München – Einsamkeit im Alter beschäftigt auch Mediziner. Mit welchen Symptomen geht Einsamkeit einher – und was sind die Auswege aus der Einsamkeitsspirale? Karl-Heinz Ladwig, Professor für Psychosomatische Medizin am Helmholtz-Zentrum München, spricht im Interview darüber.
Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Alter und Einsamkeit?
Das Alter ist mit vielen Einschränkungen verbunden: Man scheidet aus dem Berufsleben aus, verabschiedet wichtige Lebensgefährten und verliert an Mobilität. Damit wird die Gefahr größer, von Einsamkeit betroffen zu sein. Doch nicht jeder, der alleine ist, muss sich auch einsam fühlen. Unter Einsamkeit versteht man das subjektive Leiden unter dem Alleinsein.
Kann man auch in Gesellschaft einsam sein?
Oh ja! Viele denken bei Einsamkeit nur an Robinson Crusoe, der das Leben auf seiner Trauminsel nicht genießen kann, weil er alleine ist. Doch auch in hochbesiedelten Gebieten wie Deutschland kann man sich einsam fühlen. Im Alter kann man sogar in einer Partnerschaft einsam sein. Das scheint insbesondere auf Männer zuzutreffen, die keinen Zugang mehr zu ihrer Ehepartnerin finden.
Mit welchen Gefühlen geht Einsamkeit im Alter denn einher?
Wenn man Liebeskummer hat, denkt man oft, dass die Vögel niemals mehr zwitschern werden und die Sonne nie mehr scheinen wird. Doch irgendwann überwindet man den Kummer. Das ist ein psychobiologisch sinnvoller Mechanismus, um über den Verlust hinwegzukommen. Im Alter funktioniert dieser Mechanismus aber nicht mehr, vor allem dann, wenn Perspektiven fehlen und keine positive Wendung mehr zu erwarten ist. Das ist die tragische Seite der Einsamkeit im Alter.
Gibt es denn auch einen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Altersarmut?
Alt und arm sein ist in der Tat eine giftige Mischung: der schäbige, abgewetzte Anzug, für den man sich schämt, sich aber keinen neuen mehr leisten kann; das abgezählte Geld beim Discounter, das so gerade noch für den Billigjoghurt und die Margarine reicht – und die Angst, dass man sich verzählt haben könnte: All das schafft ein fatales Gefühl von Wertlosigkeit und „eigentlich nicht mehr dazugehören“.
Hat Einsamkeit Auswirkungen auf den Körper?
Und wie! Die Einsamkeit wirkt sich negativ auf das Nerven-, Hormon- und Immunsystem aus. Die Symptome sind ähnlich wie bei Depressiven oder Menschen, die unter starkem Stress stehen. Wir haben herausgefunden, dass einsame Menschen eine gestörte Cortisol-Produktion haben. Bei gesunden Menschen sinkt der Cortisol-Spiegel im Laufe des Tages. Einsame Menschen produzieren jedoch abends zu viel Cortisol. Dadurch schlafen sie schlechter und grübeln immer mehr. Ein Teufelskreis.
Was raten Sie älteren Menschen, um mit ihren Einsamkeitsgefühlen umzugehen und wieder eine Perspektive zu finden?
Sie sollten die Einsamkeit nicht als lähmende Verzweiflung im Kopf wahrnehmen, sondern darüber reden. Denn was man ausgesprochen hat, ist oft gar nicht mehr so schrecklich. Das kann im Rahmen einer Psychotherapie passieren – aber auch durch den Austausch mit Bekannten in einem Nachbarschaftstreff.
Gibt es aus Ihrer Sicht genügend Angebote für ältere Menschen, um der Einsamkeit zu entfliehen?
In den allermeisten Städten gibt es Altentreffs, Kaffeekränzchen oder Strickkurse, wo man Dinge entspannt besprechen kann. Es ist nicht so sehr eine Frage des Angebots, sondern eine Frage der Schwellenangst. Meiner Ansicht nach spielen hier die praktischen Ärzte eine wichtige Mediatorenrolle: Sie sollten über das soziale Umfeld ihrer älteren Patienten Bescheid wissen – und die Menschen ermutigen, Einrichtungen aufzusuchen, die in ihrer Nähe sind. Ich finde das genauso wichtig wie das Verschreiben eines Schlafmittels.
Interview: Anja Reiter