Datenkrake im Skandal-Strudel

von Redaktion

Skandale, Kursverluste und die unvermeidbare Führungsfrage: Facebook gerät immer stärker unter Druck. Ein Bericht der „New York Times“ erhebt schwere Vorwürfe gegen die Chefetage. Ist das der Anfang vom Niedergang eines Social-Media-Riesen?

VON FRIEDEMANN DIEDERICHS

Washington – Marc Benioff, der Vorstandschef des US-Softwareunternehmens Salesforce, war schon immer ein Freund offener Worte. Kürzlich forderte er die Stadt San Francisco auf, ortsansässige Unternehmen wie Twitter und auch seinen Konzern mit einer Sondersteuer zu belegen und die Erlöse an Obdachlose weiterzugeben. Nun hat Benioff mit einer weiteren Aussage für Schlagzeilen gesorgt: „Facebook ist wie Zigaretten“, sagte er. „Du weißt, dass es süchtig macht. Es ist nicht gut für dich. Facebook kann die Gesellschaft ebenso negativ beeinflussen, wie es Zigaretten tun.“

Facebook, der Social-Media-Gigant mit nach eigenen Angaben weltweit rund 2,27 Milliarden aktiven Nutzern, sei so schädlich für Jugendliche und die Gesellschaft wie die heute in den USA geächteten Zigaretten. Facebook verführe die Menschen zu einem Verhalten, das sie selbst nicht verstehen würden. „Die Regierung muss einschreiten. Es müssen Regulierungen her“, fordert er.

Diese massive Kritik kommt zu einem Zeitpunkt, wo Facebook und sein Gründer Mark Zuckerberg bereits an zahlreichen Fronten gegen immer neue Negativschlagzeilen kämpfen, die unterm Strich alle zu der Kernfrage führen: Hat Facebook mit der derzeitigen Marktstrategie und unter der aktuellen Führungsspitze überhaupt langfristig eine Zukunft? Die Börsenanleger scheinen derzeit daran Zweifel zu haben. Die Facebook-Aktie steht seit Wochen unter starkem Verkaufsdruck und liegt momentan nur knapp über ihrem Tiefstkurs für die letzten 52 Wochen.

Dazu beigetragen hat auch ein spektakulärer Bericht der „New York Times“, deren Redakteure monatelang den Konzern unter die Lupe nahmen und nun mit diesem Fazit an die Öffentlichkeit gingen: Facebook hatte schon ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen 2016 Hinweise darauf, dass russische Hacker und Aktivisten versuchten, auf dem Portal den Wahlausgang zu beeinflussen – aber Facebook hielt dies unter der Decke. Und: Das Facebook-Management habe eine PR-Kampagne in Auftrag gegeben, um Kritiker – darunter vermutete man als Drahtzieher auch den liberalen Milliardär George Soros – in ein schlechtes Licht zu rücken und als Antisemiten zu brandmarken.

Facebook begegnete diesen mit zahlreichen Details gespickten Vorwürfen zwar mit einem Dementi – doch das bezog sich bezeichnenderweise nicht auf die von der New Yorker Zeitung vorgetragenen Fakten, sondern lediglich deren Interpretation. Und: Mark Zuckerberg ließ am Donnerstag verlauten, er habe von der PR-Kampagne gegen Facebook-Kritiker überhaupt nichts gewusst, der Auftrag sei jetzt gekündigt worden.

Das Wirtschaftsmagazin „Business Insider“ kommentierte dies mit den Worten, dieser „schandhafte Vorgang“ müsse zu Rücktritten an der Spitze von Facebook führen, allen voran Mark Zuckerberg und seine Vertreterin Sheryl Sandberg, die die verdeckt geführten Attacken gegen unbequeme Meinungsführer beaufsichtigt habe.

Die Debatte um die Köpfe von Zuckerberg und Sandberg wird bereits seit 2017 verstärkt geführt, als ein massiver Missbrauch von Nutzerdaten durch das Marktforschungs-Unternehmen Cambridge Analytica bekannt geworden war. Kritiker halten der Facebook-Führung vor, sich von persönlichen Projekten immer wieder ablenken zu lassen. Während Zuckerberg sich am liebsten technologischen Details widme und die Krisen und Firmenpolitik seiner Vertreterin überlasse, habe die sich unter anderem mit privaten Buchprojekten beschäftigt.

Massive Daten-Leaks. Kampagnen gegen Kritiker. Das unübersehbare Zensieren und Herausfiltern konservativer Ansichten aus dem Portal. Die anrüchige Entlassung eines leitenden Managers, nachdem bekannt geworden war, dass dieser im Wahlkampf 2016 eine der Demokratin Hillary Clinton kritisch gegenüberstehende Gruppe finanziell unterstützt hatte. Und ein Schmusekurs Facebooks gegenüber totalitären Regimen wie der Führung Chinas – was sich unter anderem im Sperren von Nutzern manifestiert, die der Supermacht in Asien in Kommentaren nicht wohlgesinnt erscheinen. Details wie diese verstärken den Eindruck, dass Facebook von seinen bedrängten Bossen ohne Führungskompetenz und ohne Gespür für öffentliche Resonanz regiert wird. Und wenn es andere Konzernchefs wagen, das Unübersehbare zu artikulieren, reagieren Zuckerberg und Co. mit Trotz und Abstrafung. So meldete die „New York Times“, der Facebook-Gründer habe nach der Kritik des Apple-Chefs Tim Cook an den wiederholten Daten-Lecks intern angeordnet, Facebook-Mitarbeiter sollten keine iPhones mehr nutzen.

Doch bei denen kommen solche Befehle des Firmengründers nicht gut an. Das „Wall Street Journal“ publizierte in dieser Woche das Ergebnis einer internen Umfrage, die der Social-Media-Riese kürzlich veranlasst hatte. Nur noch 53 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass Facebook optimistisch in die Zukunft sehen könne – vor einem Jahr sagten das bei einer ähnlichen Umfrage noch über 80 Prozent. Bei einer weiteren Frage trat hervor, dass sich viele der rund 29 000 befragten Beschäftigten Sorgen darüber machen, dass der Konzern seine Innovationskraft verliert. Und: Nur noch jeder zweite Mitarbeiter glaubt, dass die Plattform die Welt besser mache. Vor zwölf Monaten waren noch rund 70 Prozent der Belegschaft dieser Ansicht.

Zum trüben Stimmungsbild dürfte neben dem negativen Bild in der Öffentlichkeit auch der Kursverfall der Aktie beigetragen haben. Denn Optionen auf Anteilsscheine des Konzerns sind ein wichtiger Bestandteil der Vergütung. Während Zuckerberg und Sandberg nicht an Rücktritt zu denken scheinen, ließen sie im Hauptquartier in Menlo Park (Kalifornien) jetzt Durchhalteparolen ausgeben. Es sei eine schwierige Phase, räumte eine Facebook-Sprecherin ein. Doch jeder Angestellte sei für die Zukunft mitverantwortlich, und man habe schließlich „ein großartiges Produkt“ und beschütze die Menschen, die es benutzen würden. Doch gerade am letzten Punkt scheiden sich derzeit die Geister.

Facebook kämpft

an allen Fronten

Die Stimmung in der Firma ist getrübt

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