die Sportler, die das echte alkoholfreie Bier getrunken hatten, hatten ein besseres Immunsystem, waren weniger anfällig für Infekte und Erkältungen.

Scherr selbst überraschte das Resultat. „Ich hätte nicht gedacht, dass die Effekte so groß sind, vor allem bei Infekten der Atemwege und den Entzündungsparametern. Das war schon sehr überraschend“, sagt er unserer Zeitung. Sogenannte Polyphenole im Bier wirken sich positiv im Körper aus. Das sind Pflanzenstoffe, die zum Beispiel Entzündungen hemmen. Im alkoholfreien Bier kommt ein Teil davon vom Hopfen. Zwar stecken Polyphenole auch in alkoholhaltigem Bier. „Aber es ist davon auszugehen, dass der Alkohol ihre positive Wirkung aufhebt.“ Und es gibt natürlich noch einen Vorteil: „Alkoholfreies Bier enthält um 40 Prozent weniger Kalorien als alkoholhaltiges Bier. Man bekommt dadurch nicht so schnell Abdominalfett, das heißt einen Bierbauch.“

Das ist die eine Seite, die medizinische. Aber was sagen die bayerischen Brauer? Fragt man bei denen nach, stößt man oft auf Zwiespalt und hört viele Ja-Aber-Sätze. Anruf bei der Weißbier-Brauerei Unertl in Haag in Oberbayern. Alois III ist der Chef, sein Sohn Alois IV der Braumeister. Wer die Unertls kennt, der weiß: Die nehmen kein Blatt vor den Mund. Alois IV stellt gleich mal klar: Ein „Alkfreies“ zu brauen, „ist ungefähr so, als würde man beim Kochen keine Butter verwenden“, sagt er und schießt gleich hinterher. „Aber a gute Köchin schafft an guten Geschmack auch mit wenig Kalorien. Der Absatz des Leichten und Alkfreien freut uns narrisch.“

Im Jahr braut er 29 800 Hektoliter, davon sind 6700 Hektoliter leichtes Weißbier und 3600 Hektoliter Alkoholfreies. Letzteres haben die Unertls erst 2011 auf den Markt gebracht. Ein bissal kurios finden die Unertls den Boom aufs Alkoholfreie schon. Die Nachfrage werde immer mehr, sagt Alois IV. „Wir haben Anfragen aus der Gastronomie über Alkoholfreies im 50-Liter-Fass.“

Nicht jede Brauerei kann da mithalten. Es ist um einiges aufwendiger und kostenintensiver, ein alkoholfreies Bier zu brauen, als ein normales. Grundsätzlich gibt es zwei Methoden. Entweder der Braumeister stoppt die Gärung, bevor der Alkoholwert die 0,5-Prozent-Marke übersteigt – mehr Alkohol darf ein Alkoholfreies rechtlich nicht enthalten. Oder er braut ein normales Bier und entzieht den Alkohol später.

Bei beiden Methoden muss das Bier pasteurisiert werden, damit es haltbar bleibt. Dafür und für die Entalkoholisierung braucht man aber eine entsprechende Anlage. Und die ist teuer. Die Gutmann-Brauerei aus Titting schreibt auf Nachfrage: „Um eine gleichbleibend hohe Qualität zu garantieren, waren Umbauten und Investitionen nötig. Das waren alles neue Herausforderungen.“ Und Braumeister Günther Breitenfellner von Arcobräu aus Moos sagt: Die Erweiterung auf Alkoholfreies habe „einen Batzen Geld“ gekostet. Und dann folgt wieder ein Aber: „Aber es war eine Investition in die Zukunft.“

Große Brauereien wie Erdinger, deren Alkoholfreies zu den bekanntesten zählt, tun sich leichter, auf gesellschaftliche Trends zu reagieren. Kleinere haben oft wenig finanziellen Spielraum. Aber sie müssen mitziehen, wenn sie auf dem Bier-Markt bestehen wollen. Das weiß auch Brauerbund-Geschäftsführer Eichele. Er rät den Brauereien, Alkoholfreies in ihr Portfolio aufzunehmen. Viele Unternehmen hätten sich bereits erfolgreich erweitert, sagt er. „Verbraucher können in nahezu allen Lebenssituationen Bier genießen – auch dann, wenn Alkohol gerade nicht passt.“ Mit alkoholfreien Bieren gewinne man auch neue Zielgruppen, etwa Sportler.

Das sieht man bei der Unertl-Brauerei auch so. Der alkoholfreie Biertrinker sei nicht „der typische Bier-, sondern eher der ehemalige Schorlen- oder Spezitrinker“, sagt Alois Unertl. Zumindest habe das Alkoholfreie „das Unertl Original nicht kannibalisiert“. Man schmeckt halt einen Unterschied. Wäre ja auch komisch, wenn es anders wäre.

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