Oberpfaffenhofen – Ein ganzes Jahr lang hat Berti Meisinger alles minutiös geplant. Nichts soll dem Zufall überlassen bleiben, wenn Alexander Gerst, Deutschlands bekanntester Astronaut, wieder in den Weltraum aufbricht. Der Zeitplan stand. Dann machte ihr die NASA fast einen Strich durch die Rechnung. „Ich musste schwer verhandeln“, sagt die 60-Jährige und lacht. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch in der europäischen Raumfahrtbehörde ESA in Oberpfaffenhofen, einem Ortsteil von Weßling, 20 Kilometer westlich von München, mitten im Fünfseenland. Von hier aus hält die Bayerin Kontakt nach Houston, Texas, USA, zu den wichtigsten Weltraumzentren der Welt – und zur internationalen Raumstation ISS. Von Oberbayern direkt ins Weltall.
Auf dem benachbarten Flugplatz startet ein Sportflugzeug in den Himmel, am Horizont erstrecken sich die Alpen. Meisinger hat dafür keinen Blick. Ihr E-Mail-Postfach quillt über, das Handy klingelt oft. Es ist Endspurt vor der Mission „Horizons“.
An diesem Mittwoch steigt der 42-jährige Gerst als Co-Pilot in die enge Sojus-Kapsel MS-09. Dann wird er von Kasachstan aus ins Weltall katapultiert, eingepfercht zwischen seinen Kollegen, der Amerikanerin Serena Aunon-Chancellor und dem Russen Sergej Prokopjew (siehe Randspalte). Hat er die ISS, seinen Arbeitsplatz in rund 400 Kilometern Höhe, erreicht, führt sein direkter Draht zum Boden über Berti Meisinger. Sie ist Missionsdirektorin bei der ESA und plant seinen Tagesablauf.
Keine Premiere für die beiden: Schon bei seiner ersten Weltraumreise 2014 war Meisinger die wichtigste Ansprechpartnerin für Gerst. Es lief gut, der Astronaut konnte sich auf seine Managerin auf der Erde verlassen. „Wir haben gut zusammengearbeitet“, sagt die Raumfahrtingenieurin. Die beiden kennen sich, schreiben sich Nachrichten über WhatsApp. Kürzlich rief Gerst an. Er bat Meisinger um direkte Kommunikation. „Wir sagen uns, wenn was nicht so gut läuft.“
Noch mal die irdische Helferin von Gerst zu sein: damit geht für Meisinger ein Wunsch in Erfüllung. Nach der Mission vor vier Jahren dachte sie schon an Ruhestand. Musste daran denken. Ihr Vertrag lief aus. Doch die 60-Jährige kämpfte um eine Verlängerung. Mit der Raumfahrt ist sie noch lange nicht fertig.
190 Tage wird „Astro-Alex“, so sein Spitzname, dieses Mal im All verbringen, mehr als ein halbes Jahr. Auf ihn warten viele Experimente im europäischen Forschungslabor „Columbus“, in Auftrag gegeben von Wissenschaftlern aus der ganzen Welt.
Ein Nachbau der Wissenschaftskapsel steht in Oberpfaffenhofen. Meisinger klettert in ihrem schwarzen, engen Kleid vorsichtig durch die Luke. Schaltflächen, Knöpfe und Kabel ragen aus den Wänden. „In der Schwerelosigkeit ist das noch schwieriger zu bedienen.“
Sie kennt die Handgriffe, die Gerst darin ausführen wird. Gleich in der ersten Woche ist ein wichtiger Versuch geplant. Wie wirkt sich die Schwerelosigkeit auf die Wechselwirkung von Gehirn und Körper aus? Fünf Tage am Stück sollte Gerst daran arbeiten, das war die Idee. Doch die NASA grätschte dazwischen. Die Amerikaner planen einen Außenbordeinsatz. Der Ausstieg in den Kosmos ist gefährlich. Gerst, der Neuankömmling, soll den Kollegen in ihre Anzüge helfen. Sein Experiment drohte zu platzen. „Mei, halb so wuid“, sagt Meisinger in schönstem Bairisch. Sie vermittelte zwischen NASA und dem Auftraggeber. Am Ende soll beides klappen.
Meisinger liebt die Herausforderung. „Mein Job ist spannender als ein Krimi“, sagt sie. Wie ein Detektiv muss sie Dinge zusammenfügen, den Stundenplan wie ein Puzzle zusammensetzen. Wenn ein Problem auftaucht, sucht sie nach Lösungen. Schwierigkeiten, die auf der Erde eine Lappalie sind, können im All lebensbedrohlich werden. „Natürlich habe ich immer Sorge, irgendetwas zu vergessen.“ Bisher ging alles gut. Mal lag ein Gerät nicht an seinem Platz – oder ein Kabel passte nicht. „Dann muss man nachjustieren.“ Das kann an die Nerven gehen.
Meisinger erzählt, wie sie einmal eine Nacht im Kontrollraum verbrachte. Dort verfolgen Techniker und Wissenschaftler rund um die Uhr auf riesigen Bildschirmen, was im Columbus-Modul passiert. Als in dieser Nacht ihr Handy klingelt, geht es um Pflanzen, die für ein Experiment im Modul sind und einzugehen drohen. Fieberhaft sucht sie mit Flugdirektor Marius Bach vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) nach einer Lösung. Die beiden verantworten, dass alles glatt-läuft in der Wissenschaftskapsel. Im Morgengrauen steht ein Plan. Als die Astronauten an diesem Tag zur Konferenz geschaltet werden, bekommen sie Anweisungen. Von dem Problem in der Nacht haben sie nichts mitbekommen. „Wir wecken sie nur im äußersten Notfall auf“, sagt Meisinger.
Den Astronauten soll es gut gehen. Sie müssen darauf vertrauen, dass die Menschen am Boden alles im Griff haben. Und diese Verantwortung lastet auch auf Berti Meisingers Schultern. Während der Mission schaltet sie ihr Handy nicht aus. Sie ist immer erreichbar – auch für Anrufe aus dem All. Gerst kann Telefone am Boden anrufen.
An Urlaub ist während der Mission nicht zu denken. Meisinger bleibt in der Nähe des Raumfahrtzentrums. Weit hat sie es nicht. Von ihrem Wohnort Hochstadt bei Weßling kann sie zu Fuß ins Büro gehen. Nur ein Wochenende am Chiemsee gönnt sie sich. Mit Notfallplan: „Ein Taxi ist schnell in Oberpfaffenhofen.“
Wenn Gerst Anfang Oktober den nächsten Schritt auf der Karriereleiter erklimmt – als erster Deutscher in der Geschichte übernimmt er das Kommando auf der ISS –, tritt Meisinger ein bisschen kürzer. Sie übergibt ihre Aufgabe als Missionsdirektorin an eine junge Kollegin.
Schluss ist für Meisinger aber auch nach der Landung am 13. Dezember nicht. Noch drei Jahre macht sie ihren Traumjob weiter. Nichts weniger als das sei es für sie, sagt sie. Die Raumfahrt ist ihr Leben. 1981 beginnt Meisingers Laufbahn in Oberpfaffenhofen. Auf ihre Ausbildung setzt sie ein Studium. Die Verantwortung wächst. Auch ihren Ehemann, einen britischen Mathematiker, lernt sie bei der ESA kennen.
Als „reines Glück“ bezeichnet sie es, dass sie ihren Traumberuf direkt vor der Haustüre ausüben kann. „Mich hat es nie länger woanders hingezogen.“ Ein knappes Jahr lebte sie in der texanischen Metropole Houston. Sie vermisste ihr Bayern.
Selbst ins Weltall wollte sie nie. „In der Sojus-Kapsel würde ich Panik bekommen.“ Dem Kosmos fühlt sie sich näher als je. Durch Quantensprünge der Technik. Spektakulär waren schon vor vier Jahren Gersts Weltraumfotos. Direkt aus dem All ins Internet. Sie begeisterten Millionen Menschen weltweit.
Meisinger freut sich auf neue Fotos. Doch pragmatisch wie sie ist, fokussiert sie sich erst einmal auf Gersts Start ins All: „Ich werde mitzittern.“ Ein bisschen Angst um ihren Alex hat sie schon. Darum hat sie ihm einen kleinen Glücksbringer mitgegeben. Die Verbindung ins Weltall steht.