Istanbul/München – Der Tod des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi in Istanbul hat Auswirkungen bis in den Landkreis Vorpommern-Greifswald. Dort, an der Ostseeküste im Städtchen Wolgast, liegt die Peene-Werft, auf der aktuell drei Kriegsschiffe vor der Fertigstellung stehen. Geliefert werden sollen sie laut dem Magazin „Stern“ nach Saudi-Arabien – weshalb die in Wolgast arbeitenden Menschen die aktuellen Einlassungen deutscher Spitzenpolitiker zum Thema Rüstungsexporte höchst interessiert verfolgen werden.
Denn auch drei Wochen nach dem Verschwinden Khashoggis liefert der bizarr-brutale Fall mehr Fragen als Antworten. Der aktuelle Stand: Nach langem Leugnen haben die saudischen Herrscher eingeräumt, dass Khashoggi in ihrem Istanbuler Konsulat ums Leben gekommen ist. Offizielle Begründung: Er sei bei einem nicht näher definierten Faustkampf ums Leben gekommen. Eine Art Unfall. Khashoggis Witwe und anderen Familienmitgliedern wurde bereits von höchster Stelle kondoliert – in Gestalt des mächtigen Kronprinzen Mohammed bin Salman.
Klar ist: Der Fall hätte das Zeug zu einer ziemlich spannenden TV-Serie. Denn wie zu erwarten geben sich viele Staaten weltweit mit der merkwürdigen Erklärung des Königshauses nicht zufrieden. Zumal viele Medien von einem Mordkommando berichten, das eigens aus Riad angereist sein soll – und dessen Mitglieder teils zum direkten Umfeld des Kronprinzen gehören sollen. Auch bemerkenswert: König Salman, das formale Staatsoberhaupt, hat als Reaktion auf die Tötung Khashoggis just seinen Sohn mit einer Reform der örtlichen Geheimdienste beauftragt.
Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vize-Kanzler Olaf Scholz (SPD) bereits Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien infrage gestellt haben, legt Außenminister Heiko Maas (SPD) am Dienstag nach. Via Twitter erklärt er: „Solange die Fragen nicht überzeugend beantwortet sind, gibt es keine Grundlage für Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien.“ Pikanter Zusatz: Man überprüfe jetzt auch bereits genehmigte Lieferungen.
Während Maas twittert, bevorzugt der türkische Staatschef Erdogan zur selben Zeit die große Bühne. Vor Abgeordneten der Regierungspartei AKP im Parlament spricht Erdogan von einem „barbarischen, geplanten Mord“. Aber die im Vorfeld versprochenen Beweise legt Erdogan doch nicht vor. Keine Tonbänder. Keine Videosequenzen. Kritiker diagnostizieren nach dem Auftritt deshalb eine willkommene Ablenkung von der wirtschaftlichen Krise in der Türkei. Und in jedem Fall erhöht Ankara so den Druck auf die Saudis. Die Frage bleibt im Raum, wie viel Erdogan tatsächlich in der Hinterhand hat.
Der türkische Präsident bemüht einen rhetorischen Kniff, der in der Eitelkeiten gegenüber keineswegs immunen Welt der Spitzenpolitik auffällig ist. Er erwähnt den saudischen Kronprinzen mit keinem Wort. Stattdessen richtet er seine Appelle – etwa die Aufforderung, den Ort der Leiche zu nennen – an den saudischen König Salman. Das gilt auch für den Hinweis, man wolle den Verantwortlichen und Hintermännern der Ermordung in der Türkei den Prozess machen.
Und der im Fall Khashoggi gewohnt wankelmütig agierende US-Präsident Donald Trump? Der hält sich am Dienstag zunächst zurück. Auch in Teilen der USA – freilich eher entfernt von Trumps Kernwählerschaft – wird sein Kurs kritisch gesehen. Tenor: Man könne nicht gegen Russland wegen der Vergiftung eines Doppelagenten Sanktionen verhängen und die Saudis wegen der Ermordung eines Exil-Oppositionellen völlig unbehelligt lassen.
Derweil hat am Dienstag eine große Investorenkonferenz in Riad begonnen – wegen des Falls Khashoggi ohne zahlreiche hochrangige Gäste aus westlichen Ländern. Glaubt man der „New York Times“, hat das die Stimmung nicht vermiest. Im Gegenteil: Die Zeitung berichtet, dass Kronprinz Mohammed bin Salman mit stehenden Ovationen begrüßt worden sei.