Nur noch oben ohne auf der Alm?

von Redaktion

Weil Landwirte Unfällen im Stall vorbeugen wollen, sieht man Kühe mit Hörnern nur noch sehr selten. Bio-Verbände kritisieren den staatlich geförderten Trend zur hornlosen Zucht und schmerzhafte Eingriffe bei Kälbern – aber ohne wissenschaftliche Belege.

VON TOBIAS GMACH

Miesbach/München – Von steilen Tribünen fällt der Blick auf ein Oval, in dem die Akteure ihren großen Auftritt haben: Innen erinnert die Miesbacher Oberlandhalle an eine Stierkampfarena im Mini-Format. Statt wilder Bullen präsentieren sich dort allerdings sanfte Jungtiere. Der Kälbermarkt in Miesbach ist der größte in Deutschland. Jeden Donnerstag werden dort zwischen 500 und 700 junge Rinder verkauft.

Aber Johann Rauchenberger, Vorsitzender des Zuchtverbands, hat große Sorgen, dass es bald dramatisch weniger werden. „Wir haben enorme Schwierigkeiten, Kälber mit Hörnern zu vermarkten“, sagt er. Die Käufer, die überwiegend aus Norddeutschland kommen, seien fast nur noch an hornlosen Jungtieren interessiert. Die Nachfrage sei riesig. Weil sie der Kälbermarkt aber kaum befriedigen kann, befürchtet Rauchenberger, dass viele Stammkunden demnächst auf andere Märkte im Land fahren. Wie sehr das Problem den Bauer aus Lenggries im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen umtreibt, hört man an seiner Stimme. Sie wird leise und dünn, wenn er sagt: „Ich kann unsere Lieferanten nur bitten, ihre Kälber frühzeitig zu enthornen.“

Doch an diesem Akt entzündet sich ein Konflikt unter Landwirten, Tierschützern und Bio-Verbänden. In der Schweiz gipfelte er am vergangenen Sonntag sogar in einer Volksabstimmung. Der Bergbauer Armin Capaul hatte mehr als 100 000 Unterschriften gesammelt. Er forderte staatliche finanzielle Unterstützung für Bauern, die ihren Kühen die Hörner lassen – damit sie zum Beispiel ihren Stall geräumig ausbauen können.

Entgegen seiner großen Erwartungen lehnten die Schweizer die Initiative des Bergbauern knapp ab. Trotzdem avancierte er mit Rauschebart und abgetragenen Mützen zum Gesicht der Pro-Horn-Bewegung. Deren Argument: Hörner sind ein Kommunikationsinstrument, mit dem Rinder über Gebärden ihre soziale Rangordnung ausfechten. Und: Kälber leiden unter starken Schmerzen beim Enthornen.

Dieses Wort benutzt Jan Harms vom bayerischen Institut für Landtechnik und Tierhaltung bewusst nicht. „Die Kälber haben ja noch gar keine Hörner. Wir sprechen vom Veröden der Hornanlagen.“ Der Ablauf: Das Kalb bekommt per Spritze Schmerz- und Beruhigungsmittel, wird schläfrig und bewegungsunfähig. Sein Brenngerät setzt der Landwirt an den Knospen am Kopf an, aus denen später die Hörner wachsen würden. Innerhalb von Sekunden entstehen dünne schwarze Ringe. Die Blutversorgung wird durchtrennt.

Nach dem Tierschutzgesetz dürfen Viehhalter diese Maßnahme nur an Kälbern, die noch keine sechs Wochen alt sind, vornehmen. Später und mit Betäubung darf nur ein Tierarzt enthornen – wenn die Hörner beschädigt oder eingewachsen sind. Damit Landwirte möglichst schonend vorgehen, haben der Tiergesundheitsdienst und die Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) in einer Studie das Stresslevel der Kälber untersucht. Die Erkenntnis: Es macht keinen Unterschied, ob die Tiere betäubt oder nur beruhigt werden. Wie groß die Schmerzen tatsächlich sind, lasse sich nicht sagen: „Wir können die Tiere ja nicht fragen“, sagt Studienleiter Jan Harms. Er kommt zum Schluss, dass der vertraute Bauer das Tier weniger psychisch belaste als ein fremder Tierarzt. Und für jedes Kalb den Doktor zu rufen, sei zeitlich schwierig – und schlicht teuer.

Die meisten Landwirte veröden die Hornanlagen selbst. Sie wollen Unfällen in ihren Laufställen vorbeugen. 7700 waren es 2017 deutschlandweit laut der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau. „Kein Bauer enthornt gerne“, sagt Johann Rauchenberger. „Aber die Verletzungsgefahr für Kühe und Menschen ist einfach zu groß.“ Er selbst habe nach einem Stoß auf der Alm einst fast ein Auge verloren. „Man wird schon mal angerempelt – mit Hörnern kann das böse ausgehen.“

Der Trend in Bayern ist klar: Die Hörner werden abgestoßen – oder im Vorhinein verhindert. Die Landesanstalt für Landwirtschaft forciert die hornlose Zucht. Das Fernziel: Irgendwann sollen nur noch Kälber ohne Hornanlagen zur Welt kommen. „Das ist der Königsweg“, sagt Bernhard Luntz vom Institut für Tierzucht. Mehr als 20 Prozent der Bullen, die in Bayern zur Besamung eingesetzt werden, seien mittlerweile natürlich hornlos. Wurden 2007 nur rund 1100 hornlose Fleckviech-Rinder geboren, waren es im vergangenen Jahr fast 80 000. Insgesamt gesehen ist der Anteil bei Milchkühen mit 3,4 Prozent noch sehr gering. Laut Luntz machen die Zuchtverbände im Schnitt aber schon fast zwei Drittel ihres Umsatzes mit Jungtieren „oben ohne“. Außerdem unterstützt das LfL mit dem Programm „Bayern-Polled“ gezielte Paarungen zwischen genetisch hornlosen Tieren.

Auch wegen solcher Maßnahmen fürchten Tierschützer und Bio-Verbände um die Existenz sogenannter hochtragender Rinder. Der schärfste Kritiker des Landes ist Demeter. Als einziger Verband verbietet er seinen Mitgliedern das Enthornen und das Halten hornlos gezüchteter Kühe. Der Vorsitzende Alexander Gerber fordert analog zur Schweizer Initiative finanzielle Anreize für Bauern und fragt rhetorisch: „Passen wir die Tiere unseren Ställen an, oder bauen wir Ställe für unsere Kühe?“ Für Demeter ist klar: Hörner verstärken die Individualität der Kühe – und sie haben einen Einfluss auf die Verdauung und damit auf die Qualität von Milch, Fleisch und Mist. Außerdem trage die große Hornoberfläche zur Regulierung der Körpertemperatur bei. Tierzucht-Experte Bernhard Luntz ärgern solche Aussagen: „Für mich sind das Märchen. Das ist alles nicht wissenschaftlich belegt.“

Fernab vom Schlagabtausch einer hitzigen Debatte bringt Michael Schmausser, ein auf Rinder spezialisierter Tierarzt aus Freising, einen offensichtlichen Konflikt ins Spiel: Behornte und enthornte Rinder sollte man weder im Stall noch auf dem Feld mischen. Dann nämlich stünden die Sieger der Rangkämpfe schon vorher fest. „Man muss Waffengleichheit herstellen. Dann ist alles gut.“

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