4 FRAGEN AN
Dr. Stefan Meister, Russlandexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, gibt seine Einschätzung zur aktuellen Situation im Russland-Ukraine-Konflikt ab.
Wie realistisch ist die Gefahr eines Krieges?
Ich halte das im Moment nicht für akut. Ich glaube, dass der Kriegszustand in der Ukraine vor allem innenpolitisch intendiert ist mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen im März kommenden Jahres. Dazu will Poroschenko sich jetzt als resoluter und starker Präsident präsentieren. Die Ukraine weiß, dass sie mit ihrer Flotte überhaupt keine Chance haben würde. Es wäre Selbstmord, in so einen Krieg zu geraten. Ich denke, dass auch Russland aktuell kein Interesse an einer offenen Konfrontation hat.
Könnten die Nato-Staaten im Falle einer Eskalation in den Krieg hineingezogen werden?
Trotz der aktuellen Rhetorik agieren die Nato-Staaten und die EU gerade sehr vorsichtig. Es gibt keine sichtbare Demonstration der Unterstützung für die Ukraine. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass sich die Nato in einen Krieg hineinziehen lässt. Das ist nicht im Interesse der Mitgliedsstaaten. Trotzdem muss man natürlich sehen, dass es Russland in diesem Konflikt um die Nato, die USA und um größere strategische Fragen im Schwarzmeerraum geht.
Ist die russische Provokation nur ein Versuch Putins, von der innenpolitischen Lage abzulenken?
Das ist ein Beweggrund, sein Rating in Russland ist gesunken. Es geht aber vor allem um die Ukraine, die USA und die Nato. Ich glaube, Russland testet die Reaktion der Nato, eventuell auch für zukünftige Konflikte in der Region: Wie reagieren die Kontrahenten? Wird es Sanktionen geben? Und dann geht es natürlich darum, die Ukraine ökonomisch und politisch zu schwächen.
Ist eine friedliche Verständigung noch möglich? Was können die EU und Deutschland tun?
Im Moment sehen wir, dass beide Konfliktparteien nicht wirklich das Interesse an einer friedlichen Lösung haben. Der Krieg im Donbass geht ja auch weiter. Der Konflikt ist so aufgeheizt, dass eine Einigung sehr schwer ist. Wenn die Eskalation weitergeht, muss man im EU-Rahmen über Sanktionen nachdenken, um den Druck auf Russland zu erhöhen. Es wäre wichtig, dass die USA sich vermittelnd einschalten, da sie aus russischer Sicht der entscheidende Akteur sind. Die Nato muss zu einem gewissen Grad abschrecken, ohne zu provozieren, was natürlich eine Kunst ist.
Interview: Thomas Benedikt