Prof. Lars Feld, 52, ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Herr Prof. Feld, können die Bundesländer wirklich noch etwas selbst entscheiden?
Durchaus. Was den Föderalismus hierzulande wirklich stark macht, ist die Repräsentation auf Bundesebene, also der Bundesrat, der über die zustimmungspflichtigen Gesetze wesentlich mitentscheidet. Genau betrachtet allerdings sind nicht die Länder insgesamt entscheidend, sondern vor allem die Ministerpräsidenten. Sie sind die wirklich mächtigen Politiker in Deutschland.
Nicht die Landtage?
Überhaupt nicht. Die Landtage haben ja heute weniger zu sagen als die Gemeinde- und Stadträte. Selbst in einem Bereich wie der Bildung sinkt die Bedeutung, da sich die Länder zunehmend absprechen und koordinieren. Und das machen die Kultusminister, nicht die Landtage.
So gesehen ist vom Föderalismus nicht mehr viel übrig. Ist das ein Popanz, der hier vorgespiegelt wird?
Nein, das würde ich nicht sagen. Ich bin ein überzeugter Föderalist, habe mit Kollegen zusammen viel über den Föderalismus in der Schweiz, in den USA und Kanada geforscht. Ich bin relativ unglücklich darüber, dass wir in Deutschland so einen zentralistischen Föderalismus haben. Meines Erachtens müsste man die Landtage stärken, das wäre insbesondere über eine verstärkte Steuerkompetenz möglich.
Konkret?
Seit 2006 haben die Länder bei der Grunderwerbssteuer eine Gestaltungsmöglichkeit, sie können selbst die Höhe der Steuersätze bestimmen. Immerhin. Ursprünglich betrug der Steuersatz 3,5 Prozent, bis auf Bayern und Sachsen haben alle Länder die Steuer erhöht, teilweise auf über sechs Prozent. Vor allem aber bekommen die Länder 42,5 Prozent aus dem Aufkommen der Einkommensteuer. Die Verteilung erfolgt zentralistisch von Berlin aus, im Wesentlichen nach der Einwohnerzahl. Wenigstens einen Teil dieser Einnahmen könnte man durch ein länderspezifisches Zuschlagsrecht auf die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer oder die Steuerschuld erheben. Das funktioniert in der Schweiz ganz gut. Die deutschen Länder lehnen das leider mehrheitlich ab, sie wollen stattdessen lieber beim Bund um mehr Geld betteln.
Also lieber höhere Landessteuern?
Ja. Das müsste allerdings mit einer Reduktion des Einkommensteuertarifs auf Bundesebene einhergehen. Die Länder hätten dann in der Tat Spielräume für Steuererhöhungen zur Finanzierung ihrer Ausgabenwünsche. Aber sie müssten sich auch bei ihren Bürgern für ihre Ausgabenpolitik rechtfertigen. So funktioniert im Grunde Demokratie.
Zurück zur aktuellen Situation: Übertreiben es die Ministerpräsidenten nicht mit ihrem Veto?
Nein. Die Länder haben unter der Führung von Winfried Kretschmann erkannt, dass diese Grundgesetzänderungen dem Bund in einem Kernbereich der Länderkompetenzen, der Bildung, einen Zugriff auf die Schulpolitik ermöglichen. Der Bund hat beim Digitalpakts klargemacht, dass Schulen, die dieses Geld haben wollen, auch ihre Lehre und ihre Standards darlegen müssen. Damit könnte der Bund den Ländern Vorgaben für ihre Schulpolitik machen. Das führt in der Tat viel zu weit. Wir können froh sein, dass der Bildungsföderalismus erhalten geblieben ist. Wäre das in den 1970er-Jahren gekippt, wären heute alle Schulen auf dem niedrigen Niveau von Nordrhein-Westfalen oder Bremen.
Also in der Tat eine berechtigte Veto-Stellung.
Absolut. Ich hoffe nur, dass sich die Ministerpräsidenten das nicht im Vermittlungsausschuss abkaufen lassen, sondern dass das Gesetzespaket kippt und die Grundgesetzänderung ausbleibt. Die Länder müssen hart bleiben.
Dann gibt es aber auch kein Geld vom Bund.
Genau. Dann müssen die Länder diese Mittel selber aufbringen. Geld ist genug vorhanden. Den Ländern geht’s doch gut. Die Länder tragen zum gesamtstaatlichen Haushaltsüberschuss deutlich mehr bei als der Bund – und ab 2020 bekommen sie mit dem neuen Länderfinanzausgleich noch einmal deutlich mehr Geld.
Interview: Dirk Walter