Der Kampf um Merkels Erbe

von Redaktion

Kramp-Karrenbauer, Spahn oder eine echte Überraschung? Der Kampf um den CDU-Vorsitz nimmt Fahrt auf. Die nun bestätigte Kandidatur von Friedrich Merz elektrisiert Konservative in der Partei. Und in der CSU wächst der Druck auf Horst Seehofer.

VON S. SESSLER, M. SCHIER UND M. HEIM

Berlin/München – Jetzt kann man schon auf den nächsten Kanzler wetten, auf den Mann nach Angela Merkel. Oder die Frau. Annegret Kramp-Karrenbauer hat eine Quote von 2:1. Sprich: Man bekommt beim britischen Wettanbieter Ladbrokes, dem größten der Welt, zwei Pfund, wenn man ein Pfund auf die CDU-Generalsekretärin setzt – und sie das Rennen macht.

Die Nachfolge von Angela Merkel ist ein Weltereignis. Und nur, wer mitspielt, kann gewinnen. Friedrich Merz ist seit Montag dabei, Quote 5:1. Jens Spahn werden auch Chancen eingeräumt, Quote 10:1. Wolfgang Schäuble und Andrea Nahles stehen gleichauf bei 16:1. Sogar Peter Altmaier hat Außenseiterchancen bei den Wettbüros, Quote 33:1.

Wichtig: Dabei geht es um den Kanzler-Posten. Davor aber steht eine andere Nachfolge an, die international für nicht ganz so viel Aufsehen sorgen mag, für die CDU aber existenziell ist. Denn schon im Dezember entscheidet sich der Kampf um die Parteispitze – Gewinner oder Gewinnerin dürfen gute Chancen auf die Kanzlerkandidatur 2021 (oder früher) attestiert werden.

Am Tag eins nach Merkels angekündigtem Rückzug wird klar: Die CDU steht vor einem interessanten Wettbewerb. Denn zu Gesundheitsminister Jens Spahn und Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer gesellt sich am Dienstag jetzt auch ganz offiziell ein Hoffnungsträger vieler Konservativer in der Partei. Ohne öffentlichen Auftritt, sondern ganz klassisch via Pressemitteilung erklärt Friedrich Merz, am 7. Dezember anzutreten.

„Ich habe mich nach reiflicher Überlegung und nach zahlreichen Gesprächen entschieden, auf dem Bundesparteitag in Hamburg für den Vorsitz der Christlich Demokratischen Union Deutschlands zu kandidieren“, heißt es in der Mitteilung des 62-Jährigen. Merz zollt darin Merkel für ihre Arbeit Respekt, merkt aber gleichzeitig auch an: „Wir brauchen in der Union Aufbruch und Erneuerung mit erfahrenen und mit jüngeren Führungspersönlichkeiten.“

Vom Wirtschaftsflügel kommt Unterstützung. Merz könne der CDU „den Ruck geben, der dringend notwendig ist“, sagt der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand, Christian von Stetten. Und der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates, Wolfgang Steiger, befindet: Merz habe als Fraktionsvorsitzender stets alle verschiedenen innerparteilichen Positionen gut integriert „und auch die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stark berücksichtigt“.

Besonders Gesundheitsminister Spahn dürfte diese fast euphorischen Wortmeldungen aus konservativen Teilen der Partei mit Interesse und Unbehagen verfolgen – sofern es keine Absprache zwischen Merz und ihm gibt. Denn beide Politiker gelten als Merkel-kritisch und einem traditionelleren Konservatismus verpflichtet. Nach den Gesetzen der Macht-Balance könnten zwei Konservative einer zu viel sein.

Schon mehren sich die Stimmen, wonach der Rechtsanwalt und frühere Fraktionschef Merz durch seine Aufsichtsrat-Tätigkeit für die umstrittene Fondsgesellschaft BlackRock in Erklärungsnot kommen könnte. Ein aus CDU-Sicht unerwartet spannender Herbst kündigt sich an. Mit Interviews, Ortsterminen und Hinterzimmer-Runden werden Kramp-Karrenbauer, Merz, Spahn & Co versuchen, die Stimmung auf ihre Seite zu ziehen. Möglicherweise werden die Kandidaten – vielleicht reiht sich noch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet ein – bereits vor dem Parteitag zum Schaulaufen antreten. Laut dem Chef der Hamburger CDU ist geplant, dass die potenziellen Merkel-Nachfolger am 19. November den CDU-Mitgliedern Rede und Antwort stehen. Eine Art Vorwahlkampf à la USA also, im Kleinen zumindest.

Ein Grüßchen kommt auch vom einstigen Chef des Koalitionspartners SPD. Sigmar Gabriel lässt in der „Zeit“ wissen: Er rechne mit einem Ende der Kanzlerschaft Merkels und damit der Großen Koalition bis spätestens Mai 2019. Wahrscheinlich sei Merkels Verzicht auf den CDU-Vorsitz nur der erste Schritt, um am Ende den Weg zu einer Jamaika-Koalition von Union, FDP und Grünen durch die Aufgabe auch des Kanzleramtes frei zu machen“, schreibt Gabriel. „Spätestens nach der Europawahl im Mai 2019 dürfte das der Fall sein. Angela Merkel weiß, was sie ihrer CDU schuldet.“ Neuwahlen hält er für unwahrscheinlich.

Genau so analysieren es auch einige Strategen in der CSU. Die Jamaika-Option könnte vieles ändern. Wegen der Großen Koalition hatte Ministerpräsident Markus Söder wenig Lust auf die Übernahme des CSU-Vorsitzes. Im vergangenen Dezember hatte Horst Seehofer Söder den Vorsitz sogar konkret angeboten – Söder aber lehnte ab. Gemeinsam mit Spahn, Christian Lindner und Robert Habeck an Jamaika zu basteln, könnte aber plötzlich sehr attraktiv wirken.

Noch ist alles offen. Der Zeitplan steht: Wohl am Wochenende soll das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen vorliegen, noch am Sonntag könnte der CSU-Vorstand zustimmen. Dass es dabei zum Sturz Seehofers kommt, gilt als ausgeschlossen, schließlich soll der Vorsitzende am Mittwoch beim EVP-Treffen in Helsinki sprechen – und für Manfred Weber als Spitzenkandidat für die Europawahl werben. Dessen Wahl erfolgt am Donnerstag.

Dann könnte es spannend werden. Spätestens Mitte November will Seehofer der Partei Vorschläge unterbreiten. Vermutlich bei einem Treffen der Bezirksvorsitzenden, zu dem noch die Partei-Vize zugeladen werden könnten. Was dabei passiert, ist völlig offen. Möglich auch, dass man abwartet, wie die Wahl der CDU ausgeht.

Und die Kanzlerin? Die tut ein bisschen so, als sei nichts gewesen. Am Rande eines Treffens mit dem ägyptischen Staatschef al-Sisi deutet sie ihren Rückzug kurzerhand um. Ihre Situation sehe sie nicht geschwächt – im Gegenteil. „Ich glaube, dass sich an der Verhandlungsposition in internationalen Verhandlungen nichts verändert. Man kann sogar sagen, ich habe mehr Zeit, mich auf die Aufgaben als Regierungschefin zu konzentrieren.“

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