München – Mist aber auch! Diese Idee hatten die Deutschen nicht. Die Fußball-Europameisterschaft zum Öko-Projekt zu machen.
Als hätte die Türkei, der Konkurrent um die Ausrichtung dieser größten Fußballveranstaltung nach der WM, die Bücher des schriftstellernden deutschen Försters Peter Wohlleben gelesen, meldet sie: „Türkischer Fußballverband errichtet einen Wald für die UEFA EURO 2024.“ Konkret: „Im Namen jedes Fans, der in die Türkei kommen wird, um die europäische Fußballmeisterschaft zu schauen, wird ein zertifiziertes Bäumchen gepflanzt.“ Die angestrebte Zahl: „10 Millionen Bäumchen. Bestandteil des Lebenszyklus und ein nachhaltiges Echo für zukünftige Generationen.“ Botschaft: Gut fürs Weltklima also, wenn im Sommer 2024 die EM in der Türkei stattfindet.
Vielleicht zählt für die Entscheider aber ein ganz anderes Argument, vielleicht geht es für sie um die Wurst. Dann würden die Bewerber aus Deutschland den Geschmack besser treffen.
Zu ihrem Konzept gehört es, von ausländischen Profis in den Clubs der Bundesliga ein Statement abzurufen, warum die Europameisterschaft 2024 gut aufgehoben wäre in Deutschland. Zu den Testimonials gehört auch Theodor Gebre Selassie, ein Tscheche mit äthiopischem Vater, er kickt für Werder Bremen. In einem 90-Sekunden-PR-Filmchen sagt er: „Ich weiß, dass mir irgendwas fehlen wird, wenn ich nach Tschechien zurückkehre.“ Nämlich: „Die Bratwürste. Haben wir in Tschechien zwar auch. Aber in der Kombination mit Curry und mit der Soße habe ich es vorher nicht gekannt.“
Das Rennen läuft. Zehn Millionen Bäume. Oder zehn Millionen Currywürste. Was wird den Sommer 2024 bestimmen? Die Entscheidung fällt am Donnerstag dieser Woche in Nyon in der Schweiz, am Genfer See, dort sitzt der Europäische Fußball-Verband, die UEFA.
Deutschland gegen die Türkei. Klare Sache, dachte man noch bis vor einigen Monaten. Die eine Seite musste gar nicht glänzen, weil die andere viel zu belastet schien. Die Türkei war Ziel von Terrorangriffen an touristisch hochfrequentierten Orten – wer würde lieber dorthin wollen als ins sicher anmutende Deutschland? Die Türkei entwickelt sich in Richtung eines autokratisch geführten Staats, Präsident Recep Tayyip Erdogan hat international ein verheerendes Image, Menschenrechtsverletzungen sind alltäglich geworden, Journalisten werden eingesperrt – dagegen setzt Deutschland eine mustergültige Demokratie.
Erdogan segnet ab, was die UEFA von der Türkei verlangt
Die deutsche Selbstgewissheit, als Sieger hervorzugehen aus der Wahl des Exekutivkomitees der UEFA, ist jedoch geschwunden. Und nicht nur, weil Erdogan es zur Chefsache erklärt hat, das Turnier von 24 Nationen in die Türkei zu holen, weswegen er alle staatlichen Garantien liefert, die die UEFA verlangt. Vor allem auf der eigenen Seite läuft es nicht. Durch die Weltmeisterschaft hat der deutsche Fußball an Glanz verloren, Mannschaft und Trainer wirkten arrogant, Funktionäre des DFB traten in Russland herrisch auf, dazu passierten eine Menge handwerklicher Fehler im Umgang mit der Erdogan-Affäre: Die deutschen Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan übergaben Trikots an den türkischen Präsidenten Erdogan.
Am Ende stand der Nationalmannschafts-Rücktritt von Özil, der zu den fünf einflussreichsten Fußballern der Welt zählt und Deutschlands einziger globaler Star ist, und das Wort „Rassismus“. Es war von Özil explizit bezogen auf den ungeschickten DFB-Präsidenten Reinhard Grindel, einen früheren Bundestagsabgeordneten vom rechten CDU-Flügel, doch die Wahrnehmung der Öffentlichkeit ging auch in diese Richtung: Rassismus gibt es im gesamten Verband und in den Reihen des Nationalteams.
Vorstellbar geworden ist jedenfalls, dass der DFB auch mal abblitzen könnte mit einer Bewerbung. Bisher hat er immer bekommen, was er wollte: die Weltmeisterschaften 1974 und 2006, die Frauen-WM 2011, auch schon mal die EM, 1988.
Warum er große Turniere haben will? „Leuchtturmprojekte“ nennt Präsident Grindel sie. Eine EM oder WM ist immer eine Konjunkturmaßnahme für den Fußball, öffentliche Hand und Wirtschaft investieren mit, in Infrastruktur, Stadien. Und der Verband bekommt frischen Zulauf. „Die meisten Neuanmeldungen hatten wir nach der WM 2006“, sagt Grindel.
Doch wie diese WM überhaupt nach Deutschland gelangt ist, weiß man immer noch nicht, der Geldfluss von 6,7 Millionen Euro im Jahr 2001 gehört zu den Mysterien internationaler Sportpolitik. War es eine gekaufte WM?
Man hätte vom DFB Zurückhaltung in Sachen neuer Bewerbungen erwartet, solange die alte Geschichte nicht aufgearbeitet ist. Doch es fiel im Januar 2017 die gegenteilige Entscheidung: Flucht nach vorne, die EM 2024 muss nach Deutschland geholt werden. Ziel ist es, ein neues „Sommermärchen“ zu erleben.
Schatten auf Deutschland: 2006 ist weit weg
Philipp Lahm erzählt gerne von 2006. Als junger Nationalspieler erlebte er diese WM mit, obwohl er sich kurz zuvor den Arm gebrochen hatte. Er erzielte das erste Tor der WM, ein Kunstschuss gegen Costa Rica, noch dazu in seiner Stadt, in München. Und die Kameras fingen ein, wie er, bevor es in Berlin rausging zum Viertelfinale gegen Argentinien, im Kabinengang den WM-Song „Zeit, dass sich was dreht“ von Herbert Grönemeyer mitpfeift. Lahm war cool, Deutschland das lockerste Land der Welt.
In nur zwölf Jahren haben sich Schatten gelegt auf dieses Land. Lahm sagt: „Ein gemeinschaftliches Fußballerlebnis kann die Deutschen wieder zusammenbringen.“ Er ist Sonderbotschafter, er muss bei vielen Präsentationen neben Grindel sitzen. Lahms Zuständigkeiten: Hände schütteln, Trikots übergeben, von früher erzählen, obwohl das bei ihm noch gar nicht lange her ist. Er hat auch in einem Eiswagen gestanden und Vanille-Schoko-Erdbeere in Waffeln gedrückt.
Die Bewerbungen von Deutschland und Türkei sind einander ähnlich. Beiderseits PR-Hochglanz, Choreografien in den Stadien, der Slogan des einen (Deutschland: United by Football) könnte auch der des anderen sein (Türkei: Share Together). Und beide lassen Spieler aus ihren Ligen Nettes sagen über das Land, in dem sie spielen. „Die EURO in Deutschland kann etwas Schönes werden“, meint der FC-Bayern-Franzose Tolisso. Asamoah Gyan, ghanaischer Star von Kayserispor, wirbt: „Istanbul ist eine der besten Städte der Welt, und es gibt auch noch andere sehr schöne Städte.“
Touristische Erwägungen werden keine große Rolle finden im Entscheidungsprozess der UEFA. Weitaus wichtiger als Bewerbungs-Gesicht Lahm ist Reinhard Grindel, der um jede Stimme aus dem „Exko“ ringt. Als der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte Berlin besuchte, wurde Grindel vorstellig, damit er auf den Landsmann in der UEFA, Michael van Praag, einwirke. Ein mutmaßlicher Türkei-Sympathisant in Sachen 2024.
Hinterzimmerpolitik wird es weiterhin geben. Doch Grindel weist vorsorglich darauf hin, dass dem DFB wegen der 2006-Vorgeschichte von allen Seiten auf die Finger geschaut werde. Der DFB arbeitete bei seiner Bewerbung mit Transparency International zusammen – allerdings nur bei der Auswahl unter den deutschen Bewerbungsstädten.
Was die Deutschen bieten können? „Vernunft“, sagt Grindel. Und die Currywurst.