Nach dem Echo für antisemitischen Rap

Chronik eines angekündigten Skandals

von Redaktion

von Michael Schleicher

München – Einmal im Jahr feiert die deutsche Musikbranche sich und ihre Verkaufserfolge bei der Echo-Verleihung. Ganz ohne Skandale ging das seit der Premiere 1992 nie über die Bühne – so wurden etwa die Bands Oomph! (2006) und Frei.Wild (2013) wegen ihrer umstrittenen Texte von der Gala ausgeladen. Jetzt hat die Kontroverse aber eine neue Qualität erreicht. Das könnte die Auszeichnung, die vom Bundesverband Musikindustrie verliehen wird, in den Grundfesten erschüttern. „In dieser Form hat der Echo keine Zukunft“, sagt der Musiker und Grafiker Klaus Voormann, der als Erster seine Trophäe zurückgegeben hat, im Gespräch mit unserer Zeitung (siehe Interview rechts).

Am vergangenen Donnerstag waren die Rapper Kollegah und Farid Bang für ihr Album „Jung, Brutal, Gutaussehend 3“ geehrt worden. Die Platte, erschienen am 1. Dezember 2017, erreichte in Deutschland, Österreich und der Schweiz Platz eins der Charts – und blieb dort jeweils für mehrere Wochen. In der deutschen Hitparade ist die CD noch immer, aktuell auf Platz 37. Ein kommerzieller Erfolg also für das Duo, das in den Songs Textzeilen wie „Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen“ und „Mache wieder mal ’nen Holocaust, komm’ an mit dem Molotow“ rappt.

Dass solche Aussagen mit dem Echo geehrt wurden (obendrein an Yom Hashoah, Israels Gedenktag für die Opfer der Schoah), empört seit Tagen viele Musikfans. „Antisemitische Provokationen haben keine Preise verdient, sie sind einfach widerwärtig“, schreibt Außenminister Heiko Maas (SPD) auf Twitter. Campino, der Sänger der Toten Hosen, machte seinem Ärger in einer viel beachteten Rede bereits bei der Echo-Gala Luft.

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden, nennt die Ehrung ein „verheerendes Zeichen“. Gestern erhielt sie nun einen Brief von Florian Drücke, dem Vorstandsvorsitzenden des Bundesverbands Musikindustrie. Er schreibt von einem „Fehler“ und ergänzt: „Wir entschuldigen uns ausdrücklich dafür – bei Ihnen und allen anderen Menschen, deren Gefühle wir verletzt haben.“ Knobloch habe mit ihrer Kritik Recht, formuliert Drücke. „Wir als Vorstand haben das falsch bewertet und wollten uns an der falschen Stelle für die künstlerische Freiheit einsetzen.“ Das Geschehene sei nicht mehr rückgängig zu machen. „Wir können allerdings vermeiden, dass solche Fehler in Zukunft wieder geschehen.“

Unterdessen schicken immer mehr Künstler aus Protest ihren Echo zurück (siehe unten). Bereits am Montag sah sich der Bundesverband zur Reaktion gezwungen: „Wenn Künstler entscheiden, ihren Echo zurückzugeben, bedauern wir das zutiefst, müssen dies aber natürlich respektieren.“ Man lehne „jede Art von Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit, Homophobie und Gewaltverherrlichung ab“.

Für Peter Maffay ist das nicht genug. Er wurde heuer zwar nicht selbst ausgezeichnet, sondern Peter Keller als Produzent von Maffays „MTV Unplugged“-Album, dennoch war der Musiker der Erste, der personelle Konsequenzen forderte: „Die Verantwortlichen sollten ihren Hut nehmen und an ihre Stelle sollten glaubhafte Personen treten, die für die Zukunft die nötige Transparenz garantieren“, schreibt der 68-Jährige auf Facebook.

Eine Forderung, der jetzt Christian Höppner nachgekommen ist. Der Präsident des Deutschen Kulturrats zieht sich aus dem siebenköpfigen Echo-Beirat zurück. Das Gremium hatte sich gegen den Ausschluss des Albums von Bang und Kollegah entschieden. Ein „Fehler“, so Höppner gestern. Für ihn ist das Format des Echos „so gesellschaftlich nicht mehr tragbar“. Die Musik des Duos sei „nicht meine. Die Texte finde ich widerlich.“ Er habe die Entscheidung der Jury aber zunächst unter dem Aspekt der Freiheit der Kunst respektiert. Höppner spricht von einer „seit Jahren zu beobachtenden Eskalationsspirale an Hass, Rassismus und Gewalt“. Zuvor hatte sich der Deutsche Kulturrat von der Auszeichnung distanziert, ohne jedoch seinen Präsidenten offen zu kritisieren.

Das von Höppner angesprochene „Format“ der Auszeichnung ist der Geburtsfehler des Echos. Denn dieser Preis wird ausschließlich nach kommerziellen Aspekten vergeben. In den einzelnen Kategorien können nur die jeweils fünf verkaufsstärksten Künstler oder Bands eines Jahres nominiert werden. Aus dieser sogenannten Shortlist wählen die Juroren in geheimer Abstimmung ihren Favoriten. Chart-Erfolge und Jury-Stimmen werden addiert, um das Endergebnis eines Künstlers oder einer Band zu errechnen.

Wer um dieses Prozedere weiß, der erkennt das tieferliegende Problem, das die Gala an die Öffentlichkeit gebracht hat: Es gibt in Deutschland viele Menschen, die Musik mit antisemitischen, frauenverachtenden und homophoben Texten kaufen – und deren Produzenten dadurch zu Preisträgern machen.

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