KriegsFlüchtling bei 1860

Mohamad, der syrische Löwe

von Redaktion

von Antonio Riether

München – „Auf geht’s!“, „Komm!“, „Yallah!“ In Trainingsmontur laufen Mohamad Awata und Kutaiba Shahadeh an den aufgebauten Trainings-Hütchen entlang. Mal wird gesprintet, mal laufen sie seitlich. In einem kleinen Park in Trudering hat Mohamad an diesem Junitag neonfarbene Markierungen aufgebaut. Für den Sportler, den sein engster Freund Kutaiba beim Training unterstützt, ist es der einzige Weg, fit zu bleiben. Die Freunde joggen im Park, spielen sich lange und kurze Bälle zu. Es ist das vorerst letzte Training in München für Mohamad: Der Fußballer aus Syrien fliegt nach Jordanien, um sich bei verschiedenen Klubs für einen Profi-Vertrag zu empfehlen.

Fußball spielen, hart trainieren: Das war Mohamads Lebensmittelpunkt in seiner syrischen Heimat. Bis der Bürgerkrieg den Träumen des jungen Mannes einen Strich durch die Rechnung machte. Der heute 25-Jährige spielte bei Al-Wahda Damaskus, einem der besten Klubs des Landes, machte als Teenager seine ersten Spiele in der Profi-Liga und spielte regelmäßig für die U21- und U23-Auswahlteams seines Landes.

In Syrien war Mohamad Bestandteil einer erfolgreichen Fußballer-Generation, deren Star Omar Khrbin ist, Asiens Fußballer des Jahres 2017. „Zehn oder elf Jahre haben wir vor dem Krieg bei Al-Wahda und in den Nationalmannschaften zusammen gespielt“, erzählt Mohamad. Doch als der Konflikt ausbricht, trennen sich ihre Wege. Khrbin wechselt über die Vereinigten Arabischen Emirate zum saudischen Rekordmeister Al-Hilal, während Mohamad der Hölle des Bürgerkriegs ausgesetzt ist.

Sechs Jahre sind vergangen, seit er seinen ehemaligen Mitspieler das letzte Mal gesehen hat: Aus seinem Viertel konnte Mohamad nicht mehr entkommen. Vor dem Krieg hatte er ein gutes Leben, doch mit dem Bürgerkrieg verändert sich die Lage in Mohamads Viertel, die Regierung schneidet Jobar vom Rest der Stadt ab. „Drei Jahre lang habe ich die Bomben erlebt“, erzählt er. „Auch in unser Haus schlug eine Bombe ein. Ich habe dabei meine Mutter und meinen Onkel verloren.“ Sein Vater und sein Bruder leben noch in Damaskus.

2016 flüchtet Mohamad über die Balkanroute von Syrien nach Deutschland. Er zahlt rund zweitausend Euro, um einen vier Kilometer langen Tunnel, der ansonsten für die Zufuhr der raren Lebensmittel und Medizin gegraben wurde, zu durchqueren. Seine siebzehntägige Flucht führt ihn nach Deutschland. Anfangs lebt er in Stuttgart, wo er in einem Flüchtlingsheim unterkommt. Er stellt 2016 einen Asylantrag, doch der wird abgelehnt. „Andere Flüchtlinge, die nicht in Syrien gelebt und den Krieg erlebt haben, kommen nach Deutschland und bekommen für drei Jahre eine Aufenthaltserlaubnis. Ich habe vor Bomben fliehen müssen und bekomme erst nur ein Jahr ‚Schutz‘. Das verstehe ich nicht“, sagt er.

Er hat mit widrigen Verhältnissen zu kämpfen. „In Stuttgart haben wir im Heim zu sechzehnt in einem Zimmer gewohnt. Ich musste mit Schlafmaske und Ohropax schlafen, weil das Licht immer an war. Die Leute dort haben sich um drei oder vier Uhr erst hingelegt, aber ich bin um fünf Uhr aufgestanden und habe trainiert.“ Eine Familie in Stuttgart unterstützt Mohamad, der zu dem Zeitpunkt nur gebrochen Englisch spricht. „Sie haben mich behandelt wie einen Sohn“, sagt er. „Sie haben nur wenige Meter vom Heim entfernt gewohnt, ich habe ihre Kinder beim Fußballspielen kennengelernt.“ Noch heute telefonieren sie alle zwei Wochen miteinander.

Nach sieben Monaten in der Flüchtlingsunterkunft kommt er auf den Rat eines Bekannten nach München. Der ein Jahr jüngere Kutaiba ist mit Mohamads Bekanntem verwandt. Kutaiba lebt seit vier Jahren in Deutschland, spricht Deutsch und macht eine Ausbildung zum Fitness-Coach. Die beiden freunden sich an und wohnen die ersten drei Monate zusammen. Für Mohamad beginnt ein neues Leben: Er kommt über einen Bekannten in Kontakt mit Daniel Bierofka, der damals noch die zweite Mannschaft des TSV 1860 München in der viertklassigen Regionalliga trainiert.

Mohamad erinnert sich gerne an sein erstes Probetraining in München. Der damals 23-Jährige durfte bei Bierofka vorspielen. „Ich muss mich bei ihm bedanken“, meint er. „Er hat an meinem ersten Tag gesagt, dass ich eine Woche mittrainieren darf. Er meinte: ‚Wenn du gut bist, spielst du bei uns.‘“ Der Coach hält sein Versprechen, Mohamad darf bleiben und trainiert mit der U21, bis er nach mehreren Monaten seine Spielerlaubnis und ab Sommer 2017 sogar einen Vertrag in der Hand hält. Mit dem Arbeitspapier wird auch Mohamads Aufenthalt automatisch verlängert.

Mohamad macht die ersten Regionalliga-Spiele, kommt beim Derby gegen die 2. Mannschaft des FC Bayern vor tausenden Zuschauern zu seinem ersten Startelf-Einsatz. „Bierofka kam einen Tag davor zu mir und hat gesagt: ‚Mohamad, du spielst morgen.‘ Und: ‚Egal was passiert, ich stehe hinter dir.‘“

Trotz aller Euphorie kommt Mohamad in einer Zeit zum TSV, in der alles schiefläuft. Der Zwangsabstieg des Zweitligisten bis in die Regionalliga zwingt das Reserve-Team in die Bayernliga. Die Löwen holen Stars für die Regionalliga, die zwar den direkten Wiederaufstieg ermöglichen, doch Mohamads Chancen auf einen Stammplatz schmälern. „Ich wusste, dass Sechzig in die 3. Liga muss. Und wenn du als Trainer die Wahl zwischen Sascha Mölders und Mohamad Awata hast, wen lässt du dann wohl auf den Platz?“

Er spielt für den TSV 1860 II in der Bayernliga, trainiert mit der Aufstiegsmannschaft und kommt auch zweimal im Meisterteam zum Einsatz. In insgesamt 26 Minuten macht Mohamad ein Tor und legt zwei weitere Treffer vor. Der Jubel bei seiner Torpremiere beim Auswärtsspiel in Bayreuth ist eine einzige Befreiung. Mohamad reißt sich das Trikot vom Leib, präsentiert es stolz dem mitgereisten Münchner Anhang, kniet nieder und betet auf dem Rasen.

In seiner Heimat blieben seine Erfolge nicht unbemerkt, sogar die Nationalmannschaft nimmt Kontakt auf. „In sechs Monaten ist Asien-Cup und ich hoffe, dass ich bis dahin nominiert werde.“ Die Chancen stehen nicht schlecht. Neuer Cheftrainer der Syrer ist der Deutsche Bernd Stange, ehemaliger Trainer von Hertha BSC Berlin und Fußball-Entwicklungshelfer in der Dritten Welt. Auch auf Klubebene ist Awata nun ein interessanter Name. Ein Wechsel in den Irak zerschlug sich letzten Winter wegen Visaproblemen. Mohamad konnte mit seiner Duldung nicht reisen und verpasste so die Chance auf einen Vertrag. Der Syrer hat keinen Spielerberater. Spezl Kutaiba hilft beim Aussortieren der Anfragen. „Hier in Deutschland brauchst du einen Agenten. Die Qualität macht 50 Prozent aus, der Berater die anderen 50 Prozent. Wenn du einen guten hast, kannst du höher spielen. In Arabien ist es das Gleiche.“

Medial sowie sportlich hat sich Mohamad in den Fokus gespielt. Er trainiert in Trudering täglich für seine Chance. Deutschland ist mittlerweile seine Heimat, sagt er. „Ich mag die Leute hier in München. Sie haben immer Respekt. Und es ist hier so grün, ich kann überall trainieren“, schwärmt der 25-Jährige. Er hat in München nicht nur Frieden und die Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft gefunden, sondern auch Freunde fürs Leben.

Am liebsten wäre Mohamad in Deutschland geblieben. Er hat im Profi-Geschäft Freunde gefunden. „Ich hatte aus der Regionalliga ein paar Anfragen, Pipinsried und Garching waren dabei. Die zweite Mannschaft von Sechzig wollte mich behalten, aber ich bin 25 Jahre alt. Wenn ich bei 1860 weiterspiele und nächstes Jahr 26 bin, wird es immer schwerer, Profi zu werden.“

In Deutschland hat es leider nicht geklappt, aber Mohamad hat eine neue Perspektive. Ohne Berater, aber auch ohne dubiose Mittelsmänner konnte er sich in Jordanien empfehlen und erhält einen Vertrag. Ein Jahr lang darf er sich bei Al-Jazeera Amman beweisen. Auf seinen Social Media-Kanälen bedankt er sich bei den unzähligen 1860-Fans, die ihn unterstützt haben. „Die zwei Jahre bei 60 werde ich nie vergessen, ihr steht bei mir ganz hoch im Herzen“, schreibt er.

Es ist eine Befreiung für den jungen Mann, der neben dem neuen Arbeitgeber noch eine gute Nachricht bekommen hat: Vergangenen Monat bekam der 25-Jährige die Aufenthaltsgenehmigung für zwei weitere Jahre in Deutschland und kann nach langer Zeit sein Leben wieder selbst bestimmen.

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