München – Frühreif, verdorben von Pornografie und dabei schlecht informiert: In Sachen Sexualität ist der Ruf der Jugend schlimmer, als sie ist. Zahlen belegen: Jugendliche in Deutschland haben deutlich später die ersten sexuellen Kontakte, als Erwachsene denken. Die meisten bezeichnen sich als gut aufgeklärt und sind es auch. Und sie tauschen sich mit ihren besten Freunden über Sex aus – oder mit ihrer Mutter. „Dass Jugendliche heutzutage an sich verdorben seien, ist Unsinn“, sagt Michael Niggel. Und kann sich dabei auf die Zahlen des Reports zur Jugendsexualität berufen, die die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) regelmäßig erhebt.
Der Sozialpädagoge und seine Kollegin Daniela Huber gehören zum sexualpädagogischen Team der pro familia-Beratungsstelle München-Neuhausen. Für uns erklären sie, welche Fragen Jugendliche am meisten umtreiben, wie sie Antworten finden – und warum es meist nicht die eine Antwort gibt.
Was kann ich tun bei Liebeskummer?
Die eine Strategie zurück zum Glück gibt es nicht. Trotzdem sagt Daniela Huber: „Das ist eine Frage, die man ernst nehmen muss. Liebeskummer ist furchtbar, egal in welchem Alter er einen erwischt.“ Das Wichtigste ist die Botschaft, dass es irgendwann vorbeigeht, „auch wenn man es sich gerade gar nicht mehr vorstellen kann“. Dann geht es um Handlungsstrategien: Dem einen hilft, mit dem besten Freund oder der besten Freundin darüber zu reden. Dem anderen, Sport zu treiben oder sich komplett zurückzuziehen. Huber: „Das ist ein normales Gefühl und eine Situation, die jeder irgendwann mal erlebt hat. Und das wahrscheinlich sogar öfter.“
Entscheidend sei, dass man weiter am Leben teilhat. „Wenn man merkt, dass sich jemand vollkommen zurückzieht, darf man das durchaus als Alarmzeichen werten“, sagt Michael Niggel. „Eltern, Pädagogen und beste Freunde sollte dann auf jeden Fall genauer hinschauen.“
Was ist das richtige Alter fürs erste Mal?
Das ist nicht nur eine persönliche Frage, sondern auch eine Frage der Umstände. „Es kann sein, dass man sich mit 16 bereit fühlt, aber noch nicht den passenden Partner gefunden hat“, sagt Daniela Huber. Die Botschaft: Lasst Euch Zeit. Normen gibt es nämlich nicht.
Ab welchem Alter darf man Sex haben?
Ab 14 Jahren. „Vorher gilt man als Kind, und Kinder sollen vor sexuellen Handlungen geschützt werden“, erklärt Daniela Huber. Allerdings, das belegen die Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, „haben mit 14 ohnehin die Allerwenigsten schon Sex gehabt“. Und: „Je aufgeklärter Kinder und Jugendliche sind, desto später haben sie ihr erstes Mal.“ Gerade einmal sechs Prozent der 14-Jährigen waren es bei der Befragung 2015. Es sei ein Trugschluss, dass Jugendliche früh sexuell aktiv werden, nur weil es erlaubt ist. „Selbst mit 18 Jahren haben erst 70 Prozent der jungen Menschen Sex“, sagt Michael Niggel.
Wie soll ich verhüten?
Nach wie vor ist die Frage nach der richtigen Verhütung für Mädchen ein größeres Thema als für Jungs. Die Pädagogen versuchen dem entgegenzuwirken, indem sie Jugendlichen aufzeigen, dass beide Partner verantwortlich sind. Im Trend: Viele Jugendliche fragen nach sogenannten „Verhütungs-Apps“, die die fruchtbaren Tage anzeigen sollen, als Verhütung aber nicht funktionieren. „Das ist natürlich verführerisch: Jugendliche regeln ja praktisch alles übers Handy. Es ist aber nicht sicher, so zu verhüten.“
Welches Verhütungsmittel zu wem passt, hängt von der Lebensphase ab – und davon, ob man in einer festen Beziehung ist oder nicht. Die Konstellation ist entscheidend. Huber: „Für eine Frau, die nur einmal im Jahr sexuellen Kontakt hat, ist zum Beispiel die Pille vielleicht nicht das richtige Verhütungsmittel.“
Was ist der Unterschied zwischen der Pille und der Pille danach?
„Die Pille“, sagt Michael Niggel, „wird vorbeugend eingenommen und hat eine niedrigere Hormonkonzentration.“ Die Pille danach dagegen sei als hoch konzentriertes Medikament ein Mittel für den Notfall, also nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr, zum Beispiel, wenn mit der Verhütung etwas schiefgegangen ist. Deshalb ist die Pille danach kein Verhütungsmittel. Man bekommt sie in der Apotheke, inzwischen ist sie nicht mehr verschreibungspflichtig.
Entspricht mein Körper der Norm?
„Früher haben sich mehr Mädchen mit dieser Frage beschäftigt, heute haben die Jungs fast gleichgezogen“, findet Daniela Huber. Schönheitsideale, Selbstoptimierung, das betrifft beide Geschlechter. Und obwohl es auch auf diese Frage keine Pauschalantwort gibt, haben die Pädagogen eine Beobachtung gemacht: „Das Schönheitsideal ist heute vielfältiger. Groß, möglichst dünn und blond – das ist nicht mehr das Maß aller Dinge.“
Jungs treibt allerdings noch etwas anderes um als Mädchen, sagt Michael Niggel: „Da geht es oft um die Frage nach der Größe und der Funktionsfähigkeit des Geschlechtsorgans.“ Die Ängste, im Vergleich mit den anderen vermeintlich schlechter dazustehen, seien gerade bei Jüngeren groß. Dadurch, dass der Zugang zu pornografischem Material auch für Jugendliche einfacher geworden ist, vergleichen sie sich stärker mit dem, was sie auf Bildern oder in Videos sehen. „Ich antworte den Jungs mit einer Gegenfrage“, sagt Niggel. „Ich frage sie, wie groß ein Fuß sein muss, damit man gscheid Fußball spielen kann.“ Dann verstehen die meisten, dass die Größe nicht das Entscheidende sei.
Darf ich meinen Partner übers Handy kontrollieren?
Viele Fragen, die Jugendliche heute stellen, waren für ihre Eltern gar kein Thema – weil sie nicht die gleichen technischen Möglichkeiten hatten. Treue, Eifersucht, die Fragen, wo Betrug beginnt und wie viel Kontrolle über den anderen okay ist, sind im Kern gleich, haben in Zeiten des Smartphones aber neue Ausprägungen. Daniela Huber sagt: „Jugendliche flirten über Soziale Netzwerke, bandeln an – und kontrollieren ihre Partner, indem sie zum Beispiel verfolgen, mit wem er oder sie schreibt, ob Bilder ein Herzchen auf Instagram bekommen.“
Für viele Jugendliche, so die Pädagogen, sei es ein Vertrauensbeweis, wenn der andere Zugang zum Handy gewährt. „Grundsätzlich gilt: Handykontrolle muß eigentlich immer verhandelt werden. Allerdings: Wenn jemand das nicht möchte, macht er sich in dieser Denkweise oft automatisch verdächtig.“ Verbunden sei das mit der Frage, ab wann etwas Betrug ist. „Ist es Betrug, wenn mein Freund mit einer anderen schreibt oder ihre Bilder kommentiert? Oder erst beim Küssen oder sexuellen Handlungen?“ Abhängig von Alter und sozialem Umfeld unterscheiden sich auch die Moralvorstellungen. Die seien aber, so Niggel und Huber übereinstimmend, bei vielen Jugendlichen hoch und erstaunlich konservativ.
KATHRIN BRACK
Beratung
pro familia bietet an verschiedenen Standorten Sexualberatung an, die Teams besuchen auch Einrichtungen. Außerdem hat pro familia eine Onlineberatung, unter www.sextra.de (siehe Randspalte).