Rom – Zunächst erschien die Meldung ziemlich weit hinten in den italienischen Medien: „La Merkel“ werde 2021 nicht mehr als Kanzlerkandidatin antreten. Für italienische Verhältnisse ist das eine politische Ewigkeit weit weg. Die tatsächliche Bedeutung des von ihr ebenfalls angekündigten Schritts, bereits in wenigen Wochen das Amt als CDU-Chefin zur Verfügung zu stellen, dämmerte erst allmählich.
Während die großen Tageszeitungen die historischen Leistungen der „eisernen Lady“, wie Merkel in Italien gern in Anspielung an Margaret Thatcher tituliert wird, rühmten, können die anti-europäischen Kräfte ihr Glück kaum fassen. Ihre verhasste Lieblingsgegnerin streckt die Waffen. „Addio Merkel“, frohlockt Italiens Scharfmacher Nummer Eins, Innenminister Matteo Salvini, hämisch. „Das alte System hat abgewirtschaftet. Der Wind des Wechsels ergreift die Europäische Union.“
Im Schuldenstreit mit Brüssel haben die Populisten in Rom nun Oberwasser. Einen „harten Kampf“ kündigt etwa Wirtschaftsminister Luigi di Maio an. Am umstrittenen Finanzplan, den die EU-Kommission vor zehn Tagen zurückgewiesen hatte, werde man nicht rütteln. „Wir werden dieselbe Fassung wieder nach Brüssel schicken“. In diesem Sinne äußert sich auch Premierminister Giuseppe Conte.
Mit Merkel habe die jahrelange Austeritätspolitik in der EU abgedankt, schallt es aus den Reihen der Regierungsparteien Lega und Movimento 5 Stelle. Beobachter erwarten, dass die Regierung ihren Konflikt mit Europa nun erst recht auf die Spitze treibt, um bei den eigenen Wählern zu punkten. Lega-Chef Salvini versucht seit langem, sich als „Stachel im Fleisch Brüssels“ zu positionieren, um eine europaweite Allianz aus Rechtsradikalen, Anti-Europäern und Fremdenfeinden unter seiner Führung zu schmieden. Ziel ist, bei der Europawahl 2019 stärkste Kraft im Straßburger Parlament zu werden. Mit Merkels Machtverlust könnte den Populisten allerdings ein wichtiges Feindbild im Wahlkampf abhandenkommen.
Doch gibt es in Italien auch Bestürzung über das nahende Ende der Ära Merkel. Die Mailänder Tageszeitung „Corriere della Sera“ fasst es so zusammen: „Wir werden Angela Merkel nachtrauern. Die Deutschen, die sie seit 2005 als Kanzlerin hatten, haben die schlimmste Wirtschaftskrise eines Jahrhunderts unbeschadet überstanden. Und wir Europäer, die ihre Fähigkeit, immer das Richtige zu tun, wenn es keine Alternative gab, bewundern. Jetzt, wo ihre Dämmerung begonnen hat, zeichnet sich Merkel als historischer Gigant in diesem Abschnitt des Jahrhunderts ab.“ INGO-MICHAEL FETH