München – Um eine neue Heimat kennenzulernen, kann es helfen, von der eigenen zu erzählen. Oder sie zu malen. Das detaillierteste Bild kommt von Adrian, schwarzes Shirt, Schlapphut. „Unser Picasso“, scherzt Julia, und die jungen Leute lachen. Adrians Bild zeigt das Wappen Australiens, samt Känguru und Emu. Es hängt unter Kwadwos schwarzem Stern von Ghana, rechts daneben Mias bunte Darstellung von Taiwan. Die jungen Menschen, die in dem lichtdurchfluteten Klassenzimmer im ersten Stock der Sprachenschule Inlingua am Sendlingertor-Platz sitzen, haben sich kennengelernt, als sie sich daranmachten, Deutschland kennenzulernen.
Es ist die vorletzte Tag von insgesamt 100 Schulstunden Orientierungskurs, einen Monat lang, fünf Tage die Woche, von 8.15 bis 12.30 Uhr. Ausländer, die langfristig in Deutschland leben wollen, machen den Kurs – seit 2016 sind die Kurse auch für Flüchtlinge geöffnet. Der Kurs von Christina Apostolidou ist vergleichsweise klein, normalerweise acht Teilnehmer, am Tag vor dem Abschlusstest, sind sieben von ihnen im Unterricht.
Sechs Nationalitäten sind im Kurs vertreten, sie sind alle Einwanderer: Nelia und Tetiana kommen aus der Ukraine, Kwadwo ist Ghanaer, Julia stammt aus Mazedonien, Mia aus Taiwan, Adrian ist Australier und Nadja Chinesin. Den Sprachkurs haben sie schon hinter sich. Vor einem halben Jahr sprach keiner von ihnen Deutsch – heute unterhalten sie sich darüber, welche Arten von Autoritätspersonen es gibt.
Für den Abschluss des Orientierungskurses machen die Teilnehmer den Einbürgerungstest. 15 Fragen müssen sie richtig beantworten, um den Kurs zu bestehen, was sie beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) nachweisen müssen. Mit 17 richtigen Antworten gilt auch der Einbürgerungstest als bestanden. Schaffen sie den Test, erhalten sie ihren Aufenthaltstitel – eingebürgert werden sie deswegen nicht automatisch, dafür müssen sie einen gesonderten Antrag stellen.
„Nicht schwieriger als eine Führerscheinprüfung“ werde er sein, versprach der damalige Innenstaatssekretär Peter Altmaier (CDU), als der Einbürgerungstest am 1. September 2008 eingeführt wurde. Zehn Jahre später ist die Kritik an dem Test, der von der Opposition und einigen Migrantenverbänden als überflüssige Schikane empfunden wurde, weitgehend verstummt.
Wahrscheinlich, weil kaum jemand durchfällt: Die Erfolgsquote liegt seit Jahren bundesweit stabil zwischen 98,2 und 98,8 Prozent. Im vergangenen Jahr wurden 112 211 Menschen durch Einbürgerung Deutsche. Die meisten von ihnen stammen aus der Türkei (14 984). Wegen des bevorstehenden Brexits verzeichneten die Behörden 2017 einen großen Andrang von Briten (7493).
Die Idee hinter dem Test, der für 25 Euro bei einer Prüfstelle des Bamf abgelegt werden muss: Wer Deutscher werden will, solle eine Vorstellung davon haben, welche Regeln und Gebräuche das Leben seiner neuen Landsleute bestimmen. Drei der insgesamt 33 Fragen beziehen sich auf das Bundesland, in dem der Ausländer lebt. Der allgemeine bundesweite Fragenkatalog besteht aus 300 Fragen aus den Themengebieten Politik, Geschichte und Gesellschaft.
Nahezu jeder Ausländer, der 2017 in Bayern den Einbürgerungstest abgelegt hat, war dabei erfolgreich. Von den 8988 Bewerbern, die den Fragebogen im Freistaat ausfüllten, bestanden 8893. Das entspricht einer Quote von 98,9 Prozent. Zwischen den Bundesländern variiert die Erfolgsquote kaum. Am höchsten war sie zuletzt im Saarland (99,1 Prozent), am niedrigsten in Thüringen (96,5 Prozent).
Ohne erfolgreiche Test-Teilnahme werden nur Menschen eingebürgert, die diese Bedingung wegen einer „geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt“ nicht erfüllen können. Außerdem Zuwanderer, die einen deutschen Schulabschluss erworben haben. Keine Ausnahme gibt es dagegen für Analphabeten. Wer nicht Lesen kann, wird deshalb laut Staatsangehörigkeitsgesetz höchstens „aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte“ eingebürgert.
Im Test werden zum Teil Fakten abgefragt, die auch einige gebürtige Deutsche nicht parat haben dürften. Etwa die Antwort auf die Frage: „In der DDR lebten vor allem Migranten aus…?“ Mit den Antwortmöglichkeiten: 1. Vietnam, Polen, Mosambik, 2. Frankreich, Rumänien, Somalia, 3. Chile, Ungarn Simbabwe, 4. Nordkorea, Mexiko, Ägypten. Dass jemand bei der Testfrage „Was ist mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar?“ sein Kreuzchen bei „Folter“ macht, ist dagegen eher unwahrscheinlich.
Die guten Testergebnisse haben sicher auch damit zu tun, dass man alle Fragen und Antworten zum Üben im Internet findet. Und damit, dass jeder, der einen Antrag auf Einbürgerung stellt, den Test beliebig oft wiederholen darf. Von den Wiederholern haben im vergangenen Jahr nach Angaben des Bundesinnenministeriums 91,9 Prozent den Test erfolgreich absolviert.
Das Ministerium zieht zehn Jahre nach der Einführung eine positive Bilanz. Ein Sprecher sagt: „Vor dem Hintergrund, dass sich die Testteilnehmer intensiv mit Fragen der Rechts- und Gesellschaftsordnung und den Lebensverhältnissen in Deutschland beschäftigen mussten, hat sich der Einbürgerungstest bewährt.“ Die Grünen halten Verbesserungen dagegen für dringend geboten. „Aufbau und Fragetechniken der aktuellen Einbürgerungstests sind nach wie vor unklar und verbesserungsfähig“, sagt Filiz Polat, migrationspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. Auch seien viele der Fragen „integrationspolitisch völlig irrelevant“.