München – Manchmal ist der Wilde Westen ganz anders, als man sich ihn vorstellt. Weit und breit keine Indianer, kein Whisky, kein Pengpeng.
Stattdessen steht eine freundliche Frau mit Brille und braunen Haaren in München-Riem im Stall neben ihrem 14-jährigen Pferd Emilio. Sie heißt Bettina Reger, Dienstrang Polizeihauptkommissarin, und sie erzählt, was Emilio am liebsten isst. „Leckerlis mit Bananengeschmack.“ Und was er gerne mag. „Fußballeinsätze“, sagt die stellvertretende Dienststellenleiterin der Reiterstaffel in München-Riem.
FC Bayern gegen Nürnberg in der Allianz Arena, 1860 München gegen Bayern II im Grünwalder Stadion. Problem-Partien sind sein Revier. Emilio ist ein Hochrisiko-Experte mit Huf und Mähne. Reger, 46, sagt: „Er ist dominant und dreht bei hoher Lautstärke nicht ab.“
Womit wir bei Hubert Aiwanger wären. Der Chef der Freien Wähler hat aus Bayerns Polizeipferden im Laufe dieses Sommers einen riesigen Aufreger gemacht. Den ganzen Wahlkampf über ließ er keine Gelegenheit aus, über Söders „Kavallerie“ zu spotten. „Wir sind hier nicht im Wilden Westen“, rief er über die Marktplätze und durch die Bierzelte, nachdem Ministerpräsident Markus Söder angekündigt hatte, die Reiterstaffeln aufzustocken.
Bald, so der Söder-Plan, soll jede der acht bayerischen Großstädte eine eigene Staffel erhalten – und München eine zweite. So sollen aus aktuell 41 Pferden in Riem bald 200 Pferde werden. Unterwegs sein sollen sie auch in Nürnberg, Augsburg, Regensburg, Würzburg, Fürth, Erlangen und Ingolstadt.
Noch am Tag nach der Landtagswahl hat Aiwanger erklärt, man werde den Plänen „den Stecker ziehen“. Weil: viel zu teuer. Er schätzt die Kosten auf 100 Millionen Euro pro Legislaturperiode. Die CSU und die Freien Wähler planen gerade ihre Hochzeit, Braut und Bräutigam verstehen sich blendend, am Montag wollen sie den Koalitionsvertrag unterschreiben. Alles läuft geräuschlos. Doch ausgerechnet Bayerns Polizeipferde haben ungeahnte Aufmerksamkeit erfahren. Politik ist manchmal ein rätselhaftes Geschäft.
Hier in Riem sehen sie das Ganze gelassen. Seit 1898 gibt es die Reiterstaffel München, damals hieß sie noch „Königliche Schutzmannschaft für die Haupt- und Residenzstadt München“. Personalstärke: 34 Reiter. Die Pferde waren Eigentum der Beamten und die Wittelsbacher herrschten. Die Pferde haben, wenn man so will, ein Jahrhundert Vorsprung. Die Freien Wähler sind erst seit 1998 im Landtag.
Bettina Reger streichelt ihren Emilio und sagt: „Als Polizeireiter ist man in erster Linie der gute und nicht der strafende Polizist.“ Das ist eines der Erfolgsgeheimnisse der Reiterstaffel. Sie ist eine trabende, manchmal auch galoppierende Vorzeige-Einheit. Wenn Reger mit ihren Kollegen an Kindergärten oder Spielplätzen vorbeireitet, passiert immer das Gleiche. Es wird geschrien. „Pfeeeeeerde!“ Oder es wird gefragt: „Darf ich streicheln?“
Vor einigen Jahren war im Luitpoldpark in Schwabing ein Messerstecher unterwegs, die Anwohner sorgten sich. Also patrouillierten die Pferde. Als sie dort an einem Café vorbeigeritten sind, erzählt Reger, „sind die Menschen aufgestanden und haben geklatscht“.
Auch am Flaucher bei den Isar-Grillern oder im Englischen Garten ist die Reiterstaffel im Einsatz. „Chinesische Besuchergruppen fotografieren uns besonders gerne“, sagt Reger. Will heißen: Jeder einzelne Chinese fotografiert die berittenen Polizisten, erst dann essen sie ihre Schweinshaxe. Die Polizisten sind Fotomotiv, Freund, Helfer und Tourist-Info in einem. „Wo ist denn der Marienplatz?“ oder „Wo geht’s zum Konsulat?“ Das werden sie jeden Tag gefragt.
Das ist die eine Seite der Reiterstaffel. Sie bewegt die Herzen. Das schaffen Streifenpolizisten oder Radarfallen-Experten eher nicht. Auf der anderen Seite betonen die Polizei-Reiter, dass sie extrem wichtig sind, dass sie Dinge können, die andere Einheiten nicht schaffen. „Wir haben zwar vom Pferd aus bisher noch keinen Einbrecher festgenommen“, sagt Reger. „Aber wir können voller Stolz sagen, dass in den Gegenden, in denen Polizeireiter ihre Streife geritten haben, zeitgleich noch kein Einbruch stattgefunden hat.“
Und dann gibt es ja noch die Geschichte aus dem Olympiapark. Ist schon länger her. Die Reiterstaffel wollte einen Fußballfan festnehmen, der randalierte. „Doch er ist vor lauter Verzweiflung in den Olympiasee gesprungen“, erzählt die stellvertretende Dienststellenleiterin. Der Mann ist einmal durch den See geschwommen. Am anderen Ufer hat ihn die Reiterstaffel dann festgenommen. Klatschnass.
Meistens kommt es aber gar nicht so weit. „Auch wenn die Stimmung aufgeheizt ist, beruhigen sich die Emotionen beim Erscheinen der Polizeireiter erfahrungsgemäß sofort“, sagt Reger. Hinter all dem steckt harte Arbeit. Zum Pferde-Training gehört die Simulation von Gefahrensituationen – vor dem Oktoberfest-Umzug spielt die Polizei-Blaskapelle in München-Riem vor, so laut sie kann, um die Tiere an die Geräusche zu gewöhnen.
Hooligan-Ausschreitungen werden natürlich genauso simuliert wie brandgefährliche Einsätze. Die Polizisten lernen auch, wie man im Sattel eine Waffe bedient. Die Hauptkommissarin sagt: „So lange ich hier bin, ist noch nie vom Pferd runter geschossen worden.“ Das soll auch so bleiben. Einmal hat ein Betrunkener auf der Wiesn wie verrückt an ihrem Pferd gezogen. Passiert ist zum Glück nichts. Man muss sich schon zu helfen wissen, hochdroben auf dem Sattel. Deswegen nehmen sie seit einiger Zeit nur noch Bewerber, die die reiterlichen Grundlagen beherrschen. Denn schiefgehen darf nichts. Dafür sind die Einsätze zu brenzlig.
Reger war mit Pferd dabei, als Obama auf Deutschland-Besuch war. Und sie hat Mick Jagger und den Rolling Stones einmal den Weg zu ihrem Konzert in Nürnberg gebahnt. Den Moment wird sie nie vergessen. Die Stones saßen in ihrer Limousine, aber sie kamen nicht zur Bühne, weil so viele Fans im Weg waren. Irgendwann kam die Einsatzleitung auf die Idee: Lass uns die Pferde holen! Die Reiterstaffel begleitete die Band zur Bühne. Das Konzert konnte pünktlich beginnen. Was beweist, dass diese Pferde zwar eher keinen Sinn für Wildwest, dafür aber für Rock ’n’ Roll haben.
In Kürze werden wir wissen, ob Emilio bald ein paar Pferde-Kollegen in Riem begrüßen darf – oder ob sich Aiwanger durchsetzt. Und Emilio alle seine Bananen-Leckerlis für sich behalten darf. Spannende Frage. Sogenannte Politik mit Stallgeruch.