Darmkrebs – die stille Gefahr

von Redaktion

Beide Opas starben an Darmkrebs. Dennoch ignoriert Kerstin Mannes erste Beschwerden. Ihre Diagnose bekommt die damals 31-Jährige fast zu spät. Ein bayernweites Projekt will das ändern und die Darmkrebsfrüherkennung bei jüngeren Menschen verbessern.

VON AGLAJA ADAM

München – Kerstin Mannes ist 30, als die Probleme beginnen. Verstopfung, Bauchweh, Übelkeit. Sie ist beruflich erfolgreich, in einer glücklichen Beziehung, joggt jede Woche 40 Kilometer. „Ich hab es lange nicht ernst genommen“, sagt die hübsche, brünette Frau. Fast zu lange. Denn als sie schließlich die Diagnose Darmkrebs bekommt, ist dieser schon so weit fortgeschritten, dass die Ärzte zurückhaltende Prognosen geben. „Ich hätte auch sterben können“, sagt die heute 35-Jährige. Dass sie vor fünf Jahren schwer krank war, sieht man ihr nicht an. Sie hat die Krankheit überwunden, ist sportlich, genießt das Leben. „Ganz bewusst“, sagt sie und lässt den Blick über den Ammersee schweifen, der in der Herbstsonne glitzert. Hier gönnt sie sich öfter eine Auszeit.

Kerstin Mannes kennt die erschreckenden Zahlen: Noch immer sterben in Deutschland 26 000 Frauen und Männer jedes Jahr an Darmkrebs. Jährlich erkranken 62 000 Menschen neu daran. Die Krankheit ist die zweithäufigste Krebstodesursache in Deutschland. Viele Betroffene könnten gerettet werden, bekämen sie früher ihre Diagnose.

Aber Darmkrebs ist eine „stille Krankheit“. Meist gibt es kaum Warnzeichen. Auch bei Kerstin Mannes macht sich die Krankheit gefährlich unauffällig bemerkbar. „Ich konnte eben nicht mehr täglich auf Toilette“, erzählt sie vom Sommer 2013. Sie schiebt die Verstopfung auf Stress, ist nicht übermäßig beunruhigt, als sie manchmal Bauchschmerzen bekommt nach einer Mahlzeit. „Ich dachte, dass ich Fett nicht so gut vertrage.“

Doch es wird immer schlimmer. Ihr Bauch ist oft gebläht, sie leidet unter Übelkeit. Ihr Hausarzt tippt auf Reizdarm, schreibt sie krank, damit sie zur Ruhe kommt. „Das will man dann auch glauben. Denn was nicht sein darf, kann ja nicht sein.“ Insgeheim macht sie sich längst Sorgen. Ihre beiden Großväter sind an Darmkrebs gestorben, bekamen die Diagnose mit um die 60 Jahren. Sie weiß, dass Darmkrebs erblich bedingt sein kann.

Tatsächlich ist laut Felix Burda Stiftung, die sich Darmkrebs-Aufklärung zum Ziel gesetzt hat, jeder dritte Darmkrebs durch eine familiäre Vorbelastung mitbedingt. Bei rund 50 Prozent der Patienten, die mit unter 50 Jahren die Diagnose bekommen, gab es Fälle in der Familie. Dennoch fragen viele Hausärzte bisher bei gravierenden Magen-Darmproblemen nicht ab, ob es in der Familie des Patienten Darmkrebserkrankungen gab. Dabei steigt die Rate der Neuerkrankungen bei Menschen im Alter unter 50 Jahren an, während die Diagnosen bei Älteren über 50 Jahren abnehmen. Ein Projekt will zu einer bessere Vorsorge bei jungen Menschen beitragen (siehe Kasten). Denn Früherkennung ist die wichtigste Waffe gegen Darmkrebs.

Sind es bei Kerstin Mannes anfangs nur Verdauungsprobleme, wird sie im Spätherbst immer müder und antriebsloser. „Ich hatte keine Kraft mehr“, sagt sie. An den Tiefpunkt erinnert sie sich gut. Ein Konzert steht an, sie freut sich darauf, mit ihrem Mann hinzugehen. Doch so sehr sie auch will, sie kann nicht vom Sofa aufstehen, ist zu schlapp. „Mein Mann“, sagt sie, „hat Alarm geschlagen.“ Doch der Hausarzt schiebt es weiter auf Stress. „Ich habe vehement eine Überweisung zum Gastroenterologen gefordert.“ Ihre Hartnäckigkeit rettet ihr vielleicht das Leben.

Am 3. März 2014 bekommt sie endlich einen Termin für eine Darmspiegelung. Ihr Stuhlgang ist zu der Zeit bleistiftdünn, sie entdeckt Blutspuren. Sie hat häufigen Stuhldrang, sitzt oft lange, bis etwas kommt. Mit letzter Kraft schleppt sie sich in die Arztpraxis. Zwei Tage später die traurige Gewissheit: Ein faustgroßer Tumor, nah am Schließmuskel. Rektumkarzinom, Mastdarm- oder auch Enddarmkrebs genannt. Lunge und Leber werden geröntgt. „Zum Glück hatte ich keine Metastasen.“ Der Krebs hat noch nicht gestreut. Der Schock ist groß. Doch sie will kämpfen. „Mein Mann hat mich einen harten Hund genannt“, sagt sie lachend, aber mit Tränen in den Augen.

Um den Tumor zu verkleinern, muss Mannes zunächst eine Strahlen- und Chemotherapie machen. Die Nebenwirkungen sind unangenehm. Am meisten leidet sie aber unter dem künstlichen Darmausgang, der ihr gelegt wird. „Ich wusste nicht, ob ich den behalten muss.“ In ihrem Bekanntenkreis fragen viele, ob sie das Ding sehen dürfen. „Das ist ein Tabu, keiner kennt so etwas.“

Mannes hält es für fatal, dass viele Menschen eine Mischung aus Sorglosigkeit und Berührungsängsten an den Tag legen, wenn es um den Darm geht. „Es ist ein so wichtiges Organ und beeinflusst unser ganzes Wohlbefinden.“ Sie geht locker mit dem Thema um, spricht routiniert über ihre Krankheit, die sie bis heute beeinflusst. Doch wenn sie vom Tag der Operation erzählt, wird ihre Stimme brüchig. Zehn Zentimeter Darm werden ihr herausgeschnitten. Als sie aus der Vollnarkose aufwacht, fragt sie als Erstes nach dem künstlichen Ausgang. Drei Monate muss sie ihn noch behalten, nicht für immer. Eine große Erleichterung.

Heute geht es ihr wieder gut. Sie geht joggen, macht Zumba. Essen kann sie fast alles, nur fettige Speisen verträgt sie nicht. Mit ihrem Darm muss sie sich trotzdem viel beschäftigen. Jedes halbe Jahr steht eine Darmspiegelung an. Immer wieder werden Polypen, auffällige Gewebeveränderungen der Darmschleimhaut, gefunden. Sie sind die häufigste Vorstufe von Darmkrebs und können sich in bösartige Tumore verwandeln. „Ich rate allen, die familiär vorbelastet sind, regelmäßig zur Vorsorge zu gehen“, sagt sie. Und fügt mit einem Grinsen hinzu: „Eine Darmspiegelung ist nur ein bisschen unangenehm.“ Sie kann aber Leben retten.

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