München – Der schicke Jaguar hält um kurz nach 14 Uhr vor Downing Street 10, Theresa May steigt hastig aus und verschwindet so schnell hinter der schwarzen Tür ihrer Residenz, dass man sie kaum erkennt. Womöglich, aber das ist bloße Spekulation, öffnet sie drinnen eine Notfallflasche Whisky. Wer könnte es ihr verdenken, nach diesem Höllen-Vormittag?
Es sind einsame Stunden für die britische Premierministerin. Noch am Vorabend boxt sie den Entwurf für einen Brexit-Text nach vielen Einzelgesprächen durchs Kabinett – ein Erfolg. Doch die Konsequenzen zeigen sich am Donnerstagmorgen: Erst tritt Brexit-Minister Dominic Raab zurück, dann Arbeitsministerin Esther McVey und mehrere Regierungsmitarbeiter. Alle sagen, sie lehnten den Brexit-Entwurf ab.
Es ist der Beginn einer Regierungskrise – und der Auftakt zu Mays Spießrutenlauf im Parlament. Hier liegt die eigentliche Hürde: Die Premierministerin muss die Abgeordneten dazu bringen, den Brexit-Entwurf zu billigen. Doch die Stimmung ist eisig und bald wird klar, dass sie kaum eine Chance hat, eine Mehrheit zu bekommen.
Mitglieder aus allen politischen Lagern nehmen May ins Kreuzfeuer, der Ton ist bisweilen scharf. Labour-Chef Jeremy Corbyn wirft May Versagen vor, andere legen ihr den Rücktritt nahe. Brexit-Gegner fordern wieder und wieder, May möge endlich ein zweites Referendum ansetzen. Doch die Premierministerin bleibt hart. „Das britische Volk hat für den Brexit gestimmt und die Regierung wird liefern“, sagt sie ein ums andere Mal. Manchmal klingt das wie eine Bestrafung: Jetzt müsst ihr halt da durch.
Ob die Taktik zum Erfolg führt? Die Opposition gegen May ist gewaltig. Die Labour-Partei, die Liberalen, die kleine DUP und große Teile ihrer eigenen Partei wollen gegen den Brexit-Entwurf stimmen. „Es werden stündlich mehr“, sagt Tory-Mann Mark Francois im Parlament. Es sei „mathematisch unmöglich, dieses Abkommen durch das Unterhaus zu bekommen“.
May ahnt das, hat aber einen Trumpf: Stimmt das Parlament gegen den Entwurf, dann droht ein harter Brexit, einer ohne Abkommen, kurz: Chaos. Im Falle ihres Sturzes ist das Szenario ähnlich – und trotzdem scheint der Putsch aus den eigenen Reihen nicht ganz unmöglich.
Es ist Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg, der May offen mit einem Misstrauensantrag droht. Angeblich sind die nötigen 48 Briefe von Tory-Abgeordneten fast zusammen. Dass ein Votum erfolgreich wäre, ist aber unwahrscheinlich. Nur eine Mehrheit der 315 konservativen Abgeordneten kann May stürzen, die Brexit-Hardliner kommen gerade auf 80 Köpfe. Außerdem ist eine Misstrauens-Abstimmung nur ein Mal im Jahr zulässig. Würde sie scheitern, wäre May gestärkt.
Alles ist offen, über den Entwurf wird im Dezember abgestimmt. Für May sind die Dinge klar: „Wir können uns entscheiden, ohne Abkommen auszuscheiden. Wir können riskieren, dass es keinen Brexit gibt. Oder wir können zusammenstehen und das bestmögliche Abkommen unterstützen. Dieses Abkommen.“ MARCUS MÄCKLER