Einzigartige Trauerhilfe

Eine zweite Heimat für Waisen

von Redaktion

Von Doris Richter

München – Es war an einem Abend im April 1997, als das Telefon klingelte. Ihr Mann, hieß es am Telefon, sei bei einem Autounfall in Griechenland ums Leben gekommen. „Mich hat es mit voller Wucht aus dem Leben rauskatapultiert“, erinnert sich Martina Münch-Nicolaidis. Sie war damals 29. „Das ist keine normale Krise, die vorbeigeht.“ Sie litt – und suchte sich Hilfe, machte eine Therapie. Merkte, wie gut das Gespräch tat. Aber auch, dass es für junge Verwitwete kaum Gelegenheit zum Austausch mit anderen Betroffenen gab. „Dabei haben junge Trauernde neben ihrem schweren Verlust viele weitere Probleme, gerade wenn noch kleine Kinder im Spiel sind.“

Schon damals hätte sie sich einen geschützten, festen Ort gewünscht, wo sie und ihre gerade geborene Tochter Hilfe finden und mit anderen Betroffenen zusammenkommen. Über 20 Jahre später entsteht nun ein solcher Ort. Vielmehr noch: ein europaweit einzigartiges Projekt in der Trauerhilfe. Das Sternenhaus für junge Verwitwete und ihre Kinder (siehe Text unten) – und Martina Münch-Nicolaidis, 50, aus München hat ihn selbst verwirklicht.

Schon kurz nach dem Tod ihres Mannes regte sich bei ihr neben dem Schmerz nach und nach der Wunsch, anderen zu helfen, die das gleiche Schicksal teilten. Sie verkaufte die Softwarefirma, die sie mit ihrem Mann geführt hatte, und gründete 1999 die „Nicolaidis Hilfe e.V.“ für junge verwitwete Mütter und Väter, organisierte eine erste Selbsthilfegruppe. Schnell merkte sie, auf welch große Lücke sie gestoßen war. Immer mehr Betroffene meldeten sich, dankbar für das Angebot.

Auf ihrem Schreibtisch zuhause stapelten sich Briefe und Unterlagen immer höher. Einige Ehrenamtliche halfen, die Gruppen zu organisieren – und auch erste Angebote für die Kinder. Überhaupt: die Kinder. Über die Jahre rückten sie mehr und mehr in den Fokus. „Es gibt nichts Schlimmeres für ein Kind, als ein oder beide Elternteile zu verlieren“, sagt sie. Die Eltern seien ja das Fundament, auf das sie ihr ganzes Leben aufbauen. „Wenn man sich da nicht rechtzeitig kümmert, kann das schlimme Folgen haben.“

Selbsthilfegruppen für Kinder und junge Menschen von 3 bis 27 Jahre, Hilfe bei der Berufsorientierung, die Onlineberatungsstelle YoungWings, ein Bildungsstipendium, Freizeitgruppen – nach und nach wuchs das Angebot für die Halb- und Vollwaisen. Wie sehr sie der Unternehmerin am Herzen liegen, spiegelt sich auch im neuen Namen der Stiftung wider, der Nicolaidis YoungWings Stiftung, gegründet 2014 mithilfe von zwölf Stiftern, langjährigen Unterstützern – „ein Meilenstein“, sagt die Gründerin. Der Weg dorthin: steinig. Oft war sie kurz davor, alles hinzuschmeißen. „Zeitweise lebten wir von der Hand in den Mund.“ Wenn sie niemanden fand, der ihr Projekt unterstützte, mögliche Förderer zögerten. Doch immer kurz vor Schluss öffnete sich eine Tür.

Plötzlich läuft es dann mit ihrer Stiftung. Sie findet neue Unterstützer, Geld fließt in die Organisation. Ihr Netzwerk wird größer. Mit ihrer offenen, ehrlichen und zugewandten Art gewinnt sie die Menschen für sich. 2011 wieder ein Meilenstein: Ein Förderer der Stiftung stellt Kontakt zu Thomas Müller her. Der FC BayernProfi interessierte sich für ihre Arbeit. „Das war immer ein Wunsch von mir, einen so prominenten Unterstützer zu bekommen“, sagt Martina Münch-Nicolaidis.

Beim ersten Treffen merken beide sofort: Die Chemie stimmt. Müller wird Botschafter für die Onlineberatungsstelle YoungWings. Seitdem lächelt er von Plakaten und Flyern, trommelt bei Veranstaltungen wie etwa dem jährlichen YoungWings Benefiz-Golfturnier Spenden zusammen für sein „Herzensprojekt“. Die Wände der Stiftungs-Räume schmücken viele Fotos, die ihn inmitten der Kinder und Jugendlichen zeigen.

Martina Münch-Nicolaidis arbeitet indes fleißig weiter an der Vergrößerung ihres Netzwerks. Die Stiftung arbeitet mit Experten und Organisationen in ganz Deutschland zusammen. „Die Strukturen vor Ort sind vor allem wichtig, wenn wir Trauernde begleiten, die nicht in München leben“, erklärt sie. „Jeder Mensch trauert anders und hat eigene Probleme und Bedürfnisse.“ So unterschiedlich sei auch die Hilfe, die Trauernde brauchen.

Rund 500 000 junge Witwen und Witwer und etwa 800 000 Halb- und Vollwaisen gibt es in Deutschland. Viele davon fragen direkt bei der Stiftung nach Unterstützung. Die Nachfrage steigt seit Jahren. Professionalität ist der Chefin sehr wichtig. „Vor allem wer mit Kindern arbeitet, braucht eine fundierte Ausbildung“, sagt sie. Das gehe nicht mit Ehrenamtlichen, die „ein paar Wochenendschulungen besucht haben“.

Das Konzept bewährt sich. 2002 wird die Nicolaidis Stiftung Bundessieger im Wettbewerb „startsocial“. Es folgen Auszeichnungen wie die Bayerische Staatsmedaille für Soziale Verdienste, Bayerische Verfassungsmedaille in Silber, Sozialpreis der Bayerischen Landesstiftung, Bayerischer Verdienstorden. Politiker greifen immer öfter auf das Know-how der Stiftung zurück. Behörden fragen an für die Betreuung Angehöriger nach Katastrophen wie dem Tsunami in Südost-Asien. Die Bundeswehr, wenn ein Soldat im Einsatz ums Leben gekommen ist. Im vergangenen Jahr wurde Martina Münch-Nicolaidis in den Senat der Wirtschaft berufen. Sie ist viel unterwegs, nutzt ihren Einfluss, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Vieles ärgert sie. Die großen Versorgungslücken nach der Krisenintervention, die fehlenden Qualitätsstandards für Trauerhilfe. Und besonders die schlechte finanzielle Absicherung für Witwen.

Martina Münch-Nicolaidis ist kein Mensch, der schnell aufgibt. „Ich beiß mich gerne fest.“ Trotz allem, was sie erlebt hat, ist sie ein optimistischer Mensch mit großem Grundvertrauen. „Ich schaue mit einer angstfreien und lebensbejahenden Einstellung nach vorne“, sagt sie. Privat hat sie ein neues Glück gefunden. 2003 lernte sie ihren jetzigen Mann kennen, 2004 haben sie geheiratet.

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