„Egal wo ihr seid, wir kriegen euch“

von Redaktion

INTERVIEW Politologe Oliver Schlumberger dämpft die Hoffnung auf einen neuen Umgang mit Saudi-Arabien

Herr Professor, was folgt aus der mutmaßlichen Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi?

Das ist zunächst ein Signal an alle Regime-Kritiker: ,Egal wo ihr seid, wir kriegen euch.‘ Es ist auch kein Zufall, dass das in Istanbul im saudischen Konsulat passiert ist – so kann zumindest keine Strafverfolgung durch die türkischen Behörden stattfinden.

Ein übliches Vorgehen?

Bisher nicht wirklich. Folter ist in saudischen Gefängnissen zwar Routine. Aber dieser offenkundige Auftragsmord trägt eher die Handschrift des Kronprinzen Mohammed bin Salman, der seine Macht schon länger ausbaut.

Haben manche diesen Kronprinzen zu früh als „Reformer“ beschrieben?

Ja. Natürlich ist es gesellschaftlich gesehen ein Fortschritt, wenn Frauen Auto fahren dürfen. Aber wir dürfen nicht vergessen: Mohammed bin Salman ist der Hauptverantwortliche für die humanitäre Katastrophe im Jemen. Dort will eine von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition seit 2015 die schiitischen Huthi-Rebellen stoppen – und hat das Land ins Elend gestürzt.

Diesen Jemen-Krieg hat Khashoggi in einem seiner letzten Texte beklagt.

Tatsächlich wäre dieser Krieg die Achillesferse des Kronprinzen – wenn die völkerrechtlich inakzeptable Intervention mehr Beachtung fände. Aber der Jemen ist weit entfernt, ein armes Land, die Menschen dort fliehen nicht in so großer Zahl nach Europa wie aus Syrien.

Könnte stattdessen der Mord an Khashoggi Saudi-Arabien schwächen?

Ich glaube nicht. Die maßgebliche Schutzmacht der Königsfamilie sind weiter die USA. Am Ende wird, erst recht bei Donald Trump, die ökonomische Ratio überwiegen – also der Blick auf milliardenschwere Rüstungsgeschäfte.

Gilt das auch für die deutsche Bundesregierung?

Bisher haben solche Zwischenfälle kein Umdenken in der deutschen Rüstungspolitik bewirkt. Ich wäre sehr überrascht, wenn das nun anders wäre. Auch wenn Frau Merkel kundgetan hat, dass vorerst keine weiteren Waffen exportiert werden können. Und auch wenn Siemens-Chef Joe Kaeser seine persönliche Teilnahme an der Investoren-Konferenz in Riad abgesagt hat.

Was ist mit den „westlichen Werten“ – Pressefreiheit, Rechtsstaatlichkeit, ablehnende Haltung gegenüber dem Zersägen von Menschen?

Natürlich führt der Fall zu sehr grundsätzlichen Fragen. Und natürlich fragen westliche Politiker jetzt, wie man etwa als Europäische Union mit Staaten umgehen soll, wenn deren De-facto-Staatsoberhäupter Auftragsmorde anordnen sollten.

Die Außenminister von Deutschland, Frankreich und Großbritannien empfinden „größte Besorgnis“.

Mehr geht auch kaum. Außer man würde wirklich Taten sprechen lassen – und die Einschätzung von Saudi-Arabien als Partner ändern. Die alte Erzählung, das Land sei Partner gegen den Terrorismus, funktioniert längst nicht mehr. Das soll höchstens noch potenzielle Rüstungsgeschäfte rechtfertigen.

Welche Rolle spielt die Türkei, wo sich ausgerechnet Staatschef Erdogan jetzt zum Hüter der Menschenrechte aufschwingt?

Schwierige Frage. Offensichtlich ist die Türkei an Sticheleien in Richtung Saudi-Arabien interessiert. Zumal sich Erdogan nach Khashoggis Verschwinden ja sehr schnell persönlich zu Wort gemeldet hat. Aber auch in den Aussagen türkischer Offizieller gibt es etliche Widersprüche.

Wie kann man das Verhältnis beider Länder zusammenfassen?

Ambivalent. Die Türkei ist in der jüngeren Vergangenheit mehrfach Opfer dschihadistischer Anschläge geworden. Diese Terror-Gruppen werden maßgeblich aus dem wahhabitisch geprägten Saudi-Arabien finanziert. Wobei natürlich niemand belegen kann, ob und wie das Königshaus dabei eine Rolle spielt.

Kurzum: Der Mord an Khashoggi wird wenig ändern – und die innenpolitische Rolle des Kronprinzen sogar eher stärken.

Mit diesem ernüchternden Fazit lehnt man sich wohl nicht zu weit aus dem Fenster.

Interview: Maximilian Heim

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