München – Auch diese Frage muss sein, wenn man eine Stunde und 48 Minuten zusammensitzt, sie war eine der letzten: „Herr Löw“, wollte einer der Reporter wissen, die am Mittwoch aus der ganzen Republik nach München gereist waren, um die Weltmeisterschafts-Analyse des Fußball-Bundestrainers zu hören, „wie geht es Ihnen eigentlich?“
Joachim Löw ist überrascht: „Wie’s mir geht? Gut. Oder erwecke ich einen anderen Eindruck?“ Um ehrlich zu sein: ja. Löw hatte ein bisschen hineingezwinkert in den Pressesaal der Allianz Arena, seine Augen hatten erforscht, von wem könnten Fragen kommen, die weh tun, wer ist eher zu überzeugen durch ein „Mea culpa“, ein Schuldbekenntnis, die Flucht nach vorne. Löws Blick war ernster als sonst, bei den meisten seiner Antworten fixierte er einen entfernten Punkt weit über den wie im Kino aufgereihten Sitzen. Oliver Bierhoff, der für die Nationalmannschaft zuständige Manager des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), saß straff da, lächelnd – als sollte klar sein: In seiner Verteidigung steckt viel Wehrhaftigkeit. Angriff.
Joachim Löw führte seine Wie-es-geht-Antwort aus: „Ich kann alles einschätzen und verarbeiten, weil ich weiß, dass so was im Fußball passieren kann. Wir knicken deswegen nicht ein.“
Zwei, drei Tage nach dem WM-Ausscheiden und der Rückkehr ins heimische Freiburg hat er „Frust, Niedergeschlagenheit und eine große Portion Wut“ verspürt. Auf sich, die Spieler, die Welt. Am vierten Tag hat Oliver Bierhoff ihn besucht, sie haben dieses missratene Turnier besprochen, „wir haben uns selbstkritisch hinterfragt. Und am Ende des Tages, das Allerwichtigste: Wir haben gespürt, dass wir auch nach 14 Jahren große Motivation, Kraft, Energie, Begeisterung haben, das, was wir in Russland verbockt haben, wieder auf gute Beine zu stellen, das Schiff auf Kurs zu bringen.“
Löw hat die verfügbaren Spieldaten ausgewertet (siehe Randspalte), unterm Strich steht die Erkenntnis, dass er sich „meine allergrößte Fehleinschätzung“ geleistet hat. Er habe geglaubt, der Ballbesitzfußball, den seine Mannschaft sich in den vergangenen vier Jahren seit dem Gewinn des Weltmeistertitels in Brasilien angewöhnt hatte, würde sie schon durch die Vorrunde führen. „Es war fast schon arrogant, ich wollte ihn auf die Spitze treiben und noch mehr perfektionieren. Doch dafür müssen alle Rahmenbedingungen stimmen.“ Das taten sie nicht, lächelnd konterten Mexikaner, Schweden, Südkoreaner den Champion mit den vielen berühmten Spielern aus. Späte Erkenntnis: „Ich hätte die Mannschaft vorbereiten müssen auf eine stabilere Spielweise.“ Aber: Das war es nicht allein, „es gibt nie den einen, den finalen Grund“.
„Die zweite Erkenntnis“, sagt Löw, „man braucht Enthusiasmus, die Lunte muss immer mehr brennen, das Feuer sich von Runde zu Runde vergrößern.“ Der Bundestrainer erklärt, dass man sich bei einer Nationalmannschaft nie sicher sein könne, ob sie diese Dynamik entwickelt. „Bei einer Vereinsmannschaft ist das anders, die wächst über zwei, drei Jahre, man sieht sich jeden Tag.“ Nationalspieler haben oft über Monate nichts miteinander zu tun, in der Vorbereitung auf ein Turnier und in der Vorrunde herrscht „großer Konkurrenzkampf“. Erst nach drei, vier Wochen wandle sich das. „Paradebeispiel Per Mertesacker 2014.“ Der Abwehrspieler, der nach dem Achtelfinale nicht mehr drankam – aber zum Fan und größten Unterstützer der Mannschaft wurde. Am Ende ist das Teamgefüge perfekt gewesen.
In Russland gab es nur eine Vorrunde, in einem Quartier, in dem sich die Mannschaft nicht wohlfühlte. In dem sie sich in die virtuellen Spielwelten des Internets flüchtete, so dass man ihr (Löw: „Zwei Tage nach einem Spiel, dann war die Sache erledigt“) das Wlan abstellte. Doch Bierhoff versichert: „Es hat bei der WM keine eklatanten Dinge gegeben, die gegen die Regeln gegangen wären. Glauben Sie: Die Spieler jetzt sind professioneller als die vor 40 Jahren.“
Was man nicht bestreiten kann, war der Einfluss der Erdogan-Affäre. Für die Mesut Özil und Ilkay Gündogan standen. „Das Thema hat uns Kraft gekostet, es war nervenaufreibend“, gibt Löw nun zu, „aber es war nicht der Grund, dass wir ausgeschieden sind“. Ja, er hat die Wirkung „absolut unterschätzt, meine einzige Intention war, als das Thema aufkam: Wir müssen sportlich gut sein.“ Zu Özil hatte der Bundestrainer seit dessen Rücktritt keinen Kontakt.
Dass Uli Hoeneß während der WM probiert hatte, Einfluss auf die Causa Özil zu nehmen, bestätigte Oliver Bierhoff nun: Er wurde in Watutinki vor dem Match gegen Südkorea aus München angerufen. Es entspann sich ein Gespräch „über mehrere Punkte. Er hat den Hinweis gegeben, dass er einiges anders machen würde. Das habe ich so aufgenommen, aber er ist immer noch Präsident bei Bayern München und nicht Trainer der Nationalmannschaft.“
Wie geht es nun weiter? Der Kader für die nächsten beiden Länderspiele bietet keine großen personellen Veränderungen, Eingriffe gibt es in der Struktur rund um die Mannschaft. Man will die Nationalmannschaft wieder zu einer Art großer Familie machen. „In den vergangenen Jahren haben wir den Stab ja ständig erweitert, Experten für dies und das dazu geholt.“
Nun wird abgespeckt. Thomas Schneider, der erste Co-Trainer Löws, wird weggelobt in die Scouting-Abteilung, die er leiten soll. Der bisherige Chef, der Schweizer Urs Siegenthaler, oft spöttisch als Löws Fehlerflüsterer bezeichnet, soll potenzielle Gegner analysieren und in der Welt herumreisen, um in Afrika oder Südamerika Trends aufzuspüren. „Das Team hinter dem Team“, rechnet Oliver Bierhoff durch, „wird gegenüber der Turnierbesetzung um elf, gegenüber Länderspielen um sieben Stellen reduziert.“ Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt und Physiotherapeut Klaus Eder hören aus Altersgründen auf, es gibt keine Neubesetzung ihrer Posten, von den Physios muss außerdem Christian Huhn vom FC Bayern gehen, im Teammanagement wird eine Stelle eingespart, ein Extra wie der Yogalehrer Patrick Broome aus München gestrichen. Auch der Sicherheitsdienst wird nicht mehr so üppig besetzt sein.
DFB-Präsident Reinhard Grindel hat mehr Fannähe eingefordert, öffentliche Trainingseinheiten, Ablage des umstrittenen Etiketts „Die Mannschaft“. Bierhoff wird liefern müssen: „Im September ist das schwierig, im Oktober und November in Berlin und Leipzig planen wir öffentliches Training.“ Bierhoff selbst will seinen Job als Nationalmannschafts-Manager nicht aufgeben, sondern seine Oberhoheiten (Akademie, Entwicklung des Fußballs, Nationalmannschaften) behalten. Er ist mächtig, immer noch.
Er lässt sich nicht einfach was anschaffen wie die Tilgung des Claims „Die Mannschaft“: „Wir werden den Begriff analysieren, erforschen, mit Stakeholdern sprechen und dann eine Entscheidung treffen, ob wir es ändern.“
Bierhoff geht es deutlich besser als Joachim Löw.