München – Eine Dame im Rollstuhl wartet an der Haltestelle. Nikolay Naumov macht kurz den Motor aus, springt aus der Fahrerkabine. „Grüß Gott, ich helfe Ihnen“, sagt er in astreinem Deutsch. Fährt die Rampe für den barrierefreien Einstieg aus und schiebt die Rollstuhlfahrerin in den Bus. Dann geht die Fahrt weiter.
„Manchmal ist es stressig, aber ich habe meinen Traumberuf“, sagt der 34-jährige Busfahrer. Vor sieben Jahren kam er mit Frau und Sohn (11) aus Russland nach München. Der Anfang war schwer. Lange suchte Naumov eine Arbeit. Schon in seiner Heimat fuhr er Bus, sein Führerschein wurde hier aber nicht anerkannt. Ein Glücksfall, als er vom Projekt der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) hörte. Seit Mai 2017 haben Flüchtlinge und Migranten die Chance, dort eine Fahrerausbildung zu machen. Es ist ein Weg, dem Busfahrermangel entgegenzuwirken. München wächst, das Nahverkehrsnetz wird stetig ausgebaut. 2000 Fahrer sind derzeit auf Schiene und Straße unterwegs, heißt es von den Stadtwerken, Geschäftsbereich Mobilität. 300 sollen bei U-Bahn, Bus und Tram in diesem Jahr noch eingestellt werden. Doch Bewerber fehlen.
Die bayerische Landeshauptstadt steht mit diesem Problem nicht alleine da. „Das ist ein allgemeines Phänomen“, sagt Horst Schilling, geschäftsführendes Präsidialmitglied beim Landesverband Bayerischer Omnibusunternehmen. Landauf und -ab werden Busfahrer gesucht. „Insbesondere im ländlichen Raum ist ein dramatischer Rückgang zu beobachten“, sagt der Jurist. Das Durchschnittsalter der Busfahrer liege derzeit bei 50 Jahren. „Es gehen mehr in den Ruhestand, als nachkommen.“ 35 000 neue Busfahrer werden in den nächsten 15 Jahren bundesweit benötigt, schätzt der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmen. Zusätzlich wächst der Druck durch den liberalisierten Fernbusmarkt.
Dass der Beruf kaum noch gefragt ist, hat Gründe. Einer davon sind die immensen Kosten für den Busführerschein. „Mit rund 10 000 Euro zahlt man fast so viel wie für einen Pilotenschein“, sagt Schilling. Früher haben viele kostenlos den Führerschein während ihrer Bundeswehrzeit gemacht. Seit die Wehrpflicht abgeschafft ist, sind diese Zeiten vorbei. „Die Busfahrerschmiede der Nation ist zusammengebrochen“, beklagt Schilling.
Auch das hohe Einstiegsalter ist ein Problem. 21 Jahre alt muss man für den Busführerschein sein. Wer mit 16 Jahren aus der Schule kommt, ergreift oft erst einmal einen anderen Beruf. „Es ist ein Job mit viel Verantwortung“, sagt Ralf Willrett, verantwortlich für den Bus-Bereich der Münchner Verkehrsgesellschaft. Die Altersbegrenzung hält er deshalb für sinnvoll.
Mit Sprüchen wie „Tausche Staub und Schmutz gegen Sicherheit“ oder „Tausche Kamm und Schere gegen Fahrersitz“ wirbt die MVG in einer Kampagne speziell um Quereinsteiger. Die Busbranche ist auf Werbefeldzug. „Ein Dienstwagen mit 500 PS und Arbeit, wo andere Urlaub machen“ heißt ein anderer Slogan, mit dem sie Fachkräfte anlocken will. Versprochen werden ein sicherer Arbeitsplatz und gute Verdienstmöglichkeiten.
Doch das sieht die Gewerkschaft Verdi kritisch. Die Branche müsse noch ein Bündel an Maßnahmen entwickeln, um zu einem attraktiven Arbeitgeber zu werden, mahnt Dorothee Wolf vom Fachbereich Verkehr, Busse und Bahnen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sei gering: „Wer den Beruf ergreift, muss sich auf anstrengende Schichtdienste und Arbeit am Wochenende einstellen.“
Belastend seien die monotone, sitzende Haltung, das hohe Verkehrsaufkommen und die große Verantwortung für die Fahrgäste. „Busfahrer sind verantwortlich für eine der kostbarsten Frachten, die es gibt: Menschen und ganz oft Schulkinder.“ Viel zu niedrig sei daher der Verdienst mit knapp 12 Euro pro Stunde zum Einstieg bis knapp 17 Euro in der Endstufe, abhängig vom Bundesland, so Wolf. Außerdem führe die Öffnung der Branche für den europäischen Wettbewerb zu einer höheren Arbeitsbelastung und zu Tarifflucht durch Outsourcing.
Zwar hielten sich etliche Arbeitgeber an Tarifverträge, eine Arbeitsplatzsicherheit gebe es in der Branche aber nicht. „Die Befristung ist keine Seltenheit“, sagt Wolf. Viele fürchteten den Verlust des Arbeitsplatzes, weil im Öffentlichen Personennahverkehr im Schnitt alle acht bis zehn Jahre die Verkehrsverträge neu vergeben würden.
Viele in der Branche hätten die Probleme erkannt und arbeiteten an Konzepten, hält Schilling dagegen. Die Münchner Verkehrsgesellschaft bietet beispielsweise eine Ausbildung in Teilzeit an. „Wir freuen uns über weibliche Bewerber“, sagt Bus-Chef Willrett. Er weiß, dass manche Angst vor pöbelnden Fahrgästen haben. Doch seine Erfahrung habe gezeigt, dass Frauen oftmals deeskalierend wirkten.
Eine andere Idee ist das Ausbildungsprojekt für Flüchtlinge und Migranten (siehe Kasten). Fünf Busfahrer und zwei U-Bahnfahrer sind bereits übernommen worden. Unter ihnen Nikolay Naumov. Am schwierigsten fand er den Sprachkurs. Gepaukt wird technisches Fachvokabular, wie Bremskreislauf oder Federspeicher. „Die Bewerber müssen mit den Fahrgästen und den Kollegen solide Deutsch sprechen und sich in einer Notsituation verständlich machen können“, sagt Tabea Hoffmann von den Beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft (bfz), die die Kurse durchführen.
Nikolay Naumov navigiert seinen rollenden Arbeitsplatz routiniert durch den Stadtverkehr. Er macht den Job gerne und lobt die Arbeitsbedingungen. Auf Dienstwünsche würde Rücksicht genommen. Im Herbst wechselt er in den Stoßfahrdienst, von Montag bis Freitag zu den Hauptverkehrszeiten sitzt er dann am Steuer. Am Wochenende kümmert er sich um seinen elfjährigen Sohn. Dann rückt seine Frau aus: Sie macht derzeit die Ausbildung zur U-Bahnfahrerin.