Experten-Interview

Warum man den Kinderwunsch nicht zu lange aufschieben sollte

von Redaktion

Im Schnitt bekommen Frauen heute ihr erstes Kind mit knapp 30 Jahren. Doch je länger sie die Familienplanung nach hinten schieben, umso seltener klappt es mit dem Schwangerwerden. Die Reproduktionsmedizin kann hier oft weiter helfen. Doch selbst eine künstliche Befruchtung hat ihre Grenzen. Ein Experten-Interview mit Dr. Barbara Wiedemann, Frauenärztin aus München-Solln. Sie berät Paare mit unerfülltem Kinderwunsch – auch durch eine ärztliche Zweitmeinung.

-Die Zahl der Fruchtbarkeitsbehandlungen steigt rasant. Woran liegt das?

Vor allem an sozialen Gründen: Durch die verbesserten Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten für Frauen starten viele Paare erst sehr spät mit der Kinderplanung. Das Problem ist allerdings: Schon ab dem 30. Lebensjahr nimmt die Qualität der Eizellen kontinuierlich ab – das wiederum führt zu einer deutlich verminderten Schwangerschaftsrate.

-Viele glauben, die Reproduktionsmedizin sei dann das Allheilmittel.

Sie ist in der Tat für viele kinderlose Paare ein Segen. Doch auch eine künstliche Befruchtung hat Grenzen. Der Hauptgrund für Misserfolg ist auch hier ein zu hohes Alter der Frau; die Schwangerschaftsraten sinken genauso wie bei einer natürlichen Empfängnis. Denn: Trotz hormonoller Stimulation der Eierstöcke entwickeln sich mit dem Alter deutlich weniger Eizellen.

-Wie wahrscheinlich ist also eine Schwangerschaft, wenn Frauen die magische 30 überschritten haben?

Bei 35-Jährigen Frauen wird etwa ein Drittel nach einem sogenannten Embryo-Transfer schwanger: also der Übertragung eines Embryos in die Gebärmutter. Bei den 40-Jährigen gilt das nur noch für ein Viertel. Entscheidend ist die „Baby take home“-Rate. Sprich: Kommt es nach der Schwangerschaft zu einer Geburt? Manche Schwangerschaften enden leider vorzeitig.

-Und diese Rate ist somit niedriger?

Ja. Pro Embryo-Transfer liegt sie für 35-Jährige bei 27 Prozent: Knapp jede dritte Frau bringt demnach also ein Kind zur Welt. Bei 40-Jährigen beträgt die Rate 15 Prozent – und bei 44-Jährigen nur 3,2 Prozent. Jede fünfte Frau, die heute 50 ist, bleibt kinderlos.

-Wenn es mit dem Kinderwunsch nicht klappt: An wem liegt es dann?

Die Ursache für die sogenannte Paarsterilität liegt zu etwa 50 Prozent bei der Frau und 50 Prozent beim Mann. Bei Frauen kann es sich um verschlossene Eileiter, hormonelle Störungen oder Endometriose handeln: Bei Endometriose findet sich Gebärmutterschleimhaut auch außerhalb der Gebärmutterhöhle, etwa an Eierstöcken, Blase oder Darm. Beim Mann liegt vielfach ein eingeschränktes Spermiogramm vor – die Spermienzahl und -qualität ist also nicht optimal.

-Der Weg zum Baby mithilfe einer künstlichen Befruchtung ist aber nicht nur deshalb steinig …

Allein der Entschluss, ein Kinderwunschzentrum aufzusuchen, kostet viel Überwindung. Dabei ist nicht immer eine künstliche Befruchtung notwendig! Im Vordergrund steht zunächst eine genaue Abklärung der Ursachen. Manchmal helfen schon operative Eingriffe oder Medikamente weiter. In einigen Fällen auch eine sogenannte Insemination, also eine Samenübertragung direkt in die Gebärmutter …

-Manche Paare müssen aber eine künstliche Befruchtung vornehmen lassen. Wie gefährlich ist das denn?

Die hormonelle Stimulation der Eierstöcke hat inzwischen sehr wenige Nebenwirkungen. Aber: Die psychische Belastung einer Kinderwunschbehandlung ist hoch – die Hoffnung, der Erwartungsdruck, die Enttäuschung, wenn es, vielleicht mal wieder, nicht geklappt hat. Und auch die Kosten sind nicht zu unterschätzen: Es sind mehrere tausend Euro pro Zyklus. Die gesetzliche Krankenkasse übernimmt nur die Hälfte davon, bei maximal drei Versuchen. Voraussetzung ist zudem, dass die Paare verheiratet sind. Und: Die Frau muss zwischen 25 und 40 Jahre alt sein, der Mann zwischen 25 und 50.

-Wie ratsam ist es, vor einer Behandlung, eine zweite ärztliche Meinung einzuholen?

Sehr ratsam. Zumal die einzelnen Kinderwunschzentren oft bestimmte Behandlungsstrategien bevorzugen. Für den medizinischen Laien ist es dabei nicht immer einfach, sich in den unterschiedlichen Angeboten zurechtzufinden. Nach einer ausführlichen Diagnostik ist daher eine unabhängige Beratung hilfreich, um für sich den richtigen therapeutischen Weg zu finden – und möglicherweise auch finanziell etwas einzusparen.

Interview: Barbara Nazarewska

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