Guantánamo Bay – In Guantánamo wächst jetzt Baumwolle. Die Gefangenen hätten sie angepflanzt, sagt einer der Wärter, und wie so oft in dem berüchtigten amerikanischen Lager auf Kuba lässt sich das nur schwer überprüfen. Denn mit den Insassen selbst darf man als Reporterin nicht reden – und so bleibt erst mal nur der Wärter, und der wägt seine Worte sehr genau ab. Die Frage etwa, ob die Häftlinge Fußball spielen dürfen, will er nicht beantworten.
Dem Mann steht der Schweiß auf der Stirn, die Sonne knallt auf den Platz. Nur ein paar Meter von den Stacheldrahtzäunen des Lagers entfernt schwappt das Meer ans Land. Die Gefangenen in diesem Teil des Lagers aber können das Wasser nicht sehen, ein grüner Sichtschutz verhindert es.
Fast 17 Jahre gibt es das US-Gefangenenlager nun schon. Als die ersten Häftlinge am 11. Januar 2002 nach Guantánamo kamen, regierte George W. Bush die USA und Gerhard Schröder Deutschland. Michael Jackson hatte gerade ein neues Album auf den Markt gebracht. Die Welt hat sich verändert seither, aber Guantánamo ist geblieben. Barack Obama wollte es schließen, aber er scheiterte.
40 Häftlinge sitzen noch immer in dem Lager ein, das die US-Regierung nach den Anschlägen vom 11. September 2001 errichtete, um mutmaßliche Terroristen festzuhalten. Der jüngste Gefangene ist 37, der älteste 71. Der Großteil der Männer wurde nie angeklagt – und wie es aussieht, wird sich daran auf absehbare Zeit nichts ändern.
Donald Trump will an dem Gefangenenlager festhalten, das hat er ein ums andere Mal klargemacht. Im Januar unterzeichnete der US-Präsident einen Erlass, mit dem er Obamas Schließungsbefehl aufhob. Er drohte sogar schon damit, neue Häftlinge nach Guantánamo zu schicken. Ob das tatsächlich so kommt, ist fraglich, aber im Lager rüsten sie sich für die Zukunft. Gerade ist ein neuer Krankentrakt fertiggestellt geworden – für 9,6 Millionen US-Dollar.
Die Mission der „Joint Task Force Guantánamo“, die das Lager betreibt, hat sich mit Trumps Anordnung verändert. Unter der demokratischen Vorgängerregierung stellte sich die Einheit auf die Schließung des Lagers ein, nun bereitet sie sich darauf vor, es weiterzubetreiben. Der Kommandeur des Lagers, Konteradmiral John Ring, sagt, er habe die Anweisung bekommen, sicherzustellen, dass die Einrichtungen des Gefängnisses für weitere 25 Jahre bestehen bleiben könnten.
Die Camps 5 und 6 von Guantánamo liegen hinter mehreren Reihen von Stacheldrahtzäunen. Camp 7 ist für Journalisten tabu, das Militär hält den Standort geheim. Dort sitzen 15 sogenannte „high value detainees“ – Gefangene von „hohem Wert“, die einst in Geheimgefängnissen der CIA festgehalten wurden, bevor sie nach Guantánamo kamen. Unter ihnen ist auch Chalid Scheich Mohammed, der mutmaßliche Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September 2001.
In Camp 6 leben die Insassen in dreieckigen Zellentrakten. Ihre Türen sind verspiegelt, die Wärter können von außen hineinsehen, die Häftlinge aber wissen nicht, was auf der anderen Seite vor sich geht.
Die Zellen sind 8,9 Quadratmeter groß. Zu ihrem Inventar gehören eine Pritsche mit einer Schaumstoffmatratze, eine Kloschüssel, ein Waschbecken aus Stahl, ein Tisch. Der Boden ist aus Beton, die Wände sind gelb angestrichen. Ein Pfeil weist nach Mekka, als Gebetshinweis für Gefangene muslimischen Glaubens. Manche der Zellen sind rollstuhlgerecht.
Insassen, die die Soldaten als „gefügig“ einstufen, dürfen sich 22 Stunden am Tag frei zwischen ihren Zellen, den Gemeinschaftsräumen und den Außenbereichen bewegen. In einem leer stehenden Zellblock haben die Wärter einen Freizeitbereich eingerichtet: mit einer Tischtennisplatte, Trainingsgeräten, Büchern und einer Playstation. Acht Gefangene dürfen sich hier für vier Stunden zusammen aufhalten.
In einer Zelle haben die Soldaten Häftlingskleidung ausgelegt – zur Anschauung für die Journalisten. Neben einem Stück Seife liegen ordentlich aufgereiht eine Zahnbürste und Zahnpasta, ein Lippenpflegestift, eine Sonnenbrille, eine Schlafmaske, eine Mütze und ein Gebetsteppich. Es wirkt fast, als stünde man in einem Museum.
Zur Tour für die Reporter gehört auch die Besichtigung einer Küche, in der das Essen zubereitet wird. In einer braunen Kiste liegen bunte Saftpäckchen und Teller mit Käse, der unter Plastikfolie verpackt ist. Auf einer weißen Styroporbox hat jemand mit blauem Marker festgehalten, dass es sich um Diabetikerkost handelt. Die Päckchen mit Salz und Pfeffer sind genau abgezählt, jeder Häftling bekommt jeweils zwei. In einem Kühlhaus lagern Kartons mit Fleisch, laut Aufschrift: Angus-Rind aus Iowa.
In Camp 5 zeigen die Soldaten den Besuchern den neuen Krankentrakt. Drei Ärzte, drei Psychiater und mehrere Krankenpfleger kümmern sich um die Häftlinge. Einer der Ärzte sagt, seine Patienten hätten dieselben gesundheitlichen Probleme wie andere Menschen ihrer Altersgruppe: Prädiabetes, hoher Blutdruck, Übergewicht.
Zur neuen medizinischen Einrichtung des Lagers gehört nun auch ein Operationssaal. Es wäre alles nicht weiter ungewöhnlich, wenn nicht in einem der Untersuchungsräume im Boden ein Metallring eingelassen wäre. Er dient dazu, die Fußfesseln der Gefangenen festzuketten.
In Camp 5 ist im zweiten Stock des Krankentraktes eine psychiatrische Einheit untergebracht. Zwei Zellen wurden zu Praxisräumen umfunktioniert. Ein Psychiater sagt, Gefangene, die aufgebracht seien, könnten hier zehn bis zwanzig Minuten verbringen, wenn sie das wollten. Der Aufenthalt in der Zelle sei freiwillig, betont er. In einer typischen Woche sehe er zwei bis drei Patienten, sagt der Psychiater. „Die meisten leiden nicht unter einer schweren Depression“, sagt er. Es handele sich stattdessen um psychosoziale Probleme, die mit der Inhaftierung zu tun hätten. Wie alle Soldaten der Einheit sind auch die Ärzte und Psychiater für neun Monate hier stationiert. Dann wechselt das Personal.
Von den 40 Gefangenen in Guantánamo wurden 26 nie angeklagt – weil die Beweise nicht ausreichen für eine Anklage. Oder Aussagen durch Folter erzwungen wurden und bei einem Verfahren vor Gericht nicht verwendet werden könnten. Dennoch will die US-Regierung die Männer nicht gehen lassen, weil sie sie für zu gefährlich hält. Nun gelten sie als „forever prisoner“, als ewige Gefangene.
Ein Insasse ist zu lebenslanger Haft verurteilt worden, ein weiterer wartet auf sein Strafmaß. Sieben Männer müssen sich vor Militärgerichten verantworten. Aber die Verfahren stocken.
Fünf Gefangene haben eigentlich die Freigabe, Guantánamo verlassen zu dürfen – eine Entscheidung der Obama-Regierung. Drei der Männer sollten in andere Länder gebracht werden, aber das klappte nicht mehr rechtzeitig vor Trumps Amtsantritt. Unter dem Republikaner schloss die Regierung dann genau jenes Büro im Außenministerium, das auch dafür zuständig war, die Verlegung von Häftlingen zu organisieren.
Konteradmiral John Ring sagt, er habe aus Washington keinen Befehl erhalten, einen Transport von Gefangenen zu arrangieren. Dann berichtet er, zwei der fünf Insassen hätten noch unter Obama die Möglichkeit gehabt, das Lager zu verlassen – sie hätten das aber nicht gewollt. Ring sagt, viele der Häftlinge seien noch immer „im Krieg mit Amerika“. Einen „Krieg“, den sie mit kleinen Akten des Widerstands führen würden.
Seit Trumps Amtsantritt im Januar 2017 wurde immer wieder darüber spekuliert, ob die Regierung neue Häftlinge nach Guantánamo schicken könnte – etwa Mitglieder der Terrormiliz Islamischer Staat. Trump hat sich die Möglichkeit in einem Erlass offen behalten. Es wäre ein Novum – seit März 2008 hat es keinen Neuzugang mehr in Guantánamo gegeben.
Kommandeur Ring sagt, er habe die Kapazitäten, 40 weitere Häftlinge aufzunehmen, ohne zusätzliches Personal zu brauchen.