München – Die dunkle Brille. Das semmelblonde Haarteil. Der tiefe Bariton. Und die vierte Hütte, in der es der Legende nach zum Äußersten gekommen ist. Einige wenige Sätze genügen, um Deutschlands bekanntesten und umstrittensten Sänger zu beschreiben. Heinz Georg Kramm. Heino. Der Frohblonde mit dem Rechtsdrall in seinem Repertoire – der trotzdem der Lieblingssänger von Willy Brandt war. Bis ihm der SPD-Kanzler 1977 die Liebe entzog, weil Heino alle drei Strophen der Nationalhymne auf Platte sang. „Jetzt ist Heino für mich gestorben“, zürnte Willy.
Millionen anderer Fans blieben Heino treu und bescherten ihm 2013, mit 74 Jahren, das erste Nummer-1-Album seiner Karriere. Da war der alte Knabe mit dem typischen gerollten „r“ auch noch zum Rrrrock ’n’ Rrrroller geworden. Morgen feiert Heino seinen 80. Geburtstag, und für 2019 hat er seinen Abschied von der Bühne angekündigt. Nicht zum ersten Mal und wohl auch nicht zum letzten Mal.
Bereits 2005 ging Heino auf seine „allerletzte Tournee“. Fleißiger Abschied von der Bühne als er haben nur die Rolling Stones genommen, mit denen Heino ansonsten herzlich wenig verbindet. Als Mitte der Sechziger der Beat und der Rock über die Welt kamen, sang der einstige Bäckerlehrling aus Düsseldorf trotzig seinen ersten Erfolgsschlager, das schmissige Soldatenlied „Jenseits des Tales“. Statt „Yeah yeah yeah“ hieß es bei Heino: „Das war ein Singen in dem ganzen Heere.“ Holdrio. Der Kerl war eine einzige Provokation, von Anfang an.
„Du bist ein Sänger des Volkes, du singst deutsche Volkslieder“, hatte sein Entdecker Ralf Bendix beschlossen, dem mit dem „Babysitter Boogie“ ein paar Jahre zuvor selbst ein modernes Volkslied gelungen war. Dem jungen Heino kam das gerade recht. Denn mit dieser Musik war er aufgewachsen, in Düsseldorf und in Pommern, wohin es die Familie Kramm im Krieg verschlagen hatte: „Ich habe die Lieder in der Schule gelernt, sie bei Klassenausflügen und Wandertagen gesungen. Das ist unsere Kultur, unsere Heimat, dazu stehe ich.“ Und Englisch, die Sprache des „Yeah yeah yeah“, beherrschte er ohnehin nicht: „Ich habe das in der Schule nicht gelernt und verstand die englischen Texte gar nicht.“
Deshalb also Volksmusik und zackige Marschlieder, auf den Spuren seines Vorbilds Freddy Quinn. Die Taktik von „Ersatzvater“ Bendix: Heino sollte so traurig, einsam und geheimnisvoll wirken wie der als Seemann getarnte Österreicher Quinn. Die dunkle Brille passte perfekt zum mysteriösen Image. Auf seinen ersten Platten war Heino noch blauäugig zu sehen. Anfang der Siebziger mutierte er dann zum Mann mit der Brille, der bei Dieter Thomas Heck in der ZDF-Hitparade düster und undurchschaubar aussah, wenn er die „Schwarze Barbara“ pries oder von einer anderen Lebensabschnittsgefährtin schwärmte: „Ja, ja die Katja, die hat ja Wodka im Blut. Feuer im Herzen und die Augen voll Glut.“
Wegen des Morbus Basedow traten seine Augäpfel immer weiter hervor – bis sie Mitte der Neunziger „die Gläser meiner Sonnenbrille berührten“, wie sich Heino in seiner Autobiografie „Mein Weg“ erinnert. „Ich sah mehr und mehr aus wie der Froschkönig.“ Seit einer Operation vor über 20 Jahren ist seine Erkrankung geheilt, die Sonnenbrille bleibt dennoch auf der Nase. Sie gehört ebenso zur „Marke Heino“ wie die blonden Haarteile – und wie seine Hannelore, 76, die einstige Prinzessin von Auers-perg, mit der er seit 1979 eine skandalfreie und offenbar überaus liebevolle Ehe führt.
„Sie war schön wie eine Fee aus dem Märchen mit einem mondänen Hut, unter dem ihr blonder Pferdeschwanz wippte“, erinnert sich Heino in seiner Biografie an die entscheidende Begegnung 1977. In den Sechzigern hatte die Oberösterreicherin selbst als Schauspielerin („Frau Wirtin bläst auch gern Trompete“) und Sängerin („Was in Athen geschah“, „Almdudl-Twist“) reüssiert. Heute teilen sich die beiden nicht nur eine gemeinsame Haarfarbe. Heino und Hannelore bilden eine Symbiose wie Gretchen und Faust, Max und Moritz oder Don Camillo und Peppone. Einer ohne den anderen? Undenkbar. Eine gemeinsame Grabstätte an ihrem Wohnort in Bad Münstereifel haben sich die Heinos längst ausgesucht, doch bis dahin ist noch einige Tourneen Zeit.
Zu klären bleibt die Frage aller Fragen: Ist der semmelblonde Volksmusikant, der das „Polenmädchen“ hochleben ließ, ein Rechtsausleger? Nach allem, was Heino sagt, schreibt und was man von Menschen hört, die ihn kennen, geht dieser Vorwurf ins Leere. Der junge Heinz Georg, er wuchs auf mit diesen Volks- und Marschliedern, die er zuhause „mit Onkel Kallemann und Onkel Schorschi“ sang. Sie ließen ihn nie mehr los, diese Lieder – auch wenn sie nur allzu oft von den Nationalsozialisten instrumentalisiert und missbraucht wurden. „Die Lieder können ja nichts dafür“, lautet Heinos Standard-Aussage (oder auch Ausrede) zu diesem Thema.
Nein, braune Gesinnung muss sich der Mann nicht vorwerfen lassen, der 2015 bei der Bürgermeisterwahl in Bad Münstereifel den SPD-Kandidaten Werner Esser unterstützte. Gedankenlosigkeit bis hin zur Ignoranz dagegen sehr wohl. Dass die erste Strophe der Nationalhymne seit 1945 nichts mehr im Repertoire eines Sängers zu suchen hat und dass eine Schallplatte mit Stücken aus dem Liederbuch der SS im Jahr 2018 kein ideales Mitbringsel für eine Politikerin ist – das mag er partout nicht einsehen. Da ist er unbelehrbar und starrsinnig wie der junge Heinz Georg, der sich einst in der Schule die Musiknote verdarb, weil er seinem Musiklehrer (zu Recht) den Gebrauch falscher Töne unterstellte.
Mit den amüsanten Deutschrock-Coverversionen seiner Nummer-1-Platte „Mit freundlichen Grüßen“ bescherte sich Heino 2013 eine unerwartete Spät-Karriere – und bewies, dass er herzlich über sich selbst lachen kann. Und fast ein halbes Jahrhundert, nachdem er den Beatles mit dem Soldatenlied „Jenseits des Tales“ Konkurrenz machte, kam er den Fab Four bei einem Auftritt in der „Großen Freiheit“ auf St. Pauli dann doch noch ziemlich nahe. Nur ein paar Meter entfernt vom Indra Club, in dem einst die Beatles spielten, feierten junge Fans den damals 74-jährigen Neu-Rocker mit der Lederjacke: „Heino ist die coolste Sau der Welt!“
Spätestens da hatte sich der jahrzehntelange Heino-Hass endgültig überlebt. Heute gehört der Mann zum alten Deutschland wie Eisbein und Rothenburg ob der Tauber, wie Bausparvertrag, Schwarzwald und die Gebrüder Grimm. Heute ist er der Udo Lindenberg der Marschmusik. JÖRG HEINRICH