Initiative Oberland hilft seit 20 Jahren

Die Tibet-Freunde aus Mittenwald

von Redaktion

Von Kathrin Brack

Mittenwald – Der Weg zu Seiner Heiligkeit ist beschwerlich, aber er ist die Mühe wert. Die Gruppe aus dem Kreis Garmisch-Partenkirchen steht geduldig am Berg in Dharamsala und wartet eine halbe Stunde in Schräglage darauf, dass sich die Schlange langsam vorwärts bewegt. „Das war scho a bisserl anstrengend“, sagt Peter Ludwig. Doch wenn der Mittenwalder, 62, von diesem Tag im April erzählt, leuchten seine Augen hinter der Brille. Ludwig, dem Ehepaar Angelika Lechl-Rahim und Alexander Rahim aus Mittenwald sowie dem Garmischer Xaver Angerer wurde die Ehre einer Audienz beim Dalai Lama zuteil.

Eine Audienz bei Seiner Heiligkeit bekommt freilich nicht jeder, „auch wenn wir eine Gruppe unter 300 anderen Leuten waren“. Der Dalai Lama wollte sich bei den Freunden aus dem Oberland bedanken. Sie gehören zur Initiative Oberland, die seit 20 Jahren Menschen in Tibet hilft, mit Würde im indischen Exil leben und überleben zu können.

Die Initiative Oberland hat seit ihrer Gründung fast 1,3 Millionen Euro an Spendengeldern gesammelt. Dazu kommen rund 650 Patenschaften, die sie für 800 Patenkinder vermittelt haben. Jährlich überweisen die Paten über 200 000 Euro an „ihre Tibeter“. Unter den Paten sind Prominente aus der Region wie die Biathletinnen Magdalena Neuner und Laura Dahlmeier (siehe Interview in der Randspalte).

Gemessen daran ist der Verein vergleichsweise klein: 15 Mitglieder hat die Initiative Oberland, und das ist so gewollt. „Wir haben uns ganz bewusst entschieden, die Zahl der Mitglieder zu begrenzen, damit wir kurze Entscheidungswege und möglichst wenig Bürokratie haben“, sagt Angelika Lechl-Rahim, die Vorsitzende. Zusammen mit ihren Eltern und ihrem Mann hat sie den Verein 1998 gegründet. „Uns ist wichtig, dass die Mitglieder im Verein mit anpacken, dass wir uns auf sie verlassen können.“ Das gehe im kleinen Kreis besser als mit einer großen Zahl an Mitgliedern.

Pate dagegen kann jeder werden, ab einem monatlichen Beitrag von 20 Euro – wobei der Initiative wichtig ist, „dass wir beständige Paten finden“, sagt Peter Ludwig. „Sonst stehen diese Menschen wieder da und haben nichts, wenn ein Pate nach einem Jahr wieder abspringt.“ Man kann Pate für ein Kind werden, für einen Mönch, eine Nonne oder auch einen Senior. „Nur aussuchen kann man sich sein Patenkind nicht, bei uns ist das nicht wie im Katalog.“ Allerdings achten sie sehr genau darauf, welche Menschen sie zusammenbringen. Und, darauf ist Angelika Lechl-Rahim ein bisserl stolz, „bis jetzt hat’s immer noch gepasst zwischen Paten und Patenkindern“.

Eine Patenschaft sollte eine Verpflichtung über viele Jahre sein, sie bringt dem Unterstützten Sicherheit. „Es gibt Patenkinder, die das Geld an andere Bedürftige in der Gemeinde weitergeben, sobald sie sich selbst versorgen können.“ Aber auch mit einer Spende kann man viel bewirken – Einzelspenden sind deshalb genauso wichtig für den Verein: „Von den Spendengeldern realisieren wir Projekte wie den Bau von Schulen oder das Altenheim, in dem heute 180 Menschen leben.“ Außerdem wird Geld in einem Notfallfonds hinterlegt, der unkomplizierte Direkthilfe bietet.

Um herauszufinden, wer gerade akuten Bedarf hat, hat der Verein aus dem Oberland einen Partner in Indien: Das Sakya Kloster im südindischen Mundgod stellt der Initiative nicht nur Räumlichkeiten zur Verfügung, auch einige Mönche arbeiten unentgeltlich mit. Vor Ort entscheiden sie, wem dringend geholfen werden muss und wer einen Paten bräuchte. „Ohne das Sakya Kloster“, sagt Lechl-Rahim, „könnten wir unsere Arbeit nicht machen.“

Die Initiative Oberland agiert weder politisch noch religiös und legt Wert auf Transparenz: „Jeder Cent, den unsere Paten für ihre Patenkinder schicken, kommt bei ihnen an“, sagt Angelika Lechl-Rahim. „Schwankungen gibt es höchstens beim Wechselkurs.“ Auch das Sakya Kloster wird jedes Jahr überprüft und von den indischen Behörden zertifiziert – nur so ist es dem Kloster gestattet, Geld aus dem Ausland zu erhalten. Über die Jahre sind sie nicht nur Partner geworden, sondern auch Freunde.

Der Weg dorthin war lang: 1990 besucht das Ehepaar Lechl-Rahim Tibet. „Die Liebe zu diesem Volk hatte ich schon als Kind in mir“, sagt Angelika Lechl-Rahim. „Das hat man in sich, oder man hat es nicht.“ Als sie von ihrer Reise zurückkommen, beschließt das Paar, die Patenschaft für einen Exil-Tibeter in Indien zu übernehmen, „a kloaner Klosterbua mit neun Jahren“. Der kleine Mönch lebt im Sakya Kloster.

Dann fahren ihre Eltern nach Indien, berichten von Armut und Leid der Exil-Tibeter. Der Kontakt zum Kloster wird intensiver, gleichzeitig will die Familie mehr tun. Sie sammeln erste Spenden, für zwölf Mark pro Stück pflanzen sie Obstbäume, bauen eine Küche für den Kindergarten. „Irgendwann haben wir gesehen: Das bringt’s nicht“, sagt Lechl-Rahim. „Du musst ein Verein sein, um etwas zu bewegen.“

Also gründen sie die „Initiative Oberland zur Unterstützung der Exiltibeter e.V.“ Neun Mitglieder sind sie am Anfang, sechs davon sind noch dabei, „die anderen sind leider inzwischen gestorben“. Das Motto der Vereins lautet: „Wer fühlt, was er sieht, der hilft, was er kann.“ Schnell schließen sich andere an, wie Peter Ludwig und seine Frau.

„Wir kommen aus einer Generation, die mit der wöchentlichen Sendung von Heinrich Harrer aufgewachsen ist“, sagt Ludwig. In „Heinrich Harrer berichtet“, ab 1963 ausgestrahlt, spricht die Bergsteigerlegende auch über ihre sieben Jahre in Tibet. „Als Kind hab ich die Informationen über dieses friedliebende Volk verschlungen.“

Mit den Jahren steigt die Zahl der Paten und Spender. Im Jahr 2000 zeigt der Bayerische Rundfunk den Film „Tibets Kinder auf der Flucht“ über die Initiative Oberland, der Zulauf ist enorm. Zusammen mit „Sternstunden“ setzen sie ihr erstes Projekt um. Und es folgen viele weitere.

Wie das vor Ort aussieht, schaut sich nicht nur das Ehepaar Lechl-Rahim regelmäßig an – sie fahren ein- bis zweimal im Jahr nach Indien. Auch Peter Ludwig und seine Frau sind zweimal dabei, und bei der Reise in diesem Jahr fährt der Unternehmer Xaver Angerer, 69, zum ersten Mal mit. Er ist seit vielen Jahren Pate und seit Kurzem auch Mitglied.

Angerer hat viel Elend gesehen in Indien, viel Armut. Er hat aber auch gesehen, dass seine Hilfe ankommt. Vor einigen Jahren unterstützte er den Vater seines Patenkindes mit einem alten Suzuki, seitdem kann der Vater die Familie als Taxifahrer ernähren. Oder der Fernseher fürs Altenheim: „Darum hatten sie gebeten, damit sie den Dalai Lama sehen können.“ Also spendet Angerer. Die Freude der Menschen, sagt er, „ist eine Bereicherung. Da geht einem das Herz auf.“

Ähnlich beschreiben sie das Treffen mit dem Dalai Lama: „Wir sind beeindruckt weggegangen, obwohl wir nur ein paar Minuten mit ihm hatten“, sagt Peter Ludwig. Zur Jubiläumsfeier, die am Wochenende in Mittenwald stattfindet, erreichte die Helfer ein Brief aus Dharamsala: „Seine Heiligkeit sendet seine Gebete, guten Wünsche und seine Dankbarkeit an die Initiative Oberland und an die vielen Unterstützer für ihre großzügige und anhaltende Hilfe für die armen und bedürftigen Tibeter.“

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