München – Sie sind die beiden jüngsten Spitzenkandidaten der Landtagswahl: Katharina Schulze (Grüne, 33) und Martin Hagen (FDP, 37) verstehen sich gut. Man duzt sich, auch wenn man politisch nicht immer einer Meinung ist. Kennengelernt haben sie sich bei einer Gala im Jahr 2013. „Du warst ganz frisch im Landtag – und wir waren ganz frisch rausgeflogen“, sagt Hagen zu Schulze und lacht. „Momentan sehe ich dich öfter als meine Frau.“ Im Gespräch wird es ernst: Es geht um drängende Fragen unserer Zeit: Migration und Klimaschutz, aber auch um Insektensterben, den Ladenschluss oder die dritte Startbahn.
-Sie sind zusammen 70 Jahre alt – und damit quasi so alt wie Horst Seehofer. Gibt es ein Mindestalter für politische Alphatiere?
Hagen: Ich glaube nicht. Es gibt nur ein Mindestalter für den Ministerpräsidenten. 40 Jahre. Wir dürften das Amt beide nicht übernehmen.
Schulze: Das gehört dringend geändert.
Hagen: Dass Emmanuel Macron mit 39 Jahren Präsident von Frankreich werden darf, aber der bayerische Ministerpräsident älter sein muss – das macht keinen Sinn.
-Was macht die neue Politikergeneration anders als die von Horst Seehofer?
Schulze: Man wird einfach davon geprägt, in welcher Zeit man aufwächst. Deshalb sollten in der Politik auch jüngere Stimmen gehört werden. Im Idealfall kommen verschiedene Altersgruppen mit unterschiedlichen Erfahrungshorizonten zusammen, um gute Politik für alle Bürger zu machen.
-Hat Frau Schulze ausreichend Erfahrungshorizont, um Vize-Ministerpräsidentin zu werden?
Hagen: Der Erfahrungshorizont ist nicht das, was dem im Weg steht. (beide lachen)
-Sondern?
Hagen: Katha und ich haben einfach unterschiedliche politische Vorstellungen. Das Alter sollte kein Kriterium sein. Generell glaube ich aber, dass bei Zukunftsfragen wie Digitalisierung unsere Generation mehr mitreden sollte. Das darf man nicht allein Menschen überlassen, die in einer analogen Welt aufgewachsen sind.
Schulze: Genauso beim Thema Europa. Gerade die jüngere Generation muss doch klären, wie wir Europa gestalten wollen, damit uns Frieden und Einheit noch lange erhalten bleiben.
-Im politischen Alltag beharken sich FDP und Grüne intensiv. Im städtischen Umfeld – beispielsweise den Latte-Macchiato-Müttern in Haidhausen – gibt es aber eine gemeinsame Klientel unter potenziellen Wählern. Wie ähnlich finden Sie sich?
Schulze: Teile der FDP sind mit uns bei Fragen von Bürgerrechten oder Datenschutz sehr nah beieinander. Wir waren auch gemeinsam bei der Demonstration gegen das Polizeiaufgabengesetz.
Hagen: Ja, da gibt es Überschneidungen. Dafür trennt uns viel, wenn es um Wirtschaftspolitik, Infrastruktur oder Migration geht.
-Frau Schulze, wünschen Sie sich eine FDP im Landtag?
Schulze: Ich werde die FDP nicht wählen . . .
Hagen: Ach wirklich? Das wird vermutlich die Überschrift. (lacht)
Schulze: … aber mir ist eine starke FDP zumindest lieber als eine starke AfD.
Hagen: Na immerhin.
-Die Grünen befinden sich im Höhenflug. Haben Sie Mitleid mit der SPD?
Hagen: Mitleid ist in der Politik keine Kategorie. Aber ich glaube, es wäre für unser politisches System gut, wenn wir wieder eine stabilere SPD hätten. Die sozialdemokratischen Parteien befinden sich europaweit im Niedergang. Leider wählen die ehemaligen Anhänger dann oft rechtspopulistische Parteien.
-Warum machen Sie es der AfD so einfach, indem Sie deren Wähler nur verteufeln, statt um sie zu kämpfen?
Hagen: Protestwähler kann man zurückgewinnen. Aber einem eingefleischten AfD-Wähler hat die FDP als liberale Partei wenig anzubieten, weil wir einfach ein komplett anderes Weltbild haben. Und die CSU beweist seit Jahren, dass es keiner Partei hilft, AfD-Parolen zu übernehmen.
Schulze: Da muss ich kurz einhaken. Manche Äußerungen von Christian Lindner gehen sehr wohl in die AfD-Richtung. Dabei macht man die rechten Ränder nur noch stärker, wenn man meint, auf deren Welle surfen zu müssen. Wir brauchen eine eigene, positive Erzählung, wie wir Bayern gestalten wollen. Es wird nur über Ängste geredet. Wir brauchen eine Politik, die Mut gibt statt Angst macht.
-Das klingt wie bei der FDP: „German Mut“.
Hagen: Man kriegt die AfD nicht klein, indem man sie kopiert. Man kriegt die AfD aber auch nicht klein, indem man die Probleme ignoriert, die sie groß gemacht haben. Kritik an der Flüchtlingspolitik ist notwendig – aber ohne Ressentiments zu schüren. Die FDP ist weder für eine Politik der offenen Grenzen noch für Abschottung.
Schulze: Aber auch dieser Position liegt die Diagnose zugrunde, dass alles ganz furchtbar ist. Natürlich müssen wir die Außengrenzen schützen. Aber zu einem vereinten Europa gehört Freizügigkeit. Deshalb müssen die Kontrollen an den Binnengrenzen wieder abgeschafft werden. Außerdem müssen wir die Integration besser gestalten – beispielsweise, indem wir mehr Flüchtlinge in Arbeit bringen.
Hagen: Da sind wir einer Meinung!
Schulze: Es gibt die sogenannte 3-plus-2-Regelung: Geflüchtete dürfen demnach drei Jahre eine Ausbildung machen und dann zwei Jahre in ihrem Beruf arbeiten. Es ist ein Irrsinn, wenn das überall, nur nicht in Bayern umgesetzt wird. Ein Irrsinn gegenüber den Betroffenen, aber auch gegenüber Arbeitgebern.
Hagen: Zustimmung. Generell sollten wir Arbeitsverbote aufheben.
Schulze: Und was ist mit einem Einwanderungsgesetz?
Hagen: Das fordern wir seit Jahrzehnten. Aber im grünen Bundestagswahlprogramm sind mir gravierende Unterschiede zu uns aufgefallen (zückt sein Handy): Sammelabschiebungen sind für euch inakzeptabel. Ihr wollt den Türkeideal beenden und keine weiteren Abkommen mit anderen Staaten in Nordafrika. Und ihr wollt keine weiteren sicheren Herkunftsstaaten. Meine Frage wäre da: Was heißt denn Schutz der Außengrenzen bei euch, wenn ihr gleichzeitig eine konsequente Kontrolle der Zuwanderung nach Europa ablehnt?
Schulze: Als Innenpolitikerin ist mir klar: Wir müssen wissen, wer zu uns kommt. Aber gleichzeitig stehe ich für einen humanen Ansatz: Wir müssen Menschen, die vor Krieg und Terror fliehen, sichere Fluchtkorridore öffnen. Und wenn das Leben in Libyen für viele fast nicht mehr auszuhalten ist, kann Europa nicht einfach sagen: Wir schauen weg.
-Dieses Afrika ist leider ziemlich groß – und in sehr vielen Gebieten gibt es dort Probleme. . .
Schulze: Deshalb heißt die erste Priorität für uns schon immer: Fluchtursachen bekämpfen. Und das heißt nicht nur: Konflikte kleinhalten, sondern auch endlich die Klimakrise anzugehen. Da würde ich von euch mal gerne mehr hören als: Der Markt wird auch das regeln. Tut er nämlich nicht.
-Herr Hagen, vielleicht klären wir das mal grundsätzlich: Gibt es einen Klimawandel, der von Menschen verursacht wird?
Hagen: Selbstverständlich gibt es ihn. Das zu leugnen wäre unwissenschaftlich.
-Und was kann man dagegen tun?
Hagen: Wir müssen die Emission von Klimagasen verringern – und zwar global. Nationale Alleingänge bringen nichts, meist sind sie nur Symbolpolitik. Mit einem globalen CO2-Zertifikatehandel bekäme CO2 einen Preis, sein Ausstoß würde verteuert. Dadurch gäbe es einen marktwirtschaftlichen Anreiz, effizientere Technologien einzusetzen.
Schulze: Ich bin schon mal froh, dass du den Klimawandel nicht anzweifelst. Trotzdem muss ich schmunzeln: Global! Wir sollten das Problem nicht weit weg auf irgendeine höhere Ebene schieben. Bayern kann konkrete Schritte einleiten: Wir müssen die Energiewende voranbringen. Die 10-H-Regelung für Windräder muss weg. Wir brauchen eine Verkehrswende. Wir könnten viel tun.
Hagen: Dass Bayern den Klimawandel aufhält, wenn China oder die USA nicht mitziehen, ist eine Mischung aus Hybris und Naivität.
Schulze: Die Unterstellung ist doch Quatsch! Wir sind aber natürlich dafür verantwortlich, unseren Teil dazu beizutragen. Doch es passiert nichts. Auch auf Bundesebene nicht. Beim Kohleausstieg hat sowohl die SPD als auch die Union den Schwanz eingezogen.
Hagen: Aber wir können nicht aus allen Energieerzeugungsformen gleichzeitig aussteigen – zuerst aus der Atomkraft, dann aus der Kohle. Wir haben noch keine Alternativen, weil wir für die Erneuerbaren weder die nötigen Transport- noch die Speicherkapazitäten haben. Da müssen wir ansetzen.
-Stichwort Bayern. Wir würden gerne bei ein paar Projekten nach Ihrer Meinung fragen. Frau Schulze, die FDP hätte gerne kostenfreie Kitas. Sie auch?
Schulze: Langfristig wollen wir das auch. Aber wir setzen erst einmal andere Prioritäten. Zunächst müssen wir in die Qualität investieren: Wir brauchen mehr Erzieherinnen und Erzieher, die auch gut bezahlt werden müssen. Zudem sollten wir das Angebot in den Rand- und Ferienzeiten verbessern. Öffnungszeiten bis 20 Uhr haben Vorrang, danach können wir über Kostenfreiheit reden.
-Können wir uns kostenfreie Kitas denn leisten?
Hagen: Die Frage lautet umgekehrt: Können wir es uns leisten, nicht in frühkindliche Bildung zu investieren?
-Frau Schulze, wäre das Nein zur dritten Startbahn für Sie in einer Koalition unverhandelbar?
Schulze: Absolut. Mit uns wird es keine dritte Startbahn geben. Die Bürger in München haben im Bürgerentscheid ihre Ablehnung klar zum Ausdruck gebracht. Ich bin bis heute Sprecherin des damaligen Aktionsbündnisses „Koa Dritte“. Das besteht weiter, weil der Kampf ja weitergeht.
Hagen: Das sehe ich komplett anders. Die CSU weiß mehrheitlich, dass die Startbahn für ganz Bayern ein wichtiges Projekt ist. Aber sie scheut das Thema. Mit uns könnte sie es umsetzen.
-Herr Hagen, wie weit oben auf Ihrer Agenda steht der Bienenschutz?
Hagen: Nicht so weit oben, dass wir ihn wie die Grünen aufs Plakat drucken. Trotzdem ist das Thema sehr wichtig: Wir müssen die Artenvielfalt erhalten.
Schulze: Was würdet ihr dafür tun?
Hagen: Manchmal helfen ganz simple Maßnahmen vor Ort – etwa die Grünstreifen an Straßen nicht abzumähen oder zwischen landwirtschaftlichen Feldern kleinere Ausgleichsflächen frei zu halten.
-Frau Schulze, wie wichtig ist Ihnen der Ladenschluss?
Schulze: Ich radle manchmal spätabends nach Hause und denke, jetzt müsste ich dringend etwas einkaufen. Auf der anderen Seite ist der Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sehr wichtig. Wir bräuchten einen guten Kompromiss. In anderen Bundesländern funktioniert es ja auch.
Hagen: Seid ihr jetzt für ein liberales Ladenschlussgesetz oder dagegen?
Schulze: Unsere Fraktion sah in dieser Legislaturperiode hier keinen Handlungsbedarf.
Hagen: Wir sind dafür.
-So ein Stündchen im Biergarten ist es ja ganz nett. Zusammen regieren ist etwas anderes. Sind Sie enttäuscht, dass es nicht geklappt hat?
Hagen: Ich hätte Jamaika für eine Chance gehalten, wenn die vier Partner eine gemeinsame Leitidee gefunden hätten, wohin sie unser Land entwickeln wollen. Das ist leider nicht gelungen – was sicher nicht nur an einem der Beteiligten lag.
-Frau Schulze, Sie müssten doch ganz froh sein, jetzt nicht mit der CSU zu regieren.
Schulze: Erst kommt das Land, dann die Partei. Viele Leute haben sich nach den Jahren der GroKo etwas Neues gewünscht. Ich denke, man war auf einem guten Weg. Deshalb fand ich es katastrophal feige, dass Herr Lindner plötzlich vom Verhandlungstisch aufgestanden ist. So etwas mag ich nicht.
Hagen: Angeblich waren sich CSU und Grüne in Migrationsfragen ja einig. Das ist vielleicht eine interessante Information für alle CSU-Wähler.
-Womöglich findet sich einer von Ihnen ja nach dem 14. Oktober erneut in Koalitionsverhandlungen mit der CSU wieder. Wer hält es länger mit Markus Söder in einem Raum aus?
Schulze: Ich bin da gelassen. Wer weiß, ob Markus Söder dann überhaupt noch derjenige ist, der für die CSU eine Koalition verhandelt.
Interview: Mike Schier und Christian Deutschländer