Der Gipfel unter dem Kreuz

von Redaktion

STREITGESPRÄCH: Der evangelische Landesbischof und die katholische Ministerin reden über Kirche und Politik

Flüchtlingspolitik, Kreuz-Erlass, Kirchenasyl: Zwischen Konservativen und den Kirchen ist es in den vergangenen Monaten zu Spannungen gekommen. Woran liegt das? Unsere Zeitung hat zwei bekennende Christen und politische Köpfe zum Gespräch geladen: Bayerns Vize-Ministerpräsidentin Ilse Aigner, CSU, katholisch, und den evangelischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. Ziel: kein Duell um Recht und Rechthaben, sondern ein Gespräch miteinander über Ziele, Werte und Fehler. In der evangelischen Bischofskirche St. Matthäus in München haben sich beide getroffen. Respektvoll und freundlich, aber in der Sache klar.

-Frau Aigner, eine persönliche Frage: Wann haben Sie zuletzt gebetet? Und wofür?

Aigner: Letzte Woche, im Gottesdienst. Oft führe ich im Alltag ein kurzes Zwiegespräch mit Gott – nachdenken, das eigene Handeln hinterfragen. Ich bin im Leben durch Höhen und Tiefen gegangen, in beiden habe ich viel Gottvertrauen gebraucht. Von uns Politikern heißt es ja, wir seien mächtig. Für mich ist schon eine Richtschnur, dass über den Mächtigen der Allmächtige steht.

-Herr Landesbischof, sind Sie ein politischer Kopf?

Bedford-Strohm: Ich bin zuallererst Christ. Dann bin ich ein Amtsträger meiner Kirche. Und wenn man das zugrunde legt, kommt man am Politischen gar nicht vorbei.

-Kirche und Politik haben beide mit einer schwierigen Stimmung im Land zu schaffen. Die Gesellschaft ist gespalten. Wie sehr besorgt Sie das?

Bedford-Strohm: Was wir gegenwärtig erleben, ist eine ungeheure Emotionalisierung und Empörungskultur. Zu viele Menschen erregen sich über Dinge, die schlecht laufen, ohne sich gleichzeitig für eine konstruktive Problemlösung einzusetzen. Dazu braucht es manchmal intensive Detaildiskussionen und die oft schwierige Suche nach Mehrheiten. Nur Empörung ohne Lösungen – das spielt den Hetzern in diesem Land in die Hände, die Pessimismus schüren statt Probleme zu lösen.

Aigner: Ich glaube, die Demokratie ist uns zu selbstverständlich geworden. Demokratie ist nie nur Gabe, sondern immer auch Aufgabe an uns alle. Ich fürchte, da ist ein Wesensmerkmal der Demokratie in Gefahr: die Kompromissbereitschaft. Wir erleben das leider oft: Die Fronten in Diskussionen werden immer härter, Positionen unverrückbarer, jeder glaubt nur an seine eigene Wahrheit.

-Sie eint vieles. Woran liegt es aber, dass Bischöfe und Politik gerade so häufig über Kreuz liegen?

Bedford-Strohm: Da geht es nicht um „die“ Politik, sondern um konkrete Sachfragen wie den Umgang mit Flüchtlingen. Als Kirche ist es nicht unsere Aufgabe, Politikern Honig um den Mund zu schmieren, es geht nicht um eine Verständigung der Eliten – sondern es geht darum, Orientierung zu geben.

Aigner: Ja, allerdings sollte man diese Diskussionen miteinander führen, nicht übereinander. Und beim Thema Flüchtlinge müssen wir schon darauf hinweisen dürfen, dass jeder anständig behandelt wurde, der bei uns angekommen ist. Niemand ist in Bayern – wie etwa in Berlin – auf der Straße gelandet, das war im Spätsommer und Herbst 2015 eine riesige Leistung. Als Regierung müssen wir auch ehrlich sagen, dass eine unbegrenzte Zuwanderung nicht funktioniert, dass wir Regeln und Lösungen brauchen.

Bedford-Strohm: Da ging es um den Ton, in dem das gesagt wurde.

-Hat sich die CSU im Ton vergriffen?

Aigner: Vielleicht haben wir nicht immer den richtigen Ton getroffen, was ich bedaure – und vieles wurde auch sehr verkürzt dargestellt. Wir haben stets auch über Humanität und Hilfe gesprochen – auch wenn das meist nicht berichtet wurde – und entsprechend gehandelt.

Bedford-Strohm: Bayern hätte sich weltweit als Modellland präsentieren können, weil sehr viel für Integration getan wurde, weil die Zivilgesellschaft – gerade aus den Kirchengemeinden heraus – wunderbar geholfen hat. Aber wenn Politiker dann Worte wie „Herrschaft des Unrechts“ sagen, bekommen die Leute das Gefühl, es werde alles immer schlimmer, der Staat habe keine Kontrolle mehr. Dieses Gefühl lähmt. Ebenso die Sache mit den Arbeitsverboten: Viele Zuwanderer und viele Helfer sind frustriert, wenn Fachkräfte, die von der Wirtschaft gebraucht werden, keine Arbeitserlaubnis bekommen. Da sollte man viel großzügiger sein.

Aigner: Das machen wir. Niemand wird während der Lehre abgeschoben, auch wenn sein Asylgrund abgelehnt wurde. Er bekommt dann eine Duldung für die Ausbildung und zwei weitere Jahre. Bei Pflegekräften wenden wir diese Regelung jetzt auch an, um sie im Land zu halten.

Bedford-Strohm: Das ist ein Fortschritt. Was wir aber jetzt wirklich bräuchten, ist eine generelle Stichtagsregelung. Menschen, die hier gut integriert sind, müssen bleiben dürfen und damit endlich eine klare Perspektive haben.

Aigner: Wir haben in Bayern über 65 000 Asylbewerber in Arbeit, Ausbildung und Praktika gebracht, sogar schneller als geplant. Diese Bilanz ist herausragend. Der Staat muss trotzdem weiterhin klar unterscheiden zwischen einem Asylrecht für Menschen, die von Flucht und Vertreibung betroffen sind, und jenen, die bei uns ein besseres Leben suchen.

Bedford-Strohm: Wir haben uns nie prinzipiell gegen Abschiebungen ausgesprochen. Aber die Leute verstehen nicht, dass gut Integrierte ins Flugzeug gesetzt werden, nur damit ein Politiker im Wahlkampf melden kann, die Abschiebe-Zahlen seien gestiegen.

-Kirchenasyl ist einer der großen Streitpunkte. Für manche in der Politik ein rotes Tuch, für die Kirche eine unverzichtbare humanitäre Geste. Warum kann Kirche den Rechtsstaat „austricksen“?

Bedford-Strohm: Das will die Kirche nicht! Es geht nicht um einen zweiten Rechtsweg, sondern um wenige Ausnahmefälle, in denen ein Mensch durch alle Rechtskategorien durchzufallen droht. Gegenwärtig sind es 55 Personen in der evangelischen Kirche in Bayern – das kann der Rechtsstaat gut aushalten.

Aigner: Es ist in einer Größenordnung, die wir pragmatisch lösen können. Grundsätzlich müssen wir aber schon auf die Einhaltung von Recht und Ordnung achten.

Bedford-Strohm: Die Gemeinden gehen mit Kirchenasyl extrem zurückhaltend um. In der Mehrzahl der Fälle lehnen sie ab, Kirchenasyl zu gewähren.

-Wenn Sie Ministerpräsidentin geworden wären – hätten Sie wie Söder den Kreuzerlass gemacht?

Aigner: Ich stehe zu diesem Erlass. Das Kreuz steht für Mitmenschlichkeit und Toleranz. Natürlich ist es zu allererst ein christliches Symbol…

Bedford-Strohm: Das war ja schon mal eine wichtige Klärung…

Aigner: …die der Ministerpräsident vorgenommen hat. Das hat die Debatte entschärft.

Bedford-Strohm: An diesem Erlass war vor allem der Zwangscharakter problematisch. Kreuze kann man nicht verordnen. Ja, ich freue mich, wenn das Kreuz öffentlich sichtbar ist. Es ist für viele Menschen Kraftquelle und zugleich Selbstverpflichtung. Das Kreuz stellt uns an die Seite der Schwachen, an die Seite der Menschen, die heute in Not sind und leiden. Das Kreuz ist deswegen auch die Grundlage dafür, dass wir der Staatsregierung kritische Fragen stellen müssen.

-Wie politisch darf/soll/muss Kirche sein? Ist es in Ordnung, wenn bei der großen Anti-CSU-Demonstration in München Nonnen mitmarschieren?

Aigner: Jeder hat das Recht zu demonstrieren. Trotzdem sollte man darauf achten, wer bei einer Demo mitmarschiert. Das wird auch von uns verlangt. Mich hat schon irritiert, das Zeichen der Caritas zwischen linksradikalen Transparenten und Hetzparolen zu sehen.

Bedford-Strohm: Kirche darf nicht Parteipolitik betreiben, sie kann nie einem bestimmten politischen Programm einen Heiligenschein geben.

-Da war früher die Abgrenzung nicht immer so trennscharf in Bayern…

Bedford-Strohm: Dann hat man da dazugelernt. Es gibt ein breites politisches Meinungsspektrum auch bei uns in der Synode. Aber als Christ kann man nicht sagen: Ach, lasst uns in Ruhe mit den Flüchtlingen. Wir können nie teilnahmslos zuschauen, wenn im Mittelmeer tausende Menschen ertrinken. Sondern wir müssen uns der Frage stellen, wie man den Menschen helfen kann.

Aigner: Wenn ich auf politische Mitbewerber schaue, die den Religionsunterricht infrage stellen, die Kirchenstaatsverträge kündigen wollen – dann würde ich mir auch mehr Wehrhaftigkeit der Kirchen wünschen.

Bedford-Strohm: Auch da sagen wir sehr deutlich unsere Meinung.

-Ein Beispiel: Was erwarten Sie von den Kirchen im Alltag, Frau Aigner?

Aigner: Für die eigenen Werte und unseren christlichen Kalender auch im Alltag einzustehen. Was mich wirklich aufgeregt hat, sind Kindergärten, die nicht mehr Ostern feiern, sondern St.-Patricks-Day, nicht mehr den Martinsumzug, sondern ein Lichterfest.

Bedford-Strohm: Natürlich ist es völliger Unsinn, wenn wir eigene Feiertage aus falsch verstandenen Neutralitätsgründen verleugnen. Wir müssen das Glaubenswissen pflegen, wo immer wir können. Das geschieht aber auch in den tausenden Kindergärten, deren Träger wir sind.

-Gehen Sie so weit, zu sagen: Ein Christ kann nicht AfD wählen?

Bedford-Strohm: Entscheidend sind immer Sachfragen. Da gibt es derzeit deutlich Anlass, sich gegen AfD-Thesen zu wehren. Was nach Chemnitz aus der Spitze der AfD gekommen ist, disqualifiziert diese Partei vollständig. Wer diese Partei wählt, gibt rechtsradikalen Parolen und Rassismus Rückendeckung.

Aigner: Die Vorkommnisse in Chemnitz zeigen klar, was hinter der bürgerlichen Fassade dieser Partei wirklich passiert. In der AfD wird ja immer ganz eifrig vom „christlichen Abendland“ getönt. Ich frage mich, ob es in der Parteiführung Menschen gibt, die christliche Werte wirklich leben. Ich finde es unerträglich, wenn Rechtsradikale die Weiße Rose, das Vermächtnis von Sophie und Hans Scholl, das Symbol des Widerstands gegen das Naziregime, missbrauchen.

-Gibt es eine christliche Pflicht, wählen zu gehen?

Bedford-Strohm: Das muss jeder für sich entscheiden. Es gibt aber sehr gute Argumente dafür. Der christliche Glaube stellt immer auch das Gemeinwohl in den Mittelpunkt, nicht allein das eigene Schicksal. Im Alten Testament heißt es schon beim Propheten Jeremia: „Suchet der Stadt Bestes.“

-Ein pragmatischer Rat: Der Wahlkampf tobt. Würden Sie einem Politiker im Terminstress raten: Geh’ in die Kirche, zünde eine Kerze an – oder: Nutze die Zeit, kleb’ Plakate?

Bedford-Strohm: Meine Antwort ist klar! Es tut jedem Politiker gut, innezuhalten. Ob mit Kerze oder mit einem Gebet – das ist jede Minute wert.

Interview: Chr. Deutschländer, Mike Schier und Claudia Möllers

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