Landtag lässt AfD-Kandidaten durchfallen

von Redaktion

So bunt und vielfältig war der Landtag noch nie: Sechs Fraktionen ringen nun um die beste Politik. Die erste Sitzung zeigt: Die Arbeit wird komplizierter und unberechenbarer. Und die AfD sieht sich schon jetzt als Opfer.

VON MIKE SCHIER UND CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München – Die neue Zeitrechnung beginnt nach 47 Minuten. Die erste Sitzung der neuen Legislaturperiode hat noch gar nicht richtig begonnen, da gibt es schon den ersten Änderungsantrag der Geschäftsordnung. Die AfD bittet höflich darum, die Wahl des Landtagspräsidiums zu verschieben, weil man nicht genügend Zeit zur Vorbereitung gehabt habe. Ein Anliegen, das von den anderen Fraktionen ebenso höflich, aber ziemlich deutlich abgelehnt wird. Der Ton ist moderat. Aber die Fronten sind klar: Hier die fünf etablierten Parteien. Dort die AfD.

Das Maximilianeum erlebt eine ungewöhnliche Sitzung. Veränderung liegt in der Luft. Jenseits des Plenarsaals rumpeln Müllcontainer über die Flure, die Reste der alten Legislaturperiode werden entsorgt. An den Ecken stehen Umzugskartons mit Faltanleitung, der diskrete Hinweis an ausgeschiedene Abgeordnete: Zimmer räumen, und zwar zackig.

Im Plenarsaal selbst entsteht eine seltsame Spannung. Alle wissen, dass neue Zeiten anbrechen. Und alle wirken auch ein wenig unsicher, wie sie damit umgehen sollen. „Die Temperatur ist anders hier“, sagt Finanzminister Albert Füracker. Er meint: Kühler, seit die AfD im Parlament sitzt. Es ist ein Tag der staatstragenden Appelle und historischen Mahnungen. „Wir wissen, dass Demokratie auch in Gefahr geraten kann“, mahnt Tobias Reiß, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU. Jener Partei also, deren Macht bis vor Kurzem in Stein gemeißelt zu sein schien.

Die AfD-Abgeordneten marschieren im Block in den Landtag, das soll wuchtig wirken. Irgendwie verheddern sie sich dann aber am Eingang zum Plenarsaal, wo jeder Abgeordnete unterschreiben muss. „Zügig durchgehen“, raunzt sie ein CSU-Mann von hinten an. Tatsächlich ist diese AfD aber kein homogener Block. Man merkt das an Details. Ihren Abgeordneten Franz Bergmüller, bei der Wahl immerhin noch Spitzenkandidat im großen Oberbayern, setzen sie hinten außen in die letzte Reihe auf einen Stuhl, der schmaler ist als er. Manche aus seiner Fraktion geben sich konziliant, klatschen bei den für die erste Sitzung üblichen staatstragenden Reden von CSU und Co. Ein anderer macht abfällige Gesten, als es um die Beobachtung durch den „sogenannten Verfassungsschutz“ geht, wie der parlamentarische Geschäftsführer Christoph Maier es ausdrückt.

Den Auftakt am Rednerpult macht der neue Alterspräsident Helmut Markwort (FDP), der eine etwas längliche Rede hält, in der er vor allem über Beamte und Bürokratie schimpft. Während die Abgeordneten die Zeit nutzen, um die frisch verteilte Broschüre durchzublättern, in der alle Mitglieder des hohen Hauses aufgeführt sind (also auch die Neuen von FDP und AfD), ärgert sich oben auf der Besuchertribüne Rolf Habermann, Vorsitzender des Beamtenbundes. „Unfassbar, die Eröffnungsrede der Konstituierung des 18. Bayerischen Landtags für plumpe Beamtenschelte zu missbrauchen“, schimpft er.

Markus Söder beobachtet Markwort aus der ersten Reihe, einträchtig sitzt er neben Florian Streibl, frisch zum Fraktionschef der Freien Wähler gewählt. Man plauscht und scherzt, als habe die CSU schon immer eine Koalition gewollt. Mit einem milden Lächeln quittiert er die Vorwürfe von Jürgen Mistol (Grüne), der mehr Demut und weniger Hochmut von der CSU verlangt und die Einführung einer Regierungsbefragung fordert, wie es sie nun auch im Bundestag gibt.

Das aber ist fast schon der krawalligste Moment dieser sehr moderaten Sitzung. Die AfD? Kein Zwischenruf ist in den ersten vier Stunden zu hören. Einige ihrer Vertreter wählen sogar Ilse Aigner zur Landtagspräsidentin, die mit 198 von 205 Stimmen ein außerordentlich gutes Ergebnis einfährt. Bei den anschließenden stehenden Ovationen für die Präsidentin erheben sich alle AfD-Politiker von ihren Sitzen. Als die nächsten Vize gewählt werden – Karl Freller (CSU), Thomas Gehring (Grüne) und Alexander Hold (Freie Wähler) – eilen die beiden Fraktionsvorsitzenden brav zur Gratulation. Parlamentarischer Alltag. Im Landtag war es immer üblich, dass jede Fraktion einen Vizepräsidenten bekommt. In der Regel folgen die Abgeordneten in freier und geheimer Wahl den Vorschlägen der Fraktionen.

So ist es auch diesmal. Bis die AfD an die Reihe kommt. Die hatte mit dem Münchner Uli Henkel zunächst einen Kandidaten nominiert, der vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Am Vormittag lenkt die Partei ein, macht mit dem Mittelfranken Raimund Swoboda einen neuen Vorschlag. Die anderen Fraktionen beraten sich, alte Zitate Swobodas kursieren, in denen Politiker als „Schurken“ bezeichnet werden. In der CSU-Fraktion warnen Abgeordnete, die Swoboda aus ihren Stimmkreisen kennen, vor einer Wahl des Mannes, den sein Parteifreund Christoph Maier bei der Vorstellung als „hochverdienten Staatsbeamten“ präsentiert.

Die Kollegen der anderen Fraktionen überzeugt er nicht. 27 wählen Swoboda, die AfD hat 22 Abgeordnete. 153 Mal steht Nein auf dem Stimmzettel. Wer ob dieses Ergebnisses mit Zwischenrufen oder Unmut der AfD gerechnet hatte, wird erneut überrascht. Klaglos nimmt sie das Ergebnis hin. Als später die Kandidaten von SPD und FDP, Markus Rinderspacher und Wolfgang Heubisch, wieder mit satten Mehrheiten gewählt werden, erscheinen die Fraktionsvorsitzenden wieder artig zur Gratulation.

In der AfD beraten sie nun, was zu tun ist, wälzen die Geschäftsordnung. Vermutlich schicken sie in ein paar Wochen, vielleicht im nächsten Jahr, einen neuen Kandidaten ins Rennen, 20 der 22 Abgeordneten könnten es ja noch probieren. Und es eilt nicht – die neue Zeitrechnung dauert wohl bis zur Wahl in fünf Jahren.

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