Marille Tipolt ist ehrenamtliche Seniorenbeauftragte in Rottach-Egern am Tegernsee. Seit über zehn Jahren setzt sie sich für bedürftige Rentner im Tegernseer Tal ein. Im Interview spricht sie über deren Sorgen und Nöte.
Frau Tipolt, der Tegernsee gilt innerhalb Deutschlands als einer der Orte, an dem sich der Wohlstand ballt. Wie viel Armut gibt es unter den Reichen?
Bei uns ist die Schere sehr groß. Man kennt uns für reiche Oligarchen und Araber, für Uli Hoeneß und andere Prominente, die sich bei uns eine Immobilie leisten. Daneben gibt es aber auch noch die ganz normale Landbevölkerung. Viele Bewohner haben aufgrund des steigenden Preisniveaus finanzielle Sorgen.
Sie arbeiten nicht nur für die Gemeinde, sondern auch ehrenamtlich für den Verein Lichtblick. Wie viele Senioren brauchen Ihre Unterstützung?
Allein in Rottach-Egern unterstützt der Verein Lichtblick etliche Senioren mit einer festen Patenschaft von 35 Euro monatlich. Bedürftige Rentner können sich damit kleine Wünsche des Alltags selbst erfüllen, die ansonsten lange verwehrt blieben. Zusätzlich hilft Lichtblick bei Bedarf auch bei größeren Investitionen aus: beim Kauf von Winterstiefeln, eines Mantels oder einer Matratze.
Woran liegt es, dass die Tegernseer Senioren im Alter ganz besonders mit der Armut zu kämpfen haben?
Vor allem an den steigenden Preisen. Die Geschäftswelt im Tegernseer Tal orientiert sich gerne an den kaufkräftigen Bewohnern, Besuchern und Touristen. Die Lebensmittel sind im Verhältnis zur Stadt teurer und die Auswahl ist geringer. Mir kommt das Grauen, wenn ich im Schaufenster einen Pullover für 1000 Euro sehe – es wird aber bezahlt in Rottach-Egern. Das Problem ist: Anders als in der Stadt haben unsere Bewohner nicht die Möglichkeit, mal geschwind zu C&A oder H&M zu fahren. Wer wenig Geld hat, muss öffentlich fahren – die Busse fahren aber nur selten. Der Verein Lichtblick unterstützt Bedürftige mit Bus-tickets oder Fahrradreparaturen, damit sie mobil bleiben.
Zu den größten Ausgaben zählen oft die Wohnausgaben. Wie haben sich die Mieten im Tal entwickelt?
Unsere Mieten sind katastrophal. Die allermeisten Vermieter holen heraus, was geht – und es geht immer mehr. So schlittern viele Menschen in die Grundsicherung. Ich finde: Der Staat müsste sich am Wohngeld beteiligen.
Die Themen Geld und Armut sind schambesetzt, insbesondere in reichen Regionen. Wie begegnen Ihnen Senioren, die mit Geldproblemen zu kämpfen haben?
Wir müssen mit einer sehr sehr großen Diskretion und Vorsicht vorgehen, um die Menschen nicht zu verschrecken. Wenn das Vertrauen da ist, ist es aber sehr schön, wenn wir mit dem Verein LichtBlick helfen können. Wichtig und richtige finde ich es auch, wenn Nachbarn oder Gemeindebedienstete auf mich zukommen. Das Gute ist: Man kennt sich in Rott-ach-Egern. Wir haben noch nicht diese Anonymität der Stadt. Interview: Anja Reiter