„…dann hat es keinen Sinn, in der GroKo zu bleiben“

von Redaktion

OB Dieter Reiter (SPD) kommt flotten Schrittes über den Rathausflur. Er sieht fit aus, hat 17 Kilo in drei Monaten abgenommen. Seit dem Spätsommer trinkt er keinen Alkohol und achtet auf gesunde Ernährung. Nach 15 Uhr nimmt Reiter gar keine Speisen mehr zu sich. Intervall-Fasten nennt man das. Eine dauerhafte Fastenzeit erlebt derzeit auch seine Partei, die SPD. Die Sozialdemokraten erleiden ein Wahldesaster nach dem anderen. Münchens OB will auf dem Parteitag der Stadt-SPD am kommenden Samstag eine Grundsatzrede halten. Unsere Zeitung unterhielt sich mit Reiter (58) über die Frage, wie die SPD wiederbelebt werden kann. Ein Gespräch über Verjüngungskuren, neue Führungsfiguren und politische Rezepturen.

Herr Reiter, 13 Prozent in München für die SPD – ab welchem Wahlergebnis muss man über eine Auflösung der Partei nachdenken?

(lacht) So weit würde ich nicht gehen. Bundesweit, denke ich, müssten wir mindestens 20 Prozent wieder erreichen – wenn man sich als Volkspartei versteht. In Bayern war es schon immer schwierig. Aber wir werden uns nicht auflösen und in München machen wir seit Jahrzehnten erfolgreich sozialdemokratische Politik. Das ist heute wichtiger denn je. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass uns die Münchner auch nach der Kommunalwahl 2020 eine starke Rolle zukommen lassen werden.

Die Ergebnisse sind trotzdem verheerend. Sind Sie noch sprachlos?

Sprachlos bin ich höchst selten. Das nützt nichts. Ich habe mich aber auch nicht am Wahlabend gleich hingestellt und Rücktritte gefordert. Vielmehr bin ich zu unserer Spitzenkandidatin Natascha Kohnen hingegangen und hab erst mal mit ihr geredet. In dieser Dimension war das Ergebnis natürlich eine besonders herbe Niederlage.

Die Haudrauf-Methode mancher Parteigenossen haben Sie demnach für kontraproduktiv gehalten?

Es ist wenig durchdacht, zwei Minuten nach Bekanntgabe des Ergebnisses irgendwelche Personaldebatten anzustoßen. Man muss zuerst intern analysieren. Und wenn man weiß, wo es hingeht, kann man sich nach außen wenden.

Wenn der politische Trend anhält, werden sich die Grünen in München nach der Kommunalwahl 2020 den Regierungspartner aussuchen können – und nicht SPD oder CSU?

Ich bin durchaus optimistisch, dass der Oberbürgermeister und seine Fraktion sich die Koalitionspartner werden aussuchen können. Ich glaube schon, dass die SPD bei der Kommunalwahl nicht annähernd so schlecht abschneiden wird wie bei der Landtagswahl. Wir haben über Jahre hinweg vernünftige Leistungen abgeliefert, das konnte die Bayern-SPD natürlich nur schwer, weil sie nie in der Regierungsverantwortung war.

Wird es denn 2020 überhaupt noch für zwei Parteien allein zur Regierungsbildung reichen?

Eine interessante Frage. Auf kommunaler Ebene ist das schwer einzuschätzen. Ich würde keine Prognose wagen. Aber ich halte es aktuell für möglich, dass wir als SPD die jetzigen 24 Mandate plus OB verteidigen können. Fehlen noch 16 zur absoluten Mehrheit. Klar ist es denkbar, dass es 2020 womöglich zu einer Dreierkoalition kommen könnte. Ich fände das auch nicht schlimm. Der Großteil unserer Beschlüsse im Stadtrat wird schon jetzt von einer breiten Mehrheit über die Regierungskoalition hinaus getragen.

Sie sind offensichtlich zuversichtlich für die Kommunalwahl. Reicht also ein „weiter so“ bis 2020?

Nein, definitiv nicht – auch wenn man unterstellt, dass Kommunalwahlen anders laufen. Die Zahl der Stammwähler ist zurückgegangen, auch in München. Ein „weiter so“ darf es und wird es auch auf keinen Fall geben. Ich denke schon, dass Natascha Kohnen für Dinge verantwortlich gemacht wurde, für die sie nichts kann. Und Fakt ist, dass sich die Bundes-SPD äußerst ungeschickt verhalten hat. Wir als SPD müssen auf allen Ebenen die Grundfrage beantworten: Warum ist die Sozialdemokratie wichtiger denn je? Hier müssen wir Antworten und Inhalte liefern – und zwar ganz unabhängig von personellen Fragen.

Stichwort Personal: Woran liegt das schlechte Abschneiden der SPD? Können Inhalte nicht mehr ausreichend transportiert werden oder mangelt es an fähigen Leuten?

Beides hängt zusammen. Transport von Inhalten ist Aufgabe des Personals. Es wird schwierig, wenn Personen Inhalte nicht glaubwürdig vertreten können. Oder wenn man Personen nicht zutraut, diese Inhalte umzusetzen. Die Bandbreite der SPD-Themen im Landtagswahlkampf hätte sicher besser sein können: Nicht nur Wohnen und Miete, sondern auch die Themen Strukturpolitik, Landwirtschaft, Umweltschutz, Ökologie, Glyphosat, um nur einige Beispiele zu nennen, spielen auf ganz Bayern gesehen eine große Rolle. Die Leute trauen es offenbar SPD-Oberbürgermeistern zu, Dinge umzusetzen, aber auf Landesebene fehlt diese Überzeugungskraft.

Andrea Nahles steht im Bund auf der Kippe, Natascha Kohnen in Bayern. Sollten beide abtreten?

(kurze Pause) Das ist mir zu einfach. Wie gesagt: Erst nachdenken, dann reden. Wir haben im Januar einen SPD-Parteitag. Natascha Kohnen muss die Delegierten glaubhaft überzeugen, dass sie die Richtige ist. Wenn sie das nicht kann, wird sie gehen müssen. Sie tut gut daran, Fehler in der Kampagne zu benennen und darzustellen, was sich ändern muss. Wobei klar ist: Alternativen für Kohnen haben sich noch keine gemeldet. Andrea Nahles auf der anderen Seite hat schon einiges mit dem schlechten Wahlergebnis in Bayern zu tun. Ihr Einstieg war gelinde gesagt unglücklich, auch manche unbedachten Äußerungen oder der Umgang mit Maaßen. Sie hat nicht zum Sympathieanstieg der SPD beigetragen. Wir sollten darüber nachdenken, Sympathieträger wie die erfolgreichen Ministerpräsidentinnen Manuela Schwesig oder Malu Dreyer in die erste Reihe zu stellen.

Wäre ein Neuanfang mit dem Ausstieg aus der GroKo verbunden?

Ich sage ganz klar, wenn es uns nicht gelingt, dass wir sozialdemokratische Themen durchsetzen, auf die die Menschen in Deutschland zu Recht warten, dann hat es keinen Sinn, in der GroKo zu bleiben und eine Kröte der Union nach der anderen zu schlucken. Wenn jetzt diskutiert wird, Hartz IV zu reformieren oder abzuschaffen, oder Olaf Scholz mit einem Vorstoß zum Mindestlohn kommt, dann würde das spürbare Verbesserungen für viele Menschen bedeuten. Wenn man diese beiden Punkte nicht umsetzen kann, dann muss man sich fragen, warum man noch Regierungsmitglied bleibt.

Wenn es um eine mögliche Nachfolge von Andrea Nahles geht, wird immer wieder Juso-Chef Kevin Kühnert genannt. Ist er eine Alternative?

Er ist sicher ein unglaubliches politisches Talent. Er kann überzeugen und gut argumentieren, ohne zu poltern. Ich halte ihn schon für jemanden, den man aus der Rolle des Kritikers in die des konstruktiv Verantwortlichen bringen muss. Wenn man sich eine Parteispitze wünschen könnte, dann könnte er sicher eine Rolle als Stellvertreter spielen.

Auch die Jusos in München haben Forderungen, haben jetzt ein Papier unter dem Motto Red Vision veröffentlicht. Und sie fordern eine Verjüngung der SPD in München.

Ich halte es für gut und richtig, dass sich die Jusos Gedanken machen und Zukunftsvisionen entwickeln, die sich fernab des kleinteiligen, operativen Tagesgeschäfts bewegen. Alles, was in dem Konzept drin steht, kann man diskutieren. Und ja, die Jusos haben auch gesagt, dass sie eine Verjüngung wollen. Aber es geht auch um eine gute Mischung, es braucht jüngere Kräfte, aber durchaus in Kombination mit Menschen, die wissen, wie Politik funktioniert, die ihre Viertel vertreten. Wenn ich von der Partei als OB-Kandidat aufgestellt werde, dann werde ich bei der Aufstellung der Liste ein deutliches Wort mitreden. Das heißt: Es wird eine sichtbare Verjüngung der Mannschaft geben, die dann zur Wahl steht.

Gibt es denn bei den Jusos Talente, die Sie auf der Liste vorne platzieren würden?

Gehen Sie mal davon aus, wenn es einigermaßen so läuft, wie ich mir das vorstelle, dann werden zwei oder drei Jusos auf aussichtsreiche Plätze kommen. Wenn ich von Erneuerung spreche, dann bedeutet das, dass wir nicht mit den 25 selben Leuten antreten werden.

Es gibt intern großes Engagement, die SPD hat so viele Mitglieder wie nie zuvor – all dies steht in krasser Diskrepanz zu den Wahlergebnissen.

Weil die SPD ein Glaubwürdigkeitsproblem hat. Nehmen Sie das Beispiel Martin Schulz: erst keine GroKo, dann doch, erst wird er kein Minister, dann wollte er es doch werden. Da können Sie die besten Inhalte ins Programm schreiben, es glaubt einem aber niemand mehr. Das hat uns leider die Bundespartei eingebrockt. Und wir sind weit weg davon, das aufgearbeitet zu haben. Die klaren Positionen fehlen, und zu jedem Thema gibt es drei Meinungen. So kann man nicht Politik machen, schon gar nicht glaubwürdig. Kommunalpolitisch bin ich derweil guter Dinge. Ich handle immer nach der Maxime, dass ich sage, was ich tue, und tue, was ich sage.

Beim Verjüngungskurs müssen Sie auch Bürgermeisterin Christine Strobl und Fraktionschef Alexander Reissl mit ins Boot holen.

Beide sind langjährig erfahrenen Realpolitiker und können die Lage gut einschätzen. Christine Strobl und Alexander Reissl wissen, dass wir eine Liste brauchen, die attraktiv ist. Es geht darum, ein Signal zu setzen. Das geht nicht immer mit den gleichen Köpfen in den gleichen Rollen.

Ihre Partei wird hoffen, dass sie vom Spitzenkandidaten Dieter Reiter profitiert. Birgt das nicht die Gefahr, dass sich die Partei zurücklehnt?

Das ist ja nicht so ganz untypisch. Ich habe aber schon vor einer Weile gesagt, dass das so nicht funktionieren wird. Die Menschen sind durchaus in der Lage zu differenzieren. Wenn die Wähler ihr Kreuz bei Dieter Reiter machen, dann heißt das nicht automatisch, dass sie auch die SPD wählen. Da muss das ganze Team mitmachen.

Auf den Rathausfluren hält sich hartnäckig das Gerücht, dass Sie die nächste Amtsperiode nicht beenden werden, also möglicherweise bereits 2023 oder 24 aufhören.

Gerüchte gibt es viele, und meistens werden diese von Menschen gestreut, die ein bestimmtes Interesse damit verfolgen. Aber im Ernst: Ich bin sehr gerne OB und werde es auch gerne noch einmal sein, wenn mich die Münchnerinnen und Münchner 2020 erneut zum Oberbürgermeister wählen sollten – und dann selbstverständlich auch für eine ganze Amtszeit. Es gibt also keinen Plan, wie Georg Kronawitter frühzeitig aufzuhören.

Wäre es nicht strategisch sinnvoll, bei der Wahl 2020 schon einen Nachfolger aussichtsreich zu platzieren?

Wir haben jetzt das Jahr 2018. Da mache ich mir über viele Dinge Gedanken, aber bestimmt nicht darüber, wer in acht Jahren mein Nachfolger oder meine Nachfolgerin wird. Die CSU weiß schließlich heute noch nicht mal, wer in einem Jahr antritt.

Interview: Klaus Vick und Sascha Karowski

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