George Bush, der Bessere

von Redaktion

George Herbert Walker Bush ist tot. Die besonnene Außenpolitik des 41. US-Präsidenten näherte die Supermächte USA und Sowjetunion einander an und unterstützte maßgeblich die deutsche Wiedervereinigung.

VON FRIEDEMANN DIEDERICHS

Washington – „Read my lips. No new taxes!“, sagte er. „Lest meine Lippen. Keine neuen Steuern!“ Selten hat eine einzelne Aussage die politische Karriere eines Politiker so geprägt und mitentschieden wie dieses Zitat des am Samstag im Alter von 94 Jahren verstorbenen früheren US-Präsidenten George Herbert Walker Bush. Worte, die stellvertretend für den Zynismus vieler Politiker stehen könnten – und für gebrochene Wahlversprechen.

Keine Steueranhebungen, das hatte der 41. Präsident der USA und Patriarch der Bush-Dynastie den Amerikanern in einem legendären TV-Auftritt fest zugesagt, als er im Jahr 1988 um ihre Stimmen warb. Zwei Jahre später brach er das Versprechen.

Doch aus dem deutschen, nicht von amerikanischer Innenpolitik geprägten Blickwinkel verbindet sich mit den Erinnerungen an den Republikaner etwas ganz Anderes, das viel gewichtiger ist: Man kann den Nachfolger Ronald Reagans („Mr. Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder“) als Mit-Architekten der Wiedervereinigung sehen, der in der kritischen Phase direkt nach dem Fall der Mauer durch engen Kontakt mit dem Kreml sicherstellte, dass sich die Ängste in Moskau noch in Grenzen hielten. Und dass gleichzeitig jene Strömungen, die zum Ende des Kalten Krieges und zwei Jahre später sogar zum Zerfall der Sowjetunion führten, nicht abrissen.

Das Vertrauen Bushs in Kanzler Helmut Kohl, das auf dem Weg zur friedlichen Wiedervereinigung mitentscheidend war, geht auf das Jahr 1983 zurück. Damals besuchte Bush als US-Vizepräsident eine Veranstaltung in Krefeld, die von 20 000 militanten Demonstranten in eine Anti-Nato-Nachrüstungs-Protestwelle umgewandelt wurde. Bush geriet mit seinem Fahrzeug in den gewalttätigen Mob. Fortan war er voller Bewunderung für das politische Stehvermögen Kohls gegen Widerstände.

Neben der steten, stillen Diplomatie von George H. W. Bush waren vor allem zwei Vorgänge für die positive Wendung der Weltpolitik hilfreich: Am 2. und 3. Dezember 1989 traf er sich gegen den Widerstand von Hardlinern, aber ermuntert von Frankreichs Präsident François Mitterrand, der britischen Premierministerin Margaret Thatcher und Kohl, vor Malta auf einem russischen Kreuzfahrtschiff mit dem sowjetischen Generalsekretär Michael Gorbatschow.

Obwohl es zu keinem konkreten Abkommen kam, so diente dieser Gipfel doch einem überlagernden Zweck: Man versicherte sich gegenseitig friedlicher Absichten. Das wurde im Abschluss-Kommuniqué Gorbatschows deutlich, der formulierte: „Ich habe dem Präsidenten der USA versichert, dass die Sowjetunion niemals einen Erstschlag gegen die USA führen würde. Dies ist erst der Anfang. Wir stehen erst am Beginn unseres langen Weges zu einer lang anhaltenden friedvollen Periode.“

Anderthalb Jahre später unterzeichneten Bush und Gorbatschow dann in Moskau das START I-Abkommen zur Abrüstung strategischer Atomwaffen, das die Arsenale der Großmächte in den kommenden sieben Jahren um rund 35 Prozent reduzieren würde. „Ein halbes Jahrhundert des Misstrauens nähert sich dem Ende“, sage der US-Präsident.

Ironischerweise hatte Bush senior aber zunächst jahrelang zu diesem Spannungsverhältnis beigetragen: Ein knappes Jahr diente er unter Präsident Gerald Ford 1976/77 als Direktor der CIA, die damals vor allem Moskau im Visier hatte.

Sollte das politische Vermächtnis seines Sohnes George W. Bush weitgehend vom 11. September 2001 und die vergebliche Suche nach Massen-Vernichtungswaffen im Irak geprägt werden, so ist auch die Vita von „Bush the Elder“ (Bush dem Älteren) eng mit dem Irak verbunden. Doch kritische Fragen zur Berechtigung von George H. W. Bush, auf die Invasion Kuwaits durch Saddam Hussein militärisch zu reagieren, dominieren eben nicht den Rückblick auf dieses US-Engagement. Das liegt vor allem daran, dass Bush mit Bedacht und Augenmaß agierte.

Nach dem Einfall irakischer Truppen in den ölreichen Nachbarstaat am 2. August 1990 beharrte Bush – mit politischer Rückendeckung von Alliierten in Europa, Nahost und Asien – auf einem vollständigen Rückzug der Kräfte Saddams. Auch die Vereinten Nationen verurteilten die Aggression des Irak. Der US-Kongress erteilte Bush eine formelle Kriegsermächtigung mit dem Ziel, Kuwait wieder der Kontrolle seiner Staatsbürger zu übergeben und US-Sicherheitsinteressen im Ausland zu schützen.

Nach gut vierwöchigen Luftangriffen folgte dann am 24. Februar 1991 die Bodenoffensive unter dem Begriff „Desert Storm“, geleitet von US-General Norman Schwarzkopf. Wegen schneller Gewinne entschied Bush, die Offensive nach nur 100 Stunden zu stoppen. Konservative Kräfte in den USA beklagen bis heute gerne, dass damit die Chance vertan wurde, Saddam Hussein zu stürzen und so den zweiten Golfkrieg im Jahr 2003 zu vermeiden.

Doch Bush führte damals klare und aus heutiger Sicht sehr hellsichtige Argumente an: Zum einen wollte er amerikanische Verluste in Grenzen halten. Zum anderen – und noch viel wichtiger für ihn: Er sah eine Fortsetzung der Offensive und eine Einnahme Bagdads nicht durch den Kongress und die Vereinten Nationen abgedeckt.

Bush senior erkannte in weiser Voraussicht, was sein Sohn später unzureichend bedachte. „Ein Sturz des irakischen Regimes hätte unkalkulierbare menschliche und politische Kosten gehabt“, sagte er. Und: „Wir wären gezwungen gewesen, Bagdad zu besetzen. Und dann den Irak im Endeffekt zu regieren.“ Diese Zurückhaltung und die schnelle Vertreibung der Iraker aus Kuwait bescherten Bush daheim einen enormen Sympathiezuwachs.

Doch eine ehrliche Aufarbeitung der Außenpolitik Bushs, der von 1981 bis 1989 zunächst Vizepräsident unter Reagan war, kommt an Schattenseiten nicht vorbei. Nachdem die USA 1988 versehentlich den Iran-Air-Flug 655 aus der Luft abgeschossen und dabei 290 Menschen getötet hatten, zeigte er den größten und wohl unmenschlichsten Ausschlag auf seiner persönlichen Härte-Skala: „Ich werde mich niemals für die USA entschuldigen, „niemals. Und ich schere mich nicht darum, was die Fakten sind.“

Auch der Schatten der Iran-Contra-Affäre lastet auf dem politischen Vermächtnis des Dynastie-Chefs, der es bereits mit 40 Jahren zum Millionär im Öl-Business gebracht hatte. 1986 wurde bekannt, dass Mitglieder der Reagan-Regierung heimlich Waffen an den Iran verkauft hatten, um mit den Erlösen die antikommunistische „Contra“-Opposition in Nicaragua zu fördern – eine Verletzung amerikanischer Gesetze. Reagan wie auch Bush gaben zunächst an, von diesen Vorgängen nichts gewusst zu haben. In Tagebüchern des Reagan-Vizes aus jener Zeit findet sich allerdings der Vermerk: „Ich bin einer der wenigen Menschen, die voll von allen Details Kenntnis haben.“ Auch der Sturz des Diktators Manuel Noriega in Panama durch den Einsatz von 24 000 US-Marines im Jahr 1989 wird bis heute von Historikern kontrovers bewertet.

Politisch überstand Bush die Iran-Contra-Affäre und zog am 20. Januar 1989 ins Weiße Haus ein – so wie er als junger Pilot der US-Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg einen Abschuss durch die Japaner im Pazifik überlebt hatte. Dass er nur eine Amtszeit absolvierte, liegt daran, dass Amerikas Wähler traditionell erfolgreiche Außenpolitik eher gering schätzen.

Die 1992 einsetzende Rezession in den USA dominierte bald die Schlagzeilen, und Bill Clinton attackierte Bush, der nicht genug für die Mittelschicht tue. Ein ähnliches Argument erlebten Amerikas Wähler – Ironie der Geschichte –, als es 2016 zum Duell zwischen Hillary Clinton und Donald Trump kam. Bill Clinton siegte am Ende eines verbissen geführten Wahlkampfs mit 43 zu 38 Prozent und verwehrte Bush senior die zweite Amtszeit. Die legendäre „Read my lips“-Aussage trug maßgeblich zur Niederlage bei.

Der Vater von sechs Kindern mit der ausgeprägten Vorliebe für bunte Socken scheute auch nach dem Ausscheiden aus dem Weißen Haus nicht die Öffentlichkeit. 1993 besuchte er Kuwait, um des Sieges der Koalitions-Streitkräfte im ersten Golfkrieg zu gedenken. In letzter Minute wurde ein Autobomben-Anschlag auf ihn verhindert, den irakische Agenten geplant haben sollen. Der Demokrat Bill Clinton ließ als „angemessene Reaktion“ 23 Cruise Missile-Lenkwaffen auf die irakische Geheimdienstzentrale feuern.

In den letzten Jahren vor seinem Tod hatte Bush dann mit schweren Gesundheitsproblemen zu kämpfen, die seine Auftritte deutlich reduzierten. Eine Form von Parkinson zwang ihn seit 2012 zur Nutzung eines Rollstuhls. Dennoch: In Erinnerung bleiben neben den bewegenden Aufnahmen von der Trauerfeier für seine Frau auch Bilder, die ihn als 90-Jährigen im Juni 2014 beim „Skydiving“ von einem Helikopter zeigen. Es war bereits sein achter Sprung. Wie sehr er sich bis zuletzt auch auf moderne Technologien eingestellt hatte, zeigte seine Twitter-Botschaft kurz vor dem Einsteigen ins Flugzeug: „Es ist ein wunderbarer Tag in Maine. Schön genug für einen Fallschirm-Absprung.“ Es sollte sein letzter sein.

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