München – Wer gibt heute noch einer Dame einen Handkuss? Wer hält jemandem die Türe auf? Wer lupft den Hut? Solche Gesten machten das Leben früher reicher. Das behauptet der Münchner Publizist Alexander Pschera. Er will nach eigenem Bekunden „die schönsten Gesten des alten Europa vor dem Vergessen retten“ – und gegen die Beliebigkeit im Umgang miteinander setzen. Eine Auswahl:
Ansichtskarten schreiben:
„Dabei geht es ja nicht oder höchstens nur am Rand darum, zu zeigen, wo man gerade ist – ganz im Unterschied zu den Postings auf Facebook oder Instagram. Nicht das Bild ist das Entscheidende, sondern die sprachliche Geste, die man der Karte einschreibt und die darin besteht, an die anderen auch dann noch zu denken, wenn man räumlich von ihnen entfernt ist.“
Einer Dame die Hand küssen:
„Der Handkuss, zumal der nur angedeutete, ist zugleich feinfühlige Annäherung und symbolische Unterwerfung. Das ,Bussi‘ wirkt demgegenüber wie ein grobes Abschmatzen, das auf Augenhöhe stattfindet und so seinen egalitären Charakter nicht verbergen kann.“
Gedichte auswendig lernen:
„Erst lernte man Schillers ,Glocke‘ auswendig, dann konnte man alle Strophen von ,Blowin’ in the wind‘ singen, heute braucht man für ,Atemlos durch die Nacht’ einen Karaokemonitor. Das ist, kurz gefasst, die Geschichte der abendländischen Bildung.“
Zum Abschied mit dem Taschentuch winken:
„Auch heute ist es möglich, dass man sich nicht wiedersieht, nachdem man voneinander Abschied genommen hat. Ein Unfall, ein Herzinfarkt oder einfach nur das Schicksal können sich spielend leicht in unsere Lebensplanung einmischen. Doch sind wir nicht mehr bereit, diese Tatsache anzuerkennen, weil die Statistik dagegen spricht. Entsprechend sachlich gestalten sich heutzutage Bahnhofsabschiede. Ein knappes ,Ciao‘ oder ,Servus‘, und dann geht es ein paar Minuten später ohnehin mit WhatsApp weiter.“
Sich bekreuzigen:
„Ordentlich, korrekt und bewusst das Kreuz an seine Brust nageln, und nicht nur in angedeuteten, verhuschten Handbewegungen über den Oberkörper wischen, als wolle man eine lästige Fliege verjagen.“ FRANZ ROHLEDER
Das Buch
Alexander Pschera, „Vergessene Gesten: 125 Volten gegen den Zeitgeist“, DVB Verlag, 192 Seiten, 22 Euro.