Nahversorgung auf Rädern

Erdings Supermarkt mit 176 Pferdestärken

von Redaktion

Von Stefan Sessler

Berglern/Unterschleißheim –

Markus Lommer, 46, steht in seinem 11,50 Meter langen Supermarkt-Lkw. Neben ihm Jacobs Krönung im Angebot für 4,90 Euro, Kondensmilch, Pfefferminztee, Früchtetee und sogar entkoffeinierter Schwarztee, fein aromatisch, handgepflückt.

Auf der gegenüberliegenden Seite findet man im Regal alles, was das Herz von Dosen-Liebhabern begehrt. Knackwürste, Erbseneintopf, Sauerkraut, Ananas in Stücken, Ananas in Scheiben, Ravioli, junge Erbsen. „Wir haben ois“, sagt Markus Lommer, der früher mal einen Lottoladen in München betrieben hat. 168 Produkte haben er und sein Kollege Christian Mangold, 49, dabei. Eine gigantische Auswahl auf Rädern, inklusive Katzenfutter. Aber in Mitterlern im Kreis Erding, der zweite Halt heute, gibt es doch eine Enttäuschung: „Haben Sie auch Kamillentee?“, fragt eine ältere Dame mit Einkaufskorb. „Mein Mann trinkt nichts anderes.“

Kamillentee ist leider aus, aber ansonsten bleibt kaum ein Wunsch unerfüllt. „Wenn ein Kunde zehn Kilo Fleisch mag, dann bringen wir es das nächste Mal mit“, sagt Markus Lommer, der den zehn Tonnen schweren Supermarkt-Lkw fährt, Obst wiegt, die Kasse bedient und wenn es sein muss, sogar die Einkäufe der Kunden nach Hause trägt. „Alles bis 150 Meter im Umkreis mach ich“, sagt er.

Der rollende Supermarkt, eine Initiative des Roten Kreuzes in Erding, fährt seit einem Monat durch den Landkreis. Von Weiler zu Weiler, Montag bis Freitag, Höchstgeschwindigkeit 80 km/h, 45 Stopps an Orten, die selbst die besten oberbayerischen Heimatkundler an ihre Grenzen bringen dürften. Vorderbaumberg, Unterbierbach, Großhündlbach, Wasentegernbach, Unterschwillach, Maierklopfen oder auch Papferding.

Es sind von hier zwar nur 40 oder noch weniger Kilometer bis zum Marienplatz, Münchner Speckgürtel im besten Sinn, aber trotzdem gibt es weit und breit keine Wurst, zumindest keinen Metzger, keinen Supermarkt und keinen Dorfladen, der fußläufig erreichbar wäre. Ein riesiges Problem vor allem für Ältere oder für Frauen, die daheim auf die Kinder aufpassen, aber kein Auto haben. Ein Problem, das der rollende Supermarkt einmal pro Woche löst. Die Waren sind von Feneberg, die Preise so wie in den Feneberg-Filialen in Erding. Es gibt sogar frisches Obst und Gemüse. Nur Schnaps und Zigaretten gibt’s nicht. Das ist Absicht.

Aber natürlich geht es bei dem mobilen Laden nicht nur ums Einkaufen, um drei Zitronen und zwei Semmeln, es geht um mehr. Der rollende Supermarkt ist ein sozialer Ort. Er ist ein Treffpunkt, wenn auch nur für 20 Minuten, dann fährt er meistens schon weiter. In Mitterlern hat der Bürgermeister sogar ein Wartebänkchen aufgebaut, auf dem die Kundschaft auf den Bus warten kann. Aber gerade sitzt keiner drauf, die sieben Kunden sind schon längst im Bus und kaufen ein.

Brigitte Schrödl, 48, ist mit ihrer Mutter da. In ihrer Tüte hat sie Fertigpizza, Nudeln, Tomatenfisch und Schoko-Cornflakes. „Alles, was man notfallmäßig braucht“, sagt sie. Der nächste Supermarkt ist ein paar Kilometer entfernt. Neben ihr steht ihre Mama. Die sagt: „Im Supermarkt wird dir ned so gholfen wie hier.“ Es ist zwar eng in dem eigens umgebauten Lkw, den das Rote Kreuz in Holland gekauft hat. Aber dafür kümmern sich die Mitarbeiter Lommer und Mangold um jedes noch so kleine Problem in ihrem 20 Quadratmeter großen Tütensuppen- und Knackwurst-Paradies.

Wer die Stufen nicht hochkommt, dem greifen sie unter die Arme, sie schreiben sich Sonderwünsche auf und sie haben immer ein offenes Ohr für die kleinen und großen Sorgen des Alltags. Die Kunden erzählen von der Tochter, die gerade drei Wochen im Urlaub ist und deswegen nicht für sie einkaufen gehen kann. Vom Mann, der einen Schlaganfall hatte und sich deswegen nicht mehr hinters Steuer traut. Vom letzten Kramer, der vor fünf Jahren geschlossen hat.

Es ist gut gelauntes Gewusel, das im rollenden Supermarkt stattfindet. Die Leute rempeln sich beim Weg zur Kühltruhe an, lachen, kommen miteinander ins Gespräch oder verabreden sich gleich zum Einkaufen in der nächsten Woche. Markus Lommer sagt: „In Maierklopfen hat in der ersten Woche eine Person auf uns gewartet, eine Woche später waren es 15.“ Das Projekt spricht sich langsam, aber gewaltig rum. In Pemmering, einem winzigen Dorf, das zu Isen gehört, hat sogar der Pfarrer in seiner Predigt Werbung für den rollenden Laden gemacht.

Der Supermarkt fährt ausschließlich durch den Landkreis Erding – mit einer Ausnahme. Montags, 8.30 Uhr, hält er in Unterschleißheim am Rathaus. Unterschleißheim ist die größte Gemeinde im Landkreis München mit einem riesigen Gewerbegebiet und 30 000 Einwohnern. Das Problem allerdings: Im Ortszentrum gibt es gerade keinen Supermarkt, seit der Edeka geschlossen hat. Auch das ist Oberbayern. Wachstum, dass es knallt, aber an den falschen Stellen – zumindest für Unterschleißheims Rentner mit Gehwagen statt Auto.

„Ich bedanke mich. Kimmt’s ja nächste Woche wieder!“, sagt eine ältere Frau in Unterschleißheim, die gerade Dosenmilch gekauft hat. Eine andere fragt: „Sind Haferflocken da?“ Selbstverständlich sind Haferflocken da. Sofort schwärmen Lommer und Mangold aus. „Das sind die Kernigen und das die Extrazarten“, sagt Christian Mangold, der auch schon Autos und Öfen verkauft hat. „Welche sollen’s sein?“ Die Kundin greift zu extrazart. Mangold sagt: „Der Job ist super.“ Zurück zu den Öfen oder den Autos will er nicht mehr. Der rollende Supermarkt ist besser, viel besser. Das Rote Kreuz will kostendeckend arbeiten, aber Mangold muss keinem Waren andrehen, damit sie auf Teufel komm raus Gewinn machen.

Lommer und Mangold sind Fahrer, Verkäufer und oberbayerische Konsumforscher in einem. Mangold sagt: „Auf dem Land werden überraschend viele Kartoffeln gekauft.“ Was hingegen fast gar nicht nachgefragt wird, sind Bio-Produkte. Bier geht auch wenig, dafür, erzählt er, kaufen die Erdinger wahnsinnig viel Obst.

Dann müssen die beiden auch schon wieder weiter. Mangold klappt die Türe zu und setzt sich auf den Fahrersitz. Zehn Stationen warten heute noch auf sie. Letzter Stopp ist Langengeisling, 16.10 Uhr, direkt am Maibaum. Sie müssen sich beeilen. Denn der Kunde ist König. Nirgends so sehr wie in diesem 176 PS-starken Supermarkt.

Die Supermarkt-Touren

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