KLimawandel auf Tuvalu

Der Untergang des Paradieses

von Redaktion

von Philipp Hedemann

Funafuti – Nua sitzt an ihrem Lieblingsplatz unter einer Palme am Strand und beobachtet, wie das Wasser steigt. In einer guten Stunde wird die Flut ihren Höhepunkt erreichen, einzelne Wellen werden dann die Wurzeln ihrer Palme umspülen. Irgendwann wird das Meer sich Nuas Palme holen, irgendwann vielleicht ihr ganzes Land und mit ihm Nuas Geschichte und ihre Zukunft.

Nua lebt auf Tuvalu. Die neun Korallen-Atolle auf halber Strecke zwischen Hawaii und Australien erheben sich durchschnittlich nur zwei Meter über den Südpazifik, und nirgendwo auf der Welt steigt der Meeresspiegel so schnell wie hier. Schon jetzt türmen Zyklone vor den Küsten Tuvalus regelmäßig meterhohe Wellen auf und überfluten große Teile des 26 Quadratkilometer kleinen Landes. Mit Sand, Diplomatie und Gebeten kämpft der winzige Inselstaat jetzt gegen den drohenden Untergang.

Heute wird Tuvalu nicht untergehen, aber Nua, die Lehrerin ist, hat die zerstörerische Kraft des Wassers schon oft kennengelernt. „Das Wasser steigt, und die Stürme werden heftiger. Mein Haus und große Teile der Insel werden regelmäßig überflutet“, sagt Nua, die ihren Schülerinnen und Schülern beibringt, dass hinter den Unwettern wohl der Klimawandel steckt. Nicht nur den Kindern, auch der Lehrerin macht das Angst.

„Irgendwann möchte ich selbst Kinder haben. Ich möchte, dass sie auf Tuvalu groß werden, aber ich befürchte, dass wir schon bald vor dem Wasser fliehen müssen“, sagt die 28-Jährige. Die Fidschi-Inseln, Neuseeland, Australien oder auch Deutschland könnte die Insulanerin sich als neue Heimat vorstellen, sollte das (Über-)Leben auf den winzigen Atollen eines Tages unmöglich sein. Auf ihrem Smartphone hat sie gelesen, dass Deutschland Hunderttausende Menschen aufgenommen hat, die vor Krieg und Gewalt geflohen sind.

„Ihr nehmt Syrer auf, obwohl ihr nicht schuld am Krieg seid. Aber für den Klimawandel seid ihr als Industrieland mitschuldig. Darum solltet ihr auch Menschen aufnehmen, die vor dem steigenden Meeresspiegel fliehen. Krieg und Wasser – beides tötet“, argumentiert Nua und widerspricht damit ihrem Premierminister. Denn vom Begriff „Klimaflüchtling“ hält Enele Sopoaga absolut nichts.

Während Nua am Strand sitzt, trifft der Politiker sich auf Tuvalu mit den Staats- und Regierungschefs mehrerer Südsee-Staaten. Der Klimawandel steht dabei ganz oben auf der Agenda, denn Dürren, die Versalzung von Trinkwasser und Boden und steigende Pegel bedrohen nicht nur Tuvalu in seiner Existenz. Tuvalus Nachbar Kiribati hat deshalb bereits vor vier Jahren Land auf höher gelegenen Fidschi-Inseln gekauft, um notfalls einen großen Teil der Bevölkerung dorthin umsiedeln zu können. Kiribatis ehemaliger Präsident Anote Tong nennt das „Migration in Würde“. Doch auf Tuvalu glaubt man nicht daran, dass eine durch den Klimawandel erzwungene Umsiedlung in Würde stattfinden kann.

„Wir sollten keinen Gedanken daran verschwenden, unsere Bevölkerung umzusiedeln, sondern dafür kämpfen, dass der Temperaturanstieg auf maximal 1,5 Grad begrenzt wird. Mit Anpassungsmaßnahmen wie Aufschüttungen müssen wir alles dafür tun, damit wir eine Zukunft in unserem eigenen Land haben“, sagt Tuvalus Premier Sopoaga. Er ist überzeugt, dass eine Umsiedlung seiner Bevölkerung das falsche Signal an die ganze Welt wäre. Der Politiker glaubt: Wer Tuvalu aufgibt, gibt auch den Kampf um die Begrenzung des Klimawandels auf.

Und das könnte schon sehr bald zu noch viel größeren klimawandelbedingten Wanderungsbewegungen führen. „Schon jetzt müssen durchschnittlich jedes Jahr über 26 Millionen Menschen aufgrund von extremen Umweltereignissen fliehen. Und der Klimawandel könnte diesen Trend noch beschleunigen“, sagt Sabine Minninger, Referentin für Klimapolitik der evangelischen Hilfsorganisation „Brot für die Welt“. Doch die Millionen Menschen, die vor steigenden Meeresspiegeln, Dürren und Stürmen fliehen, sind bislang weitestgehend rechtlos. Klimawandel kommt in der Genfer Fluchtlingskonvention von 1951 nicht vor. „Es ist deshalb umso wichtiger, dass diese Menschen einen Schutzstatus erhalten. Sonst werden sie in den aufnehmenden Ländern zu Bürgern zweiter Klasse“, fordert Minninger.

Um auf die Bedrohung Tuvalus aufmerksam zu machen, hat der Regierungschef einer der kleinsten Staaten der Welt dem Präsidenten eines der größten Länder der Welt geschrieben. Als Klimawandel-Opfer Sopoaga Klimawandel-Skeptiker Donald Trump zur Wahl gratulierte, verband er die Glückwünsche mit einer Warnung. „Wir sitzen alle in einem Kanu. Und wenn wir nicht gemeinsam gegen den Klimawandel kämpfen, werden wir gemeinsam mit diesem Kanu untergehen“, schrieb der Premierminister Tuvalus.

Eine Antwort erhielt er nicht. „Aber Trump ist herzlich eingeladen, sich hier mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass der Klimawandel existiert“, sagt Sopoaga. Mit einem besonders freundlichen Empfang dürfte er allerdings nicht rechnen. „Fuck Trump“, sagt Noah, während er am Strand Bier in sich hineinschüttet und sein Promillespiegel deutlich schneller steigt als der Meeresspiegel.

Neben dem Klimawandel ist Alkoholismus eines der großen Probleme der kleinen Insel. „Weil die Amerikaner aus dem Klimavertrag von Paris ausgestiegen sind, steigt der Meeresspiegel jetzt noch schneller“, sagt der 34-Jährige. Wie fast alle Bewohner Tuvalus kennt er die Prognosen der Wissenschaftler, die einen weiteren Anstieg des Meeresspiegels vorhersagen, und er kennt Atoll-Bewohner, die ihre Zukunft längst im Ausland planen. Für Noah ist das keine Option.

Sein Name spielt dabei eine große Rolle. „Nach der Sintflut hat Gott Noah versprochen, dass es keine weitere Flut geben wird“, sagt der Christ. Mit einem unerschütterlichen Gottvertrauen retten Noah und viele der rund 11 000 Bewohner Tuvalus sich in einen verzweifelten Zwangsoptimismus. „Wenn unsere Inseln untergehen, dann geht auch unsere Geschichte, unsere Kultur und unsere ganze Identität unter. Aber Tuvalu wird nicht untergehen“, sagt Noah trotzig und macht sich eine weitere Dose warmes Bier auf.

Ein paar Palmen weiter sieht Nua ihre Zukunft nüchterner und pessimistischer. Die Lehrerin sagt: „Viele wollen lieber mit unserem Land untergehen. Ich nicht. Ich will leben. Wenn das auf Tuvalu nicht mehr möglich ist, dann werde ich mir wohl eine neue Heimat suchen müssen.“

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