München – Als endlich das letzte Selfie gemacht ist, nimmt Christian Lindner den Neuling einen Augenblick zur Seite. Dem „Faktomobil“ hat der FDP-Chef nur kurze Aufmerksamkeit gewidmet. Vielleicht, weil seit dem „Guidomobil“ Mobile aller Art bei FDP-Vorsitzenden verbrannt sind. Vielleicht aber auch, weil er rasch noch etwas Persönliches loswerden muss. „Ich finde es wirklich ganz toll, dass Sie jetzt bei uns sind“, raunt er Helmut Markwort zu. Eben, bei der Veranstaltung im Sauerlacher Ortsteil Arget, hat Lindner noch über die „liberale Nachwuchshoffnung“ gewitzelt. Aber das hier ist jetzt ernst gemeint: Für die FDP, die in Bayern knapp fünf Wochen vor der Landtagswahl gegen die Fünf-Prozent-Hürde kämpft, kann ein Promi wie Markwort zum Faktor werden.
Helmut Markwort blickt auf ein Berufsleben zurück, das allein bereits eine Zeitungsseite füllen würde. Er war Reporter, Chefredakteur (keineswegs nur beim „Focus“) und Herausgeber. Er verfügt über zahlreiche Beteiligungen an Radiosendern und ist heute noch Geschäftsführer der Burda Broadcast Media. Er hat einen der bekanntesten deutschen Werbesprüche geprägt („Fakten, Fakten, Fakten“), saß im Aufsichtsrat des FC Bayern und erreichte mit seinem „Stammtisch“ im Bayerischen Fernsehen ein Millionenpublikum. An seiner Seite steht mit der ehemaligen „Bunten“-Chefredakteurin Patricia Riekel eine glamouröse Partnerin. Hin und wieder sorgte er auch für ein paar kleinere Aufreger. Beispielsweise als er unter dem Pseudonym Moritz Rodach trotz seines Aufsichtsratspostens beim FC Bayern für den „Focus“-Artikel über den Verein schrieb.
Dieser Helmut Markwort also will sich mit 81 Jahren noch einmal neu erfinden. „Mein ganz persönlicher Spurwechsel“, witzelt er mit Blick auf die Asyldebatte. Ein politischer Kopf war er ja schon immer. Nur will er nun eben für die FDP das Leben als Abgeordneter austesten. Aber erst einmal ist Wahlkampf. In seinem „Faktomobil“, das Helfer aus einem Bäckerwagen gebaut haben, gibt es die Klassiker der Straßenkampagnen. Luftballons, Stifte, Prospekte. Und Selfies mit dem Kandidaten.
Helmut Markwort kommt zum Gespräch in die Redaktion unserer Zeitung. Er liebt diese Atmosphäre. Den Strom der Nachrichten. Den täglichen Zeitdruck. So hat einst seine Karriere angefangen. Nun sitzt er auf der anderen Seite des Tisches. Muss Fragen beantworten. Auch kritische. Wie jene, ob man mit Jahrgang 1936 nicht Jüngeren den Vortritt lassen sollte. Die lustigste Antwort habe er im Netz gelesen: „Einer hat geschrieben, ich sei der Jupp Heynckes der FDP.“ Die ernsthafte lautet: „Wir bieten alles an: einen Bundesvorsitzenden, der noch keine 40 ist, einen 37-Jährigen Spitzenkandidaten in Bayern – aber auch Wolfgang Heubisch und mich.“ Wobei der ehemalige Wissenschaftsminister erst 72 ist. Sollte Markwort den Sprung in den Landtag schaffen, dürfte er als Alterspräsident also gleich die erste Sitzung eröffnen. „Ich werde eine Grundsatzrede halten zum Selbstverständnis des Parlaments gegenüber dem Verwaltungsapparat.“
Seit 50 Jahren ist Markwort Mitglied der FDP. Eingetreten 1968. Kein Jahr, in dem die FDP als besonders hip galt. „Damals wurde ich als Scheiß-Liberaler beschimpft, und Joschka Fischer hat mit Steinen auf Polizisten geworfen.“ Was kaum einer weiß: Anfang der 80er kandidierte Markwort in München für den Stadtrat. Weit hinten, nur um die Liste aufzufüllen. Als zwei Jahre später mehrere Mandatsträger ausschieden, war er plötzlich Nachrücker, lehnte aber ab. Zu viele andere Projekte.
35 Jahre später läuft es nun ein bisschen ähnlich: Wieder trat Markwort zunächst hinten auf der Liste an. Platz 32 in Oberbayern, ohne eigenen Stimmkreis. Eigentlich aussichtslos. Ein paar Zeitungen schrieben kleinere Berichte über diese Kuriosität. „Ich wollte mit meiner Bekanntheit ein paar Stimmen ziehen, die die FDP sonst vielleicht nicht bekommen hätte.“
Doch dann kam alles anders: Tobias Thalhammer, der schlagersingende Ex-Geschäftsführer der alten Landtagsfraktion, war über seinen (in seinen Augen) schlechten 16. Listenplatz so erbost, dass er Mitte April zur CSU überlief. Die lud eigens zu einer Pressekonferenz. Oberbayern-Chefin Ilse Aigner stellte Thalhammer gar eine Top-Position auf der CSU-Liste in Aussicht. Doch der Schuss ging nach hinten los: Zunächst wurde Aigners Versprechen von der Basis bei der Listenaufstellung lautlos einkassiert. Dann präsentierte die FDP den Konservativen im Stimmkreis München Land statt Thalhammer einen deutlich prominenteren Konkurrenten: Helmut Markwort, nun nicht nur auf Platz 16 der Liste, sondern auch mit vielen Stimmen in einer der liberalen Hochburgen Bayerns. In der Gemeinde Grünwald machten schon bei der Bundestagswahl 27,5 Prozent der Wähler ihr Zweitstimmen-Kreuz bei der FDP.
Anders als in den 80ern deutet vieles darauf hin, dass Markwort diesmal sofort den Sprung ins Parlament schafft. Und anders als damals würde er die Wahl diesmal annehmen. „Er geht sehr professionell und mit einem bewundernswerten Elan an die Sache heran“, findet FDP-Spitzenkandidat Martin Hagen. In der achten Etage des Burda-Hauses hat Markwort sich Büroräume angemietet. Manche raunen, der wohlhabende Senior, der schon mal selbstironisch sagt, seine „Vermögensbildung ist abgeschlossen“, habe ein erstaunlich großes Team zur Verfügung. Markwort stellt tiefsinnig klar: „Ich habe niemanden eingestellt – aber beschäftige viele Leute.“ Alles Freiwillige.
Ein paar Tage später: Auftritt mit Lindner in Arget. Markwort hat sichtlich gute Laune. „Mir haben Leute gesagt: Spinnen Sie? So ein großer Saal? An einem Mittwochmittag um 13 Uhr? In Sauerlach?“ Jetzt sind alle 250 Plätze belegt. Wer zu spät kam, muss vor den geöffneten Fenstern auf der Terrasse sitzen oder im Gang stehen. Lindner wird erst in einer Stunde erwartet. Bis dahin macht Markwort den Talkmaster. Wie in der BR-Sendung, bei der er während des Wahlkampfs pausieren muss, steht ein Schild mit dem Schriftzug „Stammtisch“ vor ihm. „Es gibt ja Leute, die über Stammtische schimpfen“, sagt er. „Aber an einem Stammtisch sitzen wahlberechtigte, Steuern zahlende Bürger, die offen ihre Meinung sagen dürfen.“
Nun ja, an seinem Stammtisch sitzen nur FDP-Kandidaten aus den angrenzenden Stimmkreisen. Sie dürfen kurz etwas sagen, ansonsten ist dies eine Markwort-Show. In der ersten Reihe haben mehrere eigens angereiste Bundestagsabgeordnete Platz genommen, Patricia Riekel ist da. Und kurz vor Beginn ist sogar noch Verleger Hubert Burda eingetroffen. Was für ein Auflauf für eine Partei, die 2013 mit 3,3 Prozent aus dem Parlament gejagt wurde!
Es wird ein unterhaltsamer Mittag. Fakten, Fakten, Fakten gibt es nicht allzu viele. „Ich bin lebenslanger Reporter“, hat Markwort beim Besuch in unserer Redaktion erzählt. „Ich recherchiere Geschichten und erzähle sie.“ Und die Menschen hören sie gerne. Anekdoten über Digitalisierung, Finanzen oder das Leid der Unternehmer mit den Bürokraten. „Ich sammle ja kuriose Formulare, die man ausfüllen muss“, sagt Markwort unter dem Gelächter der Zuhörer. „Und dann lese ich als Gegengift deutsche Literatur.“
Markwort agiert mit dem selbstverständlichen Selbstbewusstsein eines älteren Herrn, der seit Jahrzehnten erfolgreich ist. Wieder gibt es Aufregung, weil Menschen Interessenkonflikte sehen. Beispielsweise, weil er trotz Wahlkampfs weiter eine Kolumne für den „Focus“ schreibt. Oder wenn er eine Statistenrolle für die öffentlich-rechtliche Sendung „Hubert ohne Staller“ zur Finanzierung seines Wahlkampfs versteigert. Markwort versteht den Wirbel gar nicht.
Markwort ist einfach Markwort. Selbstbewusst, selbstironisch, gelassen. Minister? Will er gar nicht werden. Nicht mehr in seinem Alter. Auch in seinem Stimmkreis sagt er offen, er sei ja nur aus München „neig’schmeckt“ und maße sich nicht an, über die Probleme dieses Landkreises zu reden. Die Konkurrenz ist prominent, beispielsweise Sozialministerin Kerstin Schreyer und SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen. Wobei er findet: „Die hauen sich die Polit-Phrasen nur so um die Ohren.“ Er erzählt lieber seine Geschichten. Wie die vom „Spiegel“-Chef Rudolf Augstein, der 1972 in den Bundestag einzog, ebenfalls für die FDP. Er blieb nur wenige Monate. „Mir haben Kollegen erzählt, er sei sauer gewesen, weil seine ehemaligen Korrespondenten besser informiert waren als er als Hinterbänkler“, erzählt Markwort.
Als Lindner schließlich eintrifft, nimmt er neben Markwort Platz. Ein Stammtisch und nur Wasser? Der Parteichef bestellt erst einmal publikumswirksam ein Bier. Er wird es sogar trinken. Man kennt sich ja schon lange. Als Journalist und als Politiker. Und natürlich auch vom BR-Stammtisch. Man siezt sich noch immer.
Doch später, die Veranstaltung ist fast vorbei, passiert es doch. Lindner sagt: „mein lieber Kollege Markwort“. Es kommt noch etwas zögerlich über die Lippen. So, als könne er es selbst noch nicht glauben.