Das große Ringen

von Redaktion

MVV-REFORM Freistaat gibt 35 Millionen – Nun beginnt das Feilschen um günstigere Tarife

VON DIRK WALTER

München – Ist das jetzt der Durchbruch? Kurz nach 13 Uhr an diesem Freitag setzen sich Ministerpräsident Markus Söder und Verkehrsministerin Ilse Aigner an einen Tisch in der Staatskanzlei und erklären, wie es mit dem MVV im Großraum München weitergehen soll. Wer jetzt meint, nun komme ein großer Wurf, der wird etwas enttäuscht. Söder zieht keinen großen Plan aus seinem Anzugssakko. Sondern nur einen DIN-A4-Zettel. Kein neues Tarifmodell also mit einer neuen Zoneneinteilung. Nein, Söder redet kurz über den „Verkehrsstress“, der im Ballungsraum München herrsche, und nennt dann eine Zahl: 35 Millionen Euro. 35 Millionen Euro stellt der Freistaat dem MVV zur Verfügung. Erstmals beteiligt sich der Freistaat an einem regionalen Verkehrsverbund. Das ist zweifellos eine gute Nachricht. Doch die Hauptarbeit kommt erst noch.

Die S-Bahn müsse „günstiger, schneller und verlässlicher“ werden, sagt Söder, und betont das noch einmal: günstiger, schneller, verlässlicher. Ein großes Versprechen. Zurzeit sind nur die Weichen für eines dieser Ziele halbwegs gestellt. Die S-Bahn wird wegen der 35 Millionen Euro weder schneller fahren noch verlässlicher. Dafür wären mehr Züge notwendig und mehr Gleise – beides gibt es nicht für ein paar Millionen mehr. Wohl aber wird es wahrscheinlich günstiger. Geld vom Freistaat gibt es zweckgebunden, damit im Gegenzug Fahrkartenpreise sinken können. „Am Schluss soll es fast nur noch Gewinner geben“, verspricht Aigner. Weitere 15 Millionen Euro soll es für die Schließung von Taktlücken geben. Da gibt es noch einige, etwa bei der S2 Richtung Altomünster, der S8 zwischen Weßling und Herrsching und der S7 Richtung Kreuzstraße. Die S-Bahnen verkehren dort teilweise nur im 40-Minuten-Takt.

Mit dem Geld könnten jetzt „Härten“ abgemildert werden, sagt Ebersbergs Landrat Robert Niedergesäß (CSU), der Sprecher der Landkreise im MVV-Gebiet ist. „Wir sind froh, dass wir diese Zusage haben.“ Doch das große Ringen um Ringe und Zonen beginnt erst. Zur Erinnerung: Eigentlich war die MVV-Tarifreform schon eingetütet. Sie sollte zum 9. Juni 2019 gelten, mit einer großen M-Zone, die das Stadtgebiet von München umfasst, und sechs Zonen außen rum. Einige Landkreise hatten die Reform schon abgesegnet, dann kam der große Krach. Vor allem im Kreis München rumorte es. Bürgermeister großer Gemeinden wie Ismaning, Garching oder Unterschleißheim rebellierten, weil ihre Pendler nach der Reform schlechter dran gewesen wären als vorher. Sie hätten die ganze München-Zone mitzahlen müssen, auch wenn sie nur in Randgebiete der Stadt pendeln. Durch das Geld des Freistaats ist es möglich, den München-nahen Gemeinden entgegenzukommen. Wahrscheinlich werden einige jetzt durch die Konstruktion einer sogenannten Überlappungszone Teil der M-Zone.

Niedergesäß wiederum nennt ein Beispiel aus seinem Landkreis. Bürger aus Vaterstetten drohten mit dem Umstieg aufs Auto, sollte die Reform wie ursprünglich beschlossen wahr werden. Wer zum Beispiel von der S4-Station Vaterstetten mit Umstieg in Trudering regelmäßig mit der U2 zur Messestadt Ost pendelt, der benötigt derzeit zwei Ringe. Im Monat kostet dies bisher 55,20 Euro. Durch die neue Reform hätte auch der Vaterstettener die ganze M-Zone mitzahlen müssen – die Monatskarte würde ihn nach jetziger Rechnung stolze 89,90 Euro kosten, über 30 Euro mehr. Solche „Härten“ sollen jetzt weg. „Der Pendler soll nicht mehr als jetzt zahlen“, verlangt Niedergesäß. Wie das tariftechnisch geregelt werden soll, ist aber noch unklar. Vaterstetten ist im Grenzbereich der neuen Zonen 1 und 2. Die Gemeinde ebenfalls in die M-Zone zu holen, würde Begehrlichkeiten anderer Gemeinden mit ähnlicher Lage auslösen.

Man sieht schon daran: Die Konstruktion eines MVV-Tarifmodells ist höhere Mathematik. In einem nächsten Schritt werden sich jetzt die MVV-Experten der Landratsämter zusammensetzen, um die 35 Millionen Euro sinnvoll in den Tarif einzubauen, damit möglichst viele Erleichterungen herausspringen. In jedem Landkreis gibt es Wünsche. In Fürstenfeldbruck zum Beispiel weist der Grünen-Abgeordnete Martin Runge, ein vehementer Kritiker des jetzigen Reformwerks, auf „gewaltige Preissprünge“ bei den Zeitkarten hin. Ein Pendler, der eine Wochenkarte für die Verbindung von Gröbenzell oder Germering nach Pasing lösen will, würde künftig 87 Prozent mehr zahlen – denn auch hier muss die komplette M-Zone mitbezahlt werden. So hat es Runge ausgerechnet. Auf seinen Vorschlag, die M-Zone einfach zu teilen in eine Innenzone mit den bisherigen Ringen 1/2 und eine Außenzone 3/4, wird sich aber wahrscheinlich niemand einlassen – denn dann würde die Diskussion im Münchner Stadtrat um die Sinnhaftigkeit der ganzen Reform wieder ausbrechen. Das will niemand.

Schon jetzt beäugt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) die Reform der Reform misstrauisch, ja mürrisch. Der Münchner Stadtrat hatte ja schon zugestimmt. Jetzt geht die Diskussion von vorne los. „Trotz meiner mehrfachen Nachfrage“, klagt Reiter am Freitag nach dem Spitzentreffen, das manche auch als Krisenrunde bezeichnen, habe es „keinen konkreten Vorschlag der Staatsregierung bzw. der Landkreise gegeben“. Es bleibe „völlig offen, wie die Vielzahl der Wünsche im Tarifmodell berücksichtigt“ werden soll. Reiter schiebt eine Drohung hinterher: Der Stadtrat werde erst über die neue Reform abstimmen, wenn das Reformwerk in sämtlichen Landkreisen verabschiedet sei. Die Verkehrsexpertin der SPD im Münchner Stadtrat, Simone Burger, nennt die Vorschläge gar „vage“. Sie kündigt an, dass auch München seinen Anteil an den 35 Millionen haben wolle.

Wie immer dieses Ringen um die Millionen jetzt ausgeht, eins ist sicher: Nach der Reform ist vor der Reform. Denn langfristig soll auch im MVV ein 365-Euro-Jahresticket gelten. Söder nennt einen Zeitraum „ab 2020“. Die MVV-Experten können sich also gleich noch eine Reform ausdenken.

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